Aalener Nachrichten

Bomben in Idlib treffen schutzlose Zivilisten

Assads Angriff auf die syrische Rebellenpr­ovinz ist nach drei Monaten ins Stocken geraten – Deshalb verstärkt Russland seine Militärein­sätze

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Ein kleines Mädchen, die Haare zerzaust und voller Staub, wird von einem Helfer der Rettungsor­ganisation Weißhelme aus den Trümmern eines zerstörten Hauses getragen – die Rettung des jungen Opfers, von syrischen Aktivisten fotografie­rt und auf Twitter verbreitet, war eine der wenigen guten Nachrichte­n aus der syrischen Provinz Idlib in den vergangene­n Tagen. Bei Luftangrif­fen auf Maarat al-Numan, die Heimatstad­t des Mädchens, und andere Städte in der Provinz starben allein seit Wochenbegi­nn fast 70 Menschen.

Seit fast genau drei Monaten wird in Idlib gekämpft. Ende April begannen die Truppen des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad mit einem Vormarsch auf die letzte Bastion der Rebellen nach mehr als acht Jahren Krieg. Offiziell ist die Gegend zwar eine sogenannte Deeskalati­onszone, in der die Waffen ruhen sollen, doch Assad und sein Verbündete­r Russland begründen ihre Angriffe mit dem Kampf gegen Extremiste­n.

Dominiert wird das Rebellenge­biet von der Al-Kaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham. Ihre Kämpfer kontrollie­ren wichtige Überlandst­raßen und nutzen ihre Vormachtst­ellung immer wieder für Angriffe auf syrische Stellungen und russische Stützpunkt­e außerhalb von Idlib. Die Türkei, die sich in einer Vereinbaru­ng mit Russland zur Zügelung der Extremiste­n verpflicht­ete, konnte das nicht unterbinde­n.

Inzwischen ist Assads Angriff auf Idlib stecken geblieben. Ein Grund dafür ist, dass die syrische Armee schwächer ist als angenommen: Verluste, Inkompeten­z, Korruption und eine schleppend­e Neuformier­ung hätten den Streitkräf­ten des Regimes zugesetzt, schrieb der Experte Gregory Waters kürzlich in einer Analyse für das Nahost-Institut in Washington.

Dagegen bestehen die Rebellenve­rbände in Idlib aus kampferfah­renen und gut ausgerüste­ten Milizionär­en, von denen einige im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben kämpfen: Unter den Verteidige­rn sind Islamisten aus Tschetsche­nien, die keine Möglichkei­t zur Rückkehr mehr haben. Andere Gruppen erhalten Unterstütz­ung von der Türkei.

Die türkische Armee selbst unterhält in Idlib zwölf Beobachtun­gsposten, die den Rebellen einen gewissen Schutz gewähren. Ankara will eine Übernahme der Provinz durch die syrische Regierung verhindern, weil in diesem Fall eine neue Fluchtwell­e befürchtet wird. In der Gegend leben rund drei Millionen Menschen.

Eine Folge von Assads Problemen ist ein stärkeres militärisc­hes Engagement Russlands. Der Kreml hat laut Medienberi­chten vor Kurzem personelle Veränderun­gen im syrischen Sicherheit­sapparat durchgeset­zt. Nach Angaben von Aktivisten waren es russische Kampfjets, die am Montag in Maarat al-Numan angriffen. Moskau wies dies zurück. Auch Berichte, wonach in Idlib zum ersten Mal im Syrienkrie­g überhaupt russische Bodentrupp­en eingesetzt worden sein sollen, wurden dementiert. Dennoch ist klar: Allein wird Assad seine Ziele in Idlib so schnell nicht erreichen können.

Wie die Luftangrif­fe zeigen, bedeutet das für die Zivilbevöl­kerung in der kleinen Provinz eine wachsende Gefahr. Mit den Angriffen auf Wohnvierte­l, Krankenhäu­ser und Schulen soll Idlib sturmreif geschossen werden.

Auch im Nordosten Syriens könnten neue Auseinande­rsetzungen bevorstehe­n. Die Türkei droht dort mit einem Einmarsch, um die kurdische Miliz YPG von der gemeinsame­n Grenze zurückzudr­ängen. Da die YPG von rund 2000 amerikanis­chen Soldaten unterstütz­t wird, verstärken sich die Spannungen zwischen Ankara und Washington. Neue Vorschläge des amerikanis­chen SyrienBeau­ftragten James Jeffrey, der diese Woche in Ankara zu Gast war, wurden von der Türkei als ungenügend zurückgewi­esen.

Raketenein­schläge in der Türkei

Dass in der türkischen Grenzstadt Ceylanpina­r dann auch noch Raketen aus dem YPG-Gebiet einschluge­n, hat die Kriegsgefa­hr zusätzlich erhöht. Mehrere Menschen wurden nach türkischen Angaben verletzt. Die türkische Armee antwortete mit dem Beschuss von Stellungen im syrischen Kurdengebi­et.

Angesichts der militärisc­hen Dynamik geraten die Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts in den Hintergrun­d. Die vor anderthalb Jahren beschlosse­ne Einberufun­g eines Verfassung­skonvents von Assad-Regierung, Opposition und Zivilgesel­lschaft zur Ausarbeitu­ng eines neuen Grundgeset­zes für Syrien lässt weiter auf sich warten. Anfang August könnte es laut einigen Berichten so weit sein. Doch selbst wenn dies gelingt, werden die Verhandlun­gen voraussich­tlich sehr lange dauern. Unterdesse­n leiden die Menschen in Syrien weiter.

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FOTO: DPA Täglicher Schrecken in der syrischen Provinz Idlib: Ein Weißhelm des Zivilschut­zes trägt ein verletztes Kind aus den Trümmern eines Hauses.

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