Gesichtsloser Gegner
Warum der Kampf gegen geschäftsschädigende Einträge auf Internetplattformen so schwer ist
BERLIN - Als Wirt ist Peter Hubert ein umtriebiger Typ, der ungern etwas einfach auf sich beruhen lässt. Deshalb wurmte ihn diese Auskunft auf Google Maps so: „Wartezeit 90 Minuten“tauchte dort zuweilen auf. So lange sollten Gäste in seinem Lokal, dem Herzoglichen Bräustüberl Tegernsee, auf einen Tisch warten müssen. Dabei hatte das große Lokal in Wirklichkeit zu dieser Zeit rund 700 Plätze frei. „Die Angaben auf einer so wichtigen Plattform sollten stimmen“, fordert Hubert.
Huberts Anwalt versucht derzeit, Google zu verklagen, um die falschen Infos abzustellen. Ein erster Effekt der Aktion hat sich bereits eingestellt: Für das Bräustüberl hat Google die Funktion vollständig abgeschaltet, dort gibt es jetzt gar keine Angaben mehr zu Wartezeiten. Doch es geht auch ums Prinzip, deshalb will Hubert seine Klage durchziehen. Schließlich hat seine Initiative unter Geschäftsleuten in der Region enorme Zustimmung erfahren. Gastronomen und Ladeninhaber bestärken ihn darin, weiterzumachen. Denn auch sie leiden unter unzutreffenden Auskünften über ihr Geschäft auf Google.
Der konkrete Streit um die Wartezeiten im Bräustüberl verweist auf ein allgemeines, weltweit auftretendes Problem. Potenzielle Kunden orientieren sich mehr und mehr an den Angaben auf Plattformen wie Google, Yelp oder Foursquare. Doch was sie dort finden, ist vollautomatisch zusammengestellt – schließlich ist es das Geschäftsmodell von Internetfirmen, mit möglichst wenig Mitarbeitern möglichst viele Daten umzusetzen. „Für die Gewerbetreibenden ist es zumindest störend und zum Teil richtig geschäftsschädigend, wenn diese Informationen dann schlicht nicht stimmen“, sagt Andre Kraus, Anwalt für Unternehmensrecht aus Köln.
Verzweifelte Anfragen
Seine Kanzlei Kraus Ghendler Ruvinskij erhält täglich mehrere, zum Teil verzweifelte Anfragen von Einzelhändlern und Dienstleistern, denen wegen falscher Angaben im Netz die Kunden wegzubleiben drohen. Gerade neu eröffnete Läden haben heutzutage kaum eine Chance, wenn ihre Vorstellung im Netz abschreckend wirkt. „Deshalb ist es wichtig, sich zu wehren“, sagt Kraus. „Was so eine Auseinandersetzung mit Google schwierig macht, ist diese Unnahbarkeit: Man weiß nicht, wie man da herantreten soll.“Meist sei völlig intransparent, wer überhaupt der Ansprechpartner ist. In der Branche wird gemunkelt, dass die Internetbetreiber die Kontaktaufnahme bewusst kompliziert gestalten, um die Zahl der Anfragen niedrig zu halten.
Das hat auch Bräustüberl-Wirt Hubert erlebt: Derzeit steht eine erste Gerichtsverhandlung an, die überhaupt klären soll, ob er mit seiner eigentlichen Klage bei Google Deutschland an der richtigen Adresse ist. Die deutsche Tochter behauptet gerne, sie sei gar nicht zuständig – und unter ihrer Anschrift in Hamburg nimmt sie Klageschriften nicht an. Am 28. August entscheidet das Landgericht München, ob Google Deutschland die Klage akzeptieren muss.
Doch trotz der Unzugänglichkeit des Internetriesen lasse sich einiges tun, sagt Anwalt Kraus. Er hat in seiner Arbeit laufend mit Google zu tun und glaubt, die Verhaltensmuster des Konzerns erkannt zu haben. „Vieles von dem, was wir monieren, wird prompt gelöscht“, sagt er. In den meisten Fällen geht es hier nicht um Wartezeiten oder andere Zusatzinformationen, sondern um die Bewertungen und Rezensionen durch andere Nutzer. Diese geben oft den Ausschlag für den Besuch eines Restaurants oder die Nutzung einer Dienstleitung.
