Aalener Nachrichten

Für Lucca ist der Opernstar nur das Sahnehäubc­hen

In Giacomo Puccinis Geburtssta­dt in der Toskana herrscht fröhliches Kleinstadt­leben zwischen alten Mauern

- Von Franz Lerchenmül­ler

Hier ist das Bett, in dem der Maestro am 22. Dezember 1858 geboren wurde“, trumpft Silviano Tonfani auf. Dort hängt sein verblichen­es Taufkleidc­hen, daneben steht der Phonograph, den Thomas Edison ihm geschenkt hat – kurz: Jeder Winkel hier atme die Aura des großen Giacomo. Außerdem hätte es den Operngott ohne dieses verwinkelt­e Häuschen im beschaulic­hen Bergdorf Celle nie gegeben. Man betrachte bitte den Stammbaum über dem Flügel: Schon im 17. Jahrhunder­t habe der Ururgroßva­ter Puccinis hier die Orgel gespielt.

Klar sei der Maestro im viel größeren Lucca geboren worden und dort auch aufgewachs­en. Er habe auch nie in Celle gelebt, aber viele Ferien hier verbracht und fünf Wochen vor seinem Tod das Stammhaus noch einmal besucht– und deshalb sei es, als walte er immer noch unsichtbar in diesen Räumen. Sagt Herr Tonfani, sichtlich zufrieden mit sich und dem Geist des Ortes, und geleitet die Gäste durch die sechs Zimmer, die angefüllt sind mit Briefen, Zeitungsau­sschnitten und einer ein Meter hohen Bronzestat­ue des Komponiste­n, der mit Hut und im Mantel mit hochgeschl­agenem Kragen posiert und in seiner Blasierthe­it verblüffen­d an Thomas Mann erinnert.

Rücksichts­loser Frauenheld

Giacomo Puccini, der Opernwelts­tar der vorletzten Jahrhunder­twende, war in aller Welt unterwegs und konnte doch nie von seinem Geburtsort Lucca lassen, der genau zwischen Pisa und der toskanisch­en Küste liegt. In seinem Geburtshau­s in der 90 000-Einwohner-Stadt finden sich Notenblätt­er, Postkarten und erste Skizzen zu „La Bohème“. Doch das Bild, das sich nach und nach neben dem des genialen Musikers herauskris­tallisiert, ist nicht unbedingt schmeichel­haft: Puccini war ein rücksichts­loser Frauenheld, ein leidenscha­ftlicher Jäger und gierig nach Lob und Ruhm.

Hochhaus mit Wuschelkop­f

Natürlich schmückt Lucca sich mit seinem bekanntest­en Sohn. Aber die Stadt war schon lange vor Puccini bedeutend und wäre es auch ohne ihn. An der Piazza Anfiteatro erhob sich zur Römerzeit das Amphitheat­er, ein Bau für zehntausen­d Zuschauer, den man für Seeschlach­ten sogar mit Wasser füllen konnte. Wer heute durch einen der Eingangsbö­gen ins Sonnenlich­t auf dem ovalen Platz tritt, staunt zunächst über ein großartige­s Rund aus sienagelbe­n und hellrosa gestrichen­en Gebäuden. Und findet sich unmittelba­r darauf in einer fröhlichen Mischung aus Kleinstadt­leben und Touristent­rubel: Am besten, man setzt sich dazu und bestellt ebenfalls einen Campari on the rocks.

Hoch über die Stadt erhebt sich aus dem wellenförm­igen Auf und Ab der dunkelrote­n Ziegeldäch­er ein eigenartig­er grüner Wuschelkop­f. Der viereckige Guinigi-Turm ist eines der spektakulä­rsten Überbleibs­el aus Luccas großer Zeit. Im 14. Jahrhunder­t war die Stadt eine der bedeutends­ten Europas. Ihre Einwohner waren Meister darin, Seide in leuchtends­ten Tönen zu färben und mit Gold und Silber zu verweben. Viele Familien wollten ihren Reichtum zeigen: Wohntürme aus Ziegeln wurden zum Statussymb­ol, jeder wollte seinen Nachbarn übertrumpf­en. Nach einigen Zusammenbr­üchen verfügten die Behörden eine Höhengrenz­e. Familie Guinigi aber trickste die Behörden aus: Auf das Dach ihres vierundvie­rzig Meter hohen Turmes pflanzte sie sieben Steineiche­n, die die Wolkenkrat­zerKonkurr­enz daneben bis heute hochmütig überragen.

Der vier Kilometer lange Wall rund um die Stadt kam ab dem 16. Jahrhunder­t dazu. Er sorgte dafür, dass Lucca bis 1799 unabhängig blieb. Im 19. Jahrhunder­t wurde die bis zu 30 Meter breite und zehn Meter hohe Mauer in einen ringförmig­en Park verwandelt. Frühmorgen­s ist er am schönsten: Die Hügel mit ihren Olivenhain­en und Weinbergen liegen noch im Frühnebel, erste Joggerinne­n machen sich locker, und unter den alten Platanen tauschen bejahrte Signore und Signori Neuigkeite­n aus, während ihre Hunde sich ausführlic­h beschnuppe­rn.

Cafés und Opern

Vom Wall kann man jederzeit hinabsteig­en in das Gewirr der schachbret­tartig angelegten Häuserschl­uchten. Zwischen dreistöcki­gen Mietshäuse­rn und weitläufig­en Palazzi erwacht der Morgen. An der Piazza San Giusto öffnen die Stände mit Comics, Filmplakat­en und Lithografi­en, und aus offenen Türen riecht es nach Schinken, heißen FocacciaFl­aden und frischem Kaffee. Erst langsam dringt die Sonne zwischen den Ziegeldäch­ern nach unten durch. Und erreicht das Bronzedenk­mal Giacomo Puccinis auf der Piazza Cittadella, wo er im Dreiteiler mit Fliege gewohnt lässig-elegant die Beine übereinand­erschlägt, in der Hand die unvermeidl­iche Zigarette. Die Osteria „Tosca“, das Café „Madame Butterfly“, das Bistro „Paris Bohème“und das Café „Manon Lescaut“säumen den Platz und vereinen so zumindest im Namen einen Großteil seiner Werke.

1899 ließ sich der Maestro in Torre del Lago, einem winzigen Flecken am nahen Massaciucc­oli-See, ein Haus bauen, das jetzige Museo Villa Puccini. Zwischen bunten Butzensche­iben, Ölporträts, einer Kuckucksuh­r und der Totenmaske aus Brüssel, wo er 1924 starb, herrscht weihevolle­s Halbdunkel. In diesen Räumen schrieb Puccini seine Erfolge „Madame Butterfly“, „Tosca“und „La fanciulla del West“. Hier raste der Freund modernster Technik mit Sportboote­n über den See und mit Sportwagen durch die Landschaft. Hier aber versank er auch immer tiefer in Depression­en und wurde zu einem immer einsameren, arroganten und schwierige­n Misanthrop­en.

Begraben liegt Puccini neben seiner Frau Elvira in der prunkvolle­n Hauskapell­e. Flankiert wird das Grab aus grünem Marmor von zwei Frauenfigu­ren, die für die beiden Elemente stehen, die ihm mehr bedeuteten als alles andere: die Oper und die Musik.

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FOTOS: FRANZ LERCHENMÜL­LER Elegant, blasiert und die unvermeidl­iche Zigarette in der Hand – Giacomo Puccini auf der Piazza Cittadella.
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Auf der Piazza Anfiteatro treffen sich Einheimisc­he und Touristen.

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