EZB ebnet Weg für noch tiefere Zinsen
Euro-Währungshüter machen Konjunkturabkühlung und schwache Inflation verantwortlich
FRANKFURT - Noch ist die geldpolitische Lockerung aufgeschoben. Aber im September dürfte es so weit sein. Dann plant die Europäische Zentralbank (EZB) ein ganzes Paket an Maßnahmen. Zwar begründete EZB-Präsident Mario Draghi diese Haltung des EZB-Rats mit den mittelfristigen Inflationsaussichten. „Wir mögen nicht, was wir da sehen“, sagte er am Donnerstag auf der turnusmäßigen Ratssitzung und verwies auf die immer noch niedrige Preissteigerungsrate. Zuletzt hatte die im Euroraum bei 1,3 Prozent gelegen.
Die EZB definiert Preisstabilität – ihr wichtigstes geldpolitisches Ziel – bei einer mittelfristigen Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent. Doch die Inflation dürfte nicht zulegen, wenn die Konjunkturaussichten sich weiter eintrüben. Und darauf weisen die Daten hin: So rutschte gestern etwa der wichtige deutsche Ifo-Geschäftsklimaindex weiter ab von 97,5 auf 95,7 Prozent. Draghi verwies auf die Risiken durch die Handelskonflikte und die nun wieder höhere Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit.
Die EZB zeigt sich entschlossen zu handeln und hat Ausschüsse mit der Vorbereitung eines komplexen Maßnahmenpakets beauftragt. Das könnte die Senkung des Einlagenzinssatzes umfassen, den Kreditinstitute zahlen müssen, wenn sie Geld bei der EZB parken, und der momentan bei minus 0,4 Prozent liegt. Aber auch ein neues Anleihekaufprogramm.
Die Geldpolitik habe viel getan, um den Euroraum zu unterstützen, sagte Draghi. Und sie tue das auch weiterhin, wie man an den Plänen erkennen könne. „Aber wenn die Aussichten weiter so schlecht bleiben, kommt es auf die Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten an“, mahnte er einmal mehr – mit wachsendem Nachdruck. Dabei wandte er sich deutlich an Deutschland und Italien, die durch ihre Haushaltspolitik die Risiken abfedern sollten. Beide Länder würden die Abschwächung in ihren Industrien schon jetzt deutlich spüren.
Höhere Strafzinsen auf Einlagen der EZB treffen zunächst die Banken im Euroraum. Allein die deutschen Geldhäuser haben im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Euro an Strafzinsen an die EZB gezahlt – Geld, das sie lieber anderweitig investieren würden. Deshalb will der EZB-Rat auch Optionen prüfen, wie durch einen Stufenzinssatz die Auswirkungen auf die Banken abgemildert werden könnten. „Das wird die Akzeptanz der Geldpolitik erhöhen“, meint Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg.
„Die wirtschaftliche Abschwächung im Euroraum lässt der EZB keine andere Wahl, als eine noch expansivere Geldpolitik umzusetzen“, ist Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, überzeugt. Es sei zu begrüßen, dass der EZB-Rat die Leitzinsen noch nicht gesenkt habe, meinte jedoch Friedrich Heinemann, vom ZEW-Institut für Wirtschaftsforschung in Mannheim. Nochmals darüber nachzudenken, wirke reflektiert und gelassen: „Ein Zinsschritt hätte die Sorge um Europas Konjunktur aufgrund der Signalfunktion möglicherweise sogar noch verschärft“, sagte er.
„Wenn die Negativzinsphase weiter anhält oder gar noch weiter verschärft wird, wird das für die Wirtschaft und für jeden in diesem Land deutlich spürbar werden“, mahnte hingegen Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV). Auch der Bankenverband (BdB) und der Verband öffentlicher Banken (VÖB) warnten vor Risiken und Nebenwirkungen einer extrem lockeren Geldpolitik.
Zinslose Dekade voraus?
Die meisten Beobachter sind sich nach dieser Ratssitzung der EZB sicher, dass die Zinsen auf lange Zeit niedrig bleiben werden. Nach Einschätzung von Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater sind positive Zinsen „in der ersten Hälfte der 2020erJahre so gut wie ausgeschlossen, wenn nicht für die gesamte kommende Dekade“.
Für Sparer bedeutet das: Wer Rendite erzielen will, muss ins Risiko gehen. Die risikolosen Anlagemöglichkeiten wie Tages- oder Festgeld oder auch der Kauf von deutschen Staatsanleihen werden nach Abzug der Inflationsrate die Gelder auf den Konten schmelzen lassen. Doch das nimmt die EZB in Kauf. Ihr ist wichtiger, das machte EZB-Präsident Draghi gestern nochmals deutlich, dass mehr Menschen Arbeit haben. Denn die niedrigen Zinsen und die lockere Geldpolitik bedeuteten auch, dass sich Konsumenten billiger verschulden könnten, dass Immobilienkredite „extrem günstig“geworden seien, dass sich aber auch Unternehmen sehr günstig finanzieren könnten, sagte der Chefvolkswirt der ING Deutschland, Carsten Brzeski, im Deutschlandfunk.
Das dürfte auch nach Ende von Draghis Amtszeit Ende Oktober so bleiben, wenn seine designierte Nachfolgerin Christine Lagarde ihr Amt antritt. Deren Bestellung begrüßte der EZB-Rat gestern. Sie werde eine herausragende EZB-Präsidentin sein, zeigte sich Draghi überzeugt. Gefragt, ob er ihr Nachfolger an der IWF-Spitze werden wolle, winkte er ab. Dafür stehe er nicht zur Verfügung.