Wenn die Bewertung anonym abgegeben wurde und kein echtes Benutzerkonto dahintersteht, dann reagiert der Kundenservice oft in unkomplizierter Weise mit einer Löschung der schlechten Bewertung. Ein aktuelles Beispiel ist eine Arztpraxis, der ein angeblicher Patient eine Fehldiagnose vorgeworfen hat. Der anonyme Rezensent hat auf eine Nachfrage durch Google geschwiegen und damit auch nicht belegt, dass er jemals in der Praxis war. Schwieriger wird es, wenn es sich um eine echte Einschätzung durch einen Kunden handelt, der die Dinge bloß ganz anders darstellt als der Anbieter der Dienste. Dann müssen am Ende die Richter entscheiden, wenn unter den Parteien keine Einigung möglich ist.
Kraus hilft regelmäßig auch Geschäftsleuten, die Opfer von komplett gefälschten Bewertungen geworden sind. Oft treten diese als Schwarm auf – entweder von der Konkurrenz gekauft oder vom Freundeskreis eines unzufriedenen Kunden gemeinsam erstellt. Auch hier zeigt sich Google oft einsichtig, wenn etwa die zeitliche Nähe, die Ähnlichkeit der Rezensionen oder die Rechtschreibung eine Kampagne nahelegt. „Es gibt bei Google durchaus Mitarbeiter, die Beschwerden lesen und bearbeiten“, sagt Kraus.
Der Anwalt begründet die Aufforderung zur Entfernung der Bewertung meist mit einem Verstoß gegen die eigenen Richtlinien von Google, die im Wesentlichen wahre Auskünfte verlangen. Zusätzlich beruft er sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das es verbietet, Lügen zu verbreiten. Damit kontaktiert er Google mit einer anwaltlichen Aufforderung, einem sogenannten Notice and Take-down Letter.
Wenn das nichts hilft und nur noch die Klage als letzte Möglichkeit bleibt, hat der Konzern allerdings einen langen Atem. Manchmal lässt er es bis zum Gerichtsverfahren kommen. Dann erscheint aber in der Regel niemand – so viel mobiles Personal hat die Rechtsabteilung dort offenbar nicht. „Dann erstreiten wir in der Regel positive Urteile für unsere Mandanten, und an die hält sich Google dann auch“, sagt Kraus.
Abweisende Reaktionen
Auf die Bitte von Wirt Hubert, die Wartezeiten für das Bräustüberl doch zumindest korrekt anzuzeigen, hat Google zunächst völlig abweisend reagiert: Die Anzeige der Zeiten sei ein weltweit gleicher Mechanismus, daran lasse sich nicht drehen. Nur aus spärlichen technischen Informationen von Google und Experimenten von amerikanischen Bloggern lässt sich derzeit nachvollziehen, wie die angeblichen Wartezeiten berechnet werden. Das Handy verfolgt dazu offenbar die Position von allen Android-Nutzern, die diese Funktion nicht abgeschaltet haben. Wenn sie sich lange an einer Stelle aufhalten, die das Programm mit Maschinenintelligenz für den Eingangsbereich eines Restaurants hält, dann rechnet es diese Zeit als Wartezeit. „Doch diese Logik passt nicht gut auf die deutsche Gastronomie“, klagt Hubert. In den USA müssen die Gäste oft am Eingang auf einen freien Tisch warten, in Deutschland sind viel mehr Varianten möglich. Ob das Programm alle Gäste auf der Außenterrasse als Wartende wahrnimmt? Darüber lässt sich nur spekulieren. Wer sich im amerikanischen Internet umsieht, entdeckt jedoch auch dort viele Irritationen über die Angaben des Systems.
Umso interessanter ist es, dass die IT-Leute des Konzerns die Funktion für das Bräustüberl eben doch abklemmen konnten. Wer hartnäckig ist, sich immer wieder an den Kundendienst wendet, sogar den Anwalt einschaltet, der hat durchaus eine Chance, dass Google reagiert. „Es ist wichtig, aktiv zu werden“, sagt Kraus. Ob Ärzte, Friseure, Restaurants oder Supermärkte – die Plattformen haben das Recht, jedes öffentlich zugängliche Geschäft mit Zusatzinformationen anzuzeigen. „Am Ende taucht dort jeder auf“, sagt Kraus. „Es ist rechtlich geklärt, dass man sich dagegen nicht wehren kann.“Auch die Bewertungen sind durch die Meinungsfreiheit geschützt. Umso wichtiger ist es, falsche Informationen aufzuspüren und entfernen zu lassen.
„Was so eine Auseinandersetzung mit Google schwierig macht, ist diese Unnahbarkeit.“Andre Kraus, Anwalt für Unternehmensrecht