Bomben in Idlib treffen schutzlose Zivilisten
Assads Angriff auf die syrische Rebellenprovinz ist nach drei Monaten ins Stocken geraten – Deshalb verstärkt Russland seine Militäreinsätze
ISTANBUL - Ein kleines Mädchen, die Haare zerzaust und voller Staub, wird von einem Helfer der Rettungsorganisation Weißhelme aus den Trümmern eines zerstörten Hauses getragen – die Rettung des jungen Opfers, von syrischen Aktivisten fotografiert und auf Twitter verbreitet, war eine der wenigen guten Nachrichten aus der syrischen Provinz Idlib in den vergangenen Tagen. Bei Luftangriffen auf Maarat al-Numan, die Heimatstadt des Mädchens, und andere Städte in der Provinz starben allein seit Wochenbeginn fast 70 Menschen.
Seit fast genau drei Monaten wird in Idlib gekämpft. Ende April begannen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit einem Vormarsch auf die letzte Bastion der Rebellen nach mehr als acht Jahren Krieg. Offiziell ist die Gegend zwar eine sogenannte Deeskalationszone, in der die Waffen ruhen sollen, doch Assad und sein Verbündeter Russland begründen ihre Angriffe mit dem Kampf gegen Extremisten.
Dominiert wird das Rebellengebiet von der Al-Kaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham. Ihre Kämpfer kontrollieren wichtige Überlandstraßen und nutzen ihre Vormachtstellung immer wieder für Angriffe auf syrische Stellungen und russische Stützpunkte außerhalb von Idlib. Die Türkei, die sich in einer Vereinbarung mit Russland zur Zügelung der Extremisten verpflichtete, konnte das nicht unterbinden.
Inzwischen ist Assads Angriff auf Idlib stecken geblieben. Ein Grund dafür ist, dass die syrische Armee schwächer ist als angenommen: Verluste, Inkompetenz, Korruption und eine schleppende Neuformierung hätten den Streitkräften des Regimes zugesetzt, schrieb der Experte Gregory Waters kürzlich in einer Analyse für das Nahost-Institut in Washington.
Dagegen bestehen die Rebellenverbände in Idlib aus kampferfahrenen und gut ausgerüsteten Milizionären, von denen einige im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben kämpfen: Unter den Verteidigern sind Islamisten aus Tschetschenien, die keine Möglichkeit zur Rückkehr mehr haben. Andere Gruppen erhalten Unterstützung von der Türkei.
Die türkische Armee selbst unterhält in Idlib zwölf Beobachtungsposten, die den Rebellen einen gewissen Schutz gewähren. Ankara will eine Übernahme der Provinz durch die syrische Regierung verhindern, weil in diesem Fall eine neue Fluchtwelle befürchtet wird. In der Gegend leben rund drei Millionen Menschen.
Eine Folge von Assads Problemen ist ein stärkeres militärisches Engagement Russlands. Der Kreml hat laut Medienberichten vor Kurzem personelle Veränderungen im syrischen Sicherheitsapparat durchgesetzt. Nach Angaben von Aktivisten waren es russische Kampfjets, die am Montag in Maarat al-Numan angriffen. Moskau wies dies zurück. Auch Berichte, wonach in Idlib zum ersten Mal im Syrienkrieg überhaupt russische Bodentruppen eingesetzt worden sein sollen, wurden dementiert. Dennoch ist klar: Allein wird Assad seine Ziele in Idlib so schnell nicht erreichen können.
Wie die Luftangriffe zeigen, bedeutet das für die Zivilbevölkerung in der kleinen Provinz eine wachsende Gefahr. Mit den Angriffen auf Wohnviertel, Krankenhäuser und Schulen soll Idlib sturmreif geschossen werden.
Auch im Nordosten Syriens könnten neue Auseinandersetzungen bevorstehen. Die Türkei droht dort mit einem Einmarsch, um die kurdische Miliz YPG von der gemeinsamen Grenze zurückzudrängen. Da die YPG von rund 2000 amerikanischen Soldaten unterstützt wird, verstärken sich die Spannungen zwischen Ankara und Washington. Neue Vorschläge des amerikanischen SyrienBeauftragten James Jeffrey, der diese Woche in Ankara zu Gast war, wurden von der Türkei als ungenügend zurückgewiesen.
Raketeneinschläge in der Türkei
Dass in der türkischen Grenzstadt Ceylanpinar dann auch noch Raketen aus dem YPG-Gebiet einschlugen, hat die Kriegsgefahr zusätzlich erhöht. Mehrere Menschen wurden nach türkischen Angaben verletzt. Die türkische Armee antwortete mit dem Beschuss von Stellungen im syrischen Kurdengebiet.
Angesichts der militärischen Dynamik geraten die Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts in den Hintergrund. Die vor anderthalb Jahren beschlossene Einberufung eines Verfassungskonvents von Assad-Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes für Syrien lässt weiter auf sich warten. Anfang August könnte es laut einigen Berichten so weit sein. Doch selbst wenn dies gelingt, werden die Verhandlungen voraussichtlich sehr lange dauern. Unterdessen leiden die Menschen in Syrien weiter.