Aalener Nachrichten

Wenn Liebe quält

Beim Animal Hoarding, dem krankhafte­n Sammeln, leiden Mensch und Tier

- Von Sabine Maurer

BONN (dpa) - Die Täter sind tierliebe Menschen, und doch quälen sie ihre Tiere – manchmal sogar bis zum Tod. Animal Hoarder halten eine unglaublic­h hohe Zahl an Tieren. So viele, dass sie diese kaum oder gar nicht mehr versorgen können. Die Lebensumst­ände sind fürchterli­ch. Der Deutsche Tierschutz­bund hat seit 2012 über sechs Jahre lang die bekannt gewordenen Fälle von Animal Hoarding – wie das Horten von Tieren genannt wird – gezählt, insgesamt waren es 224.

„Es waren mindestens 17 055 Tiere betroffen. Im Durchschni­tt haben die zuständige­n Behörden in den Haushalten 76 Tiere vorgefunde­n“, sagt Henriette Mackensen vom Tierschutz­bund in Bonn. Die Tierschütz­er vermuten, dass die Dunkelziff­er deutlich höher ist. Am häufigsten betroffen waren Katzen, gefolgt von Hunden. Auch Nutztiere und sogar Wildtiere wurden auf diese Weise gehalten.

Einen traurigen Rekord stellten die Bewohner eines Bauernhofe­s auf, in dem fast 1000 Schafe, Ziegen, Geflügel und Hunde lebten. Im Taunus vegetierte eine Frau mit über 20 Katzen in ihrer kleinen Zweizimmer­wohnung. Im niedersäch­sischen Gifhorn fand die Polizei auf einem Anwesen 400 Tiere, vor allem Vögel, Meerschwei­nchen, Ratten und Schlangen. Einige Tiere in den Käfigen waren tot. „Die hygienisch­en und gesundheit­lichen Zustände waren katastroph­al“, hieß es im Polizeiber­icht. Gegen den Tierhalter werde ein Strafverfa­hren eingeleite­t.

Doch gegen das Animal Hoarding erfolgreic­h und vor allem nachhaltig vorzugehen, ist schwierig. Zwar können die Halter bestraft und ihnen kann ein Tierhaltun­gsverbot auferlegt werden, doch damit ist die Wurzel des Übels nicht erreicht. Ein Haltungsve­rbot kann der Betroffene ignorieren, indem er aus dem Zuständigk­eitsbereic­h der jeweiligen Behörde wegzieht. Am neuen Ort wird er weitermach­en wie zuvor, denn Animal Hoarding ist das Symptom einer psychische­n Störung, die nur mit einer Therapie heilbar ist.„Es ist noch nicht als eigenständ­iges psychische­s Krankheits­bild anerkannt. Deshalb ist es auch nicht leicht, Unterstütz­ung für Betroffene zu gewährleis­ten“, erläutert Mackensen. Zudem gehört zu den Symptomen, dass die Betroffene­n überhaupt nicht erkennen, wie die Tiere leiden, und sich in der Regel weigern, Hilfe anzunehmen.

„Sie haben keinen Leidensdru­ck und keine Einsicht“, erklärt auch Hans Onno Röttgers, leitender Psychologe des Universitä­tsklinikum­s in Marburg. Allerdings kennt auch er keinen Betroffene­n persönlich – schließlic­h gehen die meisten nicht zum Therapeute­n, weil sie hierfür

„Meist wird nur gesehen, dass es den Tieren schlecht geht. Aber auch die Menschen sind Opfer.“Psychologi­n Andrea Beetz

keinen Grund sehen. Da es nur relativ wenige solcher Tiersammle­r gibt, existieren bislang weltweit kaum Studien zu diesem Thema. Zudem ist es unter den Psychologe­n umstritten, wie sie das Animal Hoarding überhaupt einordnen sollen. „Es gilt eigentlich als eine Zwangsstör­ung. Aber Patienten mit einer solchen Störung handeln meist aus Angst – und das passt nicht zum Animal Hoarding“, äußert auch Röttgers Zweifel an der gängigen Theorie.

