Unscheinbarer Gesteinsbrocken löst Steinzeit-Geheimnis
Wissenschaftler präsentieren „Fund des Jahres“– Entdeckung aus Welterbe-Höhle auf der Schwäbischen Alb gibt Aufschluss über Farbherstellung unserer Vorfahren
BLAUBEUREN/SCHELKLINGEN - Für das ungeschulte Auge ist der „Fund des Jahres“ein einfacher, faustgroßer Stein. Für die Forschungswelt löst der kleine Gesteinsbrocken aus der Welterbe-Höhle Hohler Fels bei Schelklingen (Alb-Donau-Kreis) ein Geheimnis aus der Altsteinzeit: Rote Farbreste und Schlagnarben zeigen nach Ansicht von Professor Nicholas Conard, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen, dass unsere Vorfahren bereits vor 40 000 Jahren solche Steine benutzten, um Farbe herzustellen.
Zwar gibt es in Deutschland keine mit den berühmten Höhlenmalereien aus dem französischen Lascaux vergleichbaren Werke, doch auch auf der Schwäbischen Alb wurde mit zu Pulver verriebenen Gesteinsbrocken gemalt – bislang jedoch weiß man lediglich von mit kleinen Stöcken getupften roten Punktreihen auf Steinen. „Der gefundene Reibestein zählt zu den wenigen Artefakten, die uns über die Bearbeitung und Herstellung von Ockerpulver Auskunft geben“, erklärt Conard, der seit 1997 die Leitung der Grabungen am Hohle Fels innehat, und fügt hinzu: „Obwohl wir in der Höhle mehr als 850 Ockerartefakte gefunden haben, sind vergleichbare Stücke hier und auch im Rest Deutschlands selten.“
Sensation liegt im Detail
Nun sei man, so die Forscher bei der Präsentation des Fundes im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren, um eine Erkenntnis reicher: Der gefundene Stein, der 300 Gramm wiegt und 7,8 Zentimeter lang, 7,1 Zentimeter breit und 4,1 Zentimeter dick ist, diente wohl tatsächlich als Werkzeug, mit dem Farbpigmente zerrieben wurden. Hauptsächlich handelt es sich um mineralische Farben, die aus rotem oder gelbem Ocker sowie Rötel gewonnen wurden.
Der Syrer Firar Dabbour, der vor seiner Flucht vor dem Bürgerkrieg an Forschungen an den bekannten Tempelanlagen in Aleppo beteiligt war, machte Ende Juni vergangenen Jahres bereits am vierten Tag der damaligen Grabungssaison den Fund. Generell nutzten Jäger und Sammler in der Altsteinzeit Naturfarben, um damit Gegenstände und Körper zu bemalen, Leder zu gerben und auch um sich vor Insekten und der Sonne zu schützen.
„Ohne neue Ergebnisse wird es langweilig im Museum“, sagt Conard. Der Professor gibt zu verstehen, dass nach dem Sensationsfund der Venus vom Hohle Fels und auch nach den im Vorjahr präsentierten Ritzungen auf einer Mammut-Rippe der Blick beim neuen Exponat auf die Details gelenkt werden müsse. „Aber man erkennt deutlich auf der einen Seite Schleiffacetten, zudem auch Schlagnarben. Diese entstehen nicht durch einmaliges Benutzen, dafür sind viel Zeit und mehrere Arbeitsschritte nötig“, erklärt er.
Auch der Fundort in der rund 500 Quadratmeter großen Höhle ist auf den ersten Blick eher unspektakulär: „Der Stein befand sich zwischen anderen Steinartefakten und Knochen – in einem alltäglichen Fundzusammenhang also“, erklärt Archäotechnikerin Maria Malina, die seit 15 Jahren die örtlichen Grabungen leitet. „Die Farbfläche des Steines war sofort erkennbar“, sagt sie sichtlich erfreut. Es müsse sich vormals um einen vollständigen Felsbrocken gehandelt haben, der aufgrund seiner häufigen Benutzung zerbrach. Der Fund gilt auch deshalb als besonders wichtig, weil Wandmalereien in deutschen Höhlen kaum eine Rolle spielen. „Es ist ein Bereich, in dem wir nicht glänzen können“, sagt Conard. Die Malerei sei „hier prinzipiell unterentwickelt“, gerade im Vergleich zu spanischer oder französischer Steinzeitkunst.
Derzeit entstehe anhand der Funde aus dem Hohle Fels die erste tiefergehende Studie zur Ockernutzung über das gesamte Jungpaläolithikum hinweg, von einer Zeitspanne von 44 000 bis 14 500 Jahren vor heute. Hierbei zeichne sich ab, dass unterschiedliche altsteinzeitliche Epochen unterschiedliche Ockertypen bevorzugt hätten, sagt Conard weiter: „Vor etwa 40 000 Jahren im Aurignacien wurden hellere Farbtöne bevorzugt, während später im Gravettien und Magdalénien die Farbtöne dunkler werden. Ob dies mit der Nutzung neuer Ockerquellen oder mit einer Art neuen Zeitgeschmacks zu tun hat, wissen wir nicht mit Sicherheit.“