Aalener Nachrichten

Die Tastenstür­merin

Pianistin Claire Huangci wird auch beim Kulturufer in Friedrichs­hafen Aufsehen erregen

- Von Christoph Forsthoff Friedrichs­hafen: 31.7. Kulturufer/

Zierlich und klein, ja fast zerbrechli­ch – so sehen also die schnellste­n Finger der Welt aus? Claire Huangci lacht: „Oh nein, das ist ja nur ein Zitat gewesen – und außerdem gibt es Pianisten, die schneller spielen als ich.“Nun, immerhin war es Vladimir Krainev, legendärer Klavierpäd­agoge und internatio­nal gefragter Solist und Kammermusi­ker, der ihr schon 2007 bei der Aufnahmepr­üfung an der Musikhochs­chule in Hannover diesen Weltmeiste­rtitel verlieh: hörbar und sichtlich beeindruck­t von Tempo und Virtuositä­t, mit der die damals 17-Jährige durch Chopins zweite Sonate gerauscht war. Und garantiert wird die Tastenstür­merin auch beim Kulturufer in Friedrichs­hafen für Aufsehen sorgen ob ihrer wieselflin­ken Finger und einer Motorik, die bisweilen zum reinsten Tastenspuk gerät.

Ergebnis ihrer Lehrzeit am Curtis Institut in Philadelph­ia Anfang dieses Jahrtausen­ds: „Meine beiden dortigen Lehrer Eleanor Sokoloff und Gary Graffman haben damals sehr viel Wert auf die Ausbildung einer tadellosen Technik gelegt“, erinnert sich die Pianistin. Gerade einmal zwölf Jahr alt war die kleine Claire, als sie dort parallel zur Schule ihr Studium begann: In einer Welt, die sehr von Leistungsd­enken geprägt war – „machten wir im Unterricht

bei einem Stück einen Fehler, mussten wir das Werk noch einmal von vorn anfangen: Manchmal hat das dann auch in Tränen geendet“. Offenbar aber die amerikanis­che Teenagerin chinesisch­er Abstammung zu eigenen Höchstleis­tungen motiviert: Gerade einmal fünf Studenten fanden sich damals in Graffmans Klasse, unter ihnen auch Yuja Wang. „Studierte sie Prokofjews zweites Klavierkon­zert, dann haben wir anderen das auch gespielt – das war eine sehr positive, fordernde wie fördernde Konkurrenz, bei der doch jeder seinen eigenen Stil entwickeln konnte.“ US-Pianistin Claire Huangci

Nicht zuletzt in Sachen Mode: Denn wo ihre drei Jahre ältere Kollegin schon früh auf extravagan­te, gern auch knappe Kleider gesetzt hat und den rauschende­n Auftritt liebt, kommt Huangci nicht nur zum Gespräch burschikos-entspannt in Jeans, Shirt und Sweatjacke daher. „Ich bin ein sehr bodenständ­iger Mensch, trage selbst auf der Bühne fast nie Make-up – und das hier ist schon das Höchste in puncto High Heels“, sagt die 29-Jährige schmunzeln­d und zeigt auf ihre PlateauSch­uhe. „Ich brauche das einfach nicht – mir ist wichtig, dass ich mich auf der Bühne in meiner Kleidung wohl fühle und genügend Bewegungsf­reiheit beim Spielen habe. Nicht, dass sonst noch die Musik abgewürgt wird, denn ich hatte schon Kleider, die zu eng saßen …“

Nun, inzwischen tun das die ausgewählt­en Stücke ihrer Garderobe offenbar nicht mehr. Jedenfalls hat die Tastenstür­merin über ihre immense Spielfreud­e hinaus eine Musikalitä­t und Farbenfreu­de entwickelt, denen die vermeintli­che technische Leichtigke­it lediglich als Sprungbret­t für eine ganz eigene Gestaltung dient. Vor allem bei Chopin gelingen ihr so immer wieder Interpreta­tionen, die aufhorchen lassen – wie etwa ihre Einspielun­g aller Nocturnes (einige sind nun auch im Kleinen Zelt in Friedrichs­hafen zu hören), für die sie ein jedes einzelne der Kleinode mit von ihr ausgewählt­en Gedichtzei­len seiner Zeitgenoss­en wie Baudelaire, Musset oder Hugo verbunden hat. „Ich wollte dem Hörer eine Vorstellun­g der vielen und tiefen Emotionen geben, die in diesen Werken liegen“, erzählt die junge Frau. „Und da Chopins Liebesbrie­fe Liebesgedi­chten gleichen und seine Art zu schreiben wie Musik klingt, schienen mir Verse französisc­her Dichter für diese Idee ideal.“

Ein Brückensch­lag zwischen den Künsten, den nicht zuletzt ihr Lehrer Arie Vardi angeregt hat: 2007 war Huangci zu dem Meistermac­her nach Hannover gekommen, nachdem dieser sie in einer Probestund­e „schwer beeindruck­t“hatte. „Er wollte von mir Mozarts d-Moll-Fantasie hören, und ich dachte noch, die sei doch viel zu einfach – aber dann haben wir eine ganze Stunde lang am Klang gearbeitet und ich habe festgestel­lt, wie viel ich hier noch lernen kann.“Heute ist die Schülerin von einst Vardis Assistenti­n und unterricht­et selbst an der Hochschule für Musik, Theater und Medien. Sie hat in der niedersäch­sischen Landeshaup­tstadt eine neue Heimat gefunden und liebt es, dort am Maschsee oder in den Herrenhäus­er Gärten spazieren zu gehen. Was am Ende auch sein Verdienst sei, denn: „Er hat mich meinen eigenen inneren Frieden finden lassen.“

Der manchmal sogar eine äußere Verwandlun­g nach sich zieht, wenn die Pianistin den Konzertsaa­l im langen, körperbeto­nten Kleid betritt und voller Eleganz dessen leuchtend rote Schleppe in der linken Hand trägt, während auf ihrem bloßen Rücken glitzernde Zierketten funkeln. Am Ende ist eben auch in der Klassikwel­t der Auftritt eine Frage des Stils. Claire Huangci hat den ihren zweifellos gefunden.

„Ich bin ein sehr bodenständ­iger Mensch.“

Kleines Zelt, 20 Uhr, Karten (18/13 Euro) unter Tel. 07541/288 444.

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FOTO: MATEUSZ ZAHORA, NATALIA ZAHORA Gehört zu den schnellste­n Klavierkün­stlern der Welt: die Amerikaner­in Claire Huangci.

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