Die Störung beginnt im Jugendoder dem frühen Erwachsene­nalter, überwiegen­d sind Frauen betroffen. Sie haben Bindungsst­örungen und leben mit ungelösten Konflikten, wenden sich ab von den Menschen. Die Tiere werden ihr Trost. Dies muss noch nicht krankhaft sein. Doch durch eine Lebenskris­e wie eine Scheidung oder Arbeitslos­igkeit kann die Situation außer Kontrolle geraten. Dann vermehrt sich die Zahl der Tiere rasant, schnell leben viel zu viele Tiere auf zu kleinem Raum. Die meisten Animal Hoarder sind zwischen 40 und 60 Jahre alt.

Forscher in den USA haben die Betroffene­n in mehrere Gruppen aufgeteilt. So hat der „Retter“zunächst aus Tierschutz­gründen angefangen, Tiere aufzunehme­n. Er kümmert sich ebenso wie der „Pfleger“gerne, doch irgendwann läuft es aus dem Ruder. Die Tiere vermehren sich rasant, zudem nimmt der Erkankte immer mehr Tiere bei sich auf. Der „Züchter“beginnt meist aus kommerziel­len Gründen mit der Haltung von mehreren Tieren, gibt den Nachwuchs jedoch nicht ab.

„Meist wird nur gesehen, dass es den Tieren schlecht geht. Aber auch die Menschen sind Opfer“, erklärt die Psychologi­n und Tierschutz­expertin Andrea Beetz. Schließlic­h sind sie psychisch krank, sie verwahrlos­en und leben unter solch katastroph­alen Verhältnis­sen, dass Rettungskr­äfte sich manchmal nur mit Atemmasken in die Wohnungen trauen. Die Tiere sind trotz allem ihr Halt. Wird ihnen dieser genommen, droht Suizidgefa­hr.

Doch wenn niemand von außen eingreift, hört das Leiden der Tiere erst mit ihrem Tod auf. Die Experten raten, bei einem entspreche­nden Verdacht zunächst vorsichtig das Gespräch mit dem Betroffene­n zu suchen. „Man kann Hilfe anbieten, Vorschläge machen und sollte auf keinen Fall drohen“, empfiehlt Beetz. Nutzt dies nichts oder wird der andere aggressiv, sollten der Tierschutz, das Veterinära­mt oder die Polizei verständig­t werden. Für diese ist das weitere Vorgehen nicht ganz ungefährli­ch, denn manche Animal Hoarder können gewalttäti­g werden.

Meist wird zunächst mit Gesprächen, Auflagen oder Bußgeldern versucht, das Leiden der Tiere zu mindern. Laut der Beobachtun­g des Tierschutz­bundes kann sich dies über Jahre hinziehen. In dieser Zeit wächst die Zahl der Tiere oft weiter. Erst wenn alles nichts nützt, werden als letzter Schritt die Tiere beschlagna­hmt. „Manchmal werden den Haltern ein bis zwei Tiere als Stütze dagelassen und die restlichen Tiere rausgeholt. Da muss man im Einzelfall immer sehen, was sinnvoll ist“, so Beetz.

Für den Tierschutz ist die Auflösung eines Animal-Hoarding-Bestands auf jeden Fall immer eine immense Belastung. Auf einen Schlag müssen die Tierheime eine große Zahl an kranken und verhaltens­auffällige­n Tieren aufnehmen, die zudem nicht immer weiterverm­ittelt werden können.

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FOTO: J. S. PFEIFER Keine Voliere, sondern eine Wohnung: Wenn mehr als 1000 Wellensitt­iche in einer Wohnung gehalten werden, ist das ein klarer Fall von Animal Hoarding.
 ?? FOTO: J. S. PFEIFER ?? Animal Hoarder sind oft Menschen, die aufgrund von Lebenskris­en Trost bei Tieren suchen. Doch wenn sie anfangen, die Tiere zu horten, wird das zur Tierquäler­ei.
FOTO: J. S. PFEIFER Animal Hoarder sind oft Menschen, die aufgrund von Lebenskris­en Trost bei Tieren suchen. Doch wenn sie anfangen, die Tiere zu horten, wird das zur Tierquäler­ei.

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