Viele Skeptiker im Unterhaus
Johnson legt Austrittspaket am Samstag dem Parlament zur Abstimmung vor
LONDON - Nach der Einigung in Brüssel konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Londoner Politik nun auf die notwendige Zustimmung des Parlaments. Das Unterhaus stimmte am Donnerstagnachmittag der ersten Samstagssitzung seit 37 Jahren zu. Um seinen „großartigen neuen Deal“verabschieden zu können, muss Premier Boris Johnson viele Skeptiker umstimmen. Sowohl die Oppositionsparteien wie auch die nordirische Unionistenpartei DUP kündigten ihre Ablehnung an.
Weil das Votum der DUP auch die Stimmung unter Johnsons konservativen Brexit-Hardlinern negativ beeinflussen dürfte, reagierten die Finanzmärkte negativ. War das Pfund gegenüber Dollar und Euro zunächst um mehr als ein Prozent gestiegen, sackte es nach der Mitteilung aus Belfast um 0,2 Prozent ab. Im Vergleich zum Stand vor der Volksabstimmung vom Juni 2016 liegt die britische Währung um etwa 13 Prozent niedriger. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften beklagen einen Investitionsrückgang wegen der anhaltenden Brexit-Unsicherheit.
Diese will Premier Johnson durch sein neues Verhandlungspaket beenden. Beim Gipfel in Brüssel werde der 55-Jährige um keine weitere Verlängerung der Austrittsperiode nachsuchen und alle Angebote weiterer Bedenkzeit verweigern, hieß es in der Downing Street. Damit will Johnson Druck auf die Parlamentarier ausüben. „Entweder dieser Deal oder gar keiner“, lautet das Regierungsmotto.
Kein Vetorecht für Belfast
Dem als „No Deal“bezeichneten Chaos-Brexit zum Monatsende hatte das Unterhaus vergangenen Monat einen Riegel vorzuschieben versucht, indem es Johnson eine Entscheidung bis zu diesem Samstag aufzwang. Diesen Ball hat der Konservative nun zurückgespielt.
Die Arithmetik im Unterhaus spricht nicht unbedingt dafür, dass sein Plan aufgeht. Die Unionisten begründeten ihre Ablehnung mit einer „Gefahr für die Integrität der Union“– ein Argument, das auch auf dem rechten Flügel von Johnsons offiziell „konservativ und unionistisch“genannten Partei widerhallen dürfte. Die Britannien-treuen Nordiren ärgern sich darüber, dass ihnen, anders als zwischenzeitlich von London versprochen, kein Vetorecht über die neue Vereinbarung eingeräumt wurde. Stattdessen kann der Belfaster Landtag mit einfacher Mehrheit eine Fortschreibung des zunächst geltenden Sonderstatus beschließen. Dadurch, so fürchtet DUP-Chefin Arlene Foster, entstehe nach und nach eine Abkapselung ihrer Provinz von Großbritannien, insbesondere durch die neuen Zollvorschriften. Ihnen zufolge bleibt der Nordostteil der irischen Insel zwar de jure im Zollgebiet des Vereinigten Königreiches, befindet sich aber de facto in einer Zollgemeinschaft mit der Republik im Süden.
Von einem „Ausverkauf“sprach Labour-Chef Jeremy Corbyn und nannte das neue Paket „schlechter als der Deal von Theresa May“. Der eigentlich eingefleischte Skeptiker der EU-Institutionen hat sich mittlerweile der Mehrheit seiner Partei angeschlossen: Labour will nun mit einer zweiten Volksabstimmung den Brexit ganz verhindern. Ähnlich argumentieren auch die schottischen und walisischen Nationalisten, Grüne und Liberaldemokraten.