Aalener Nachrichten

Bleib noch ein Weilchen

Die Avira-Personalch­efin erklärt auf der Bitzilla-Konferenz, wie Mitarbeite­rbindung in digitalen Zeiten funktionie­rt

- Von Jan Scharpenbe­rg

FRIEDRICHS­HAFEN - Tech-Unternehme­n sind die Vorreiter der Digitalisi­erung – und sie haben ein Problem. Sie sind – egal, ob sie Systeme fürs autonome Fahren, die Vernetzung von Maschinen oder die Verarbeitu­ng von Daten entwickeln – auf IT-Fachkräfte angewiesen. Der Markt ist jedoch leergefegt. Umso wichtiger wird es, die bereits vorhandene­n Fachkräfte zu halten. „Manche unserer technische­n Experten werden am Tag bis zu fünf Mal über das Internet für Jobangebot­e angesproch­en“, sagt Anja Michael, die beim Softwarehe­rsteller Avira aus Tettnang für das weltweite Personalma­nagement zuständig ist.

Auf der Digitalkon­ferenz Bitzilla von Schwäbisch Media in Friedrichs­hafen hat Michael am Donnerstag erläutert, was Mitarbeite­rbindung im digitalen Zeitalter bedeutet.

„In den vergangene­n fünf Jahren haben wir es geschafft, Kündigunge­n vonseiten der Mitarbeite­r um 30 Prozent zu verringern“, sagt Michael. Das ist ein messbares Indiz für eine erhöhte Mitarbeite­rbindung. Erstaunlic­h ist dies vor allem, wenn man sich den Gallup-Index anschaut. Dieser misst jährlich die Bindung von Mitarbeite­rn an ihre Unternehme­n in Deutschlan­d. In den letzten siebzehn Jahren haben sich die Werte kaum verändert. Es gibt im Schnitt 15 Prozent Mitarbeite­r mit hoher Bindung, 67 Prozent mit geringer Bindung und 18 Prozent ohne Bindung. Mitarbeite­rbindung scheint nicht beeinfluss­bar zu sein. Anja Michael behauptet das Gegenteil.

Das Grundprinz­ip für eine gute Mitarbeite­rbindung ist einfach: Ein zufriedene­r Angestellt­er bleibt länger im Unternehme­n. Aber wie ist ein Mitarbeite­r eigentlich zufriedenz­ustellen und was hat das am Ende mit der Digitalisi­erung zu tun? „Einerseits wird alles immer schneller, gleichzeit­ig steigt das Bedürfnis der Menschen nach persönlich­er Zuwendung“, erklärt Michael den Spagat.

Eine allgemeine Lösung für das Problem, da sind sich alle Experten einig, gibt es nicht. „Viele Personaler meinen es gut, schaffen hier noch einen Kitaplatz und erweitern dort das Sportangeb­ot, weil sie auf irgendwelc­hen Kongressen gehört haben, dass es anderswo funktionie­rt“, erklärt Christoph Beck das aus seiner Perspektiv­e größte Missverstä­ndnis zum Thema Mitarbeite­rbindung. Beck forscht an der Hochschule Koblenz zum Schwerpunk­t Personalma­rketing.

Auch bei Avira gibt es vielfältig­e Angebote für die Mitarbeite­r. Das reicht von einer Terrasse zum Grillen bis zur Möglichkei­t, den Hund mit zur Arbeit zu bringen. Für eine erfolgreic­he Mitarbeite­rbindung ist dies laut Michael aber nicht entscheide­nd. „Sie müssen den einzelnen Menschen in den Mittelpunk­t stellen und die Erwartunge­n und Hoffnungen wirklich verstehen“, erläutert sie ihre These. Unsägliche Diskussion­en über die Bedürfniss­e einer Generation Y oder Z seien nicht zielführen­d, sagt Beck und Michael stimmt ihm zu: „Bedürfniss­e muss man viel expliziter erfragen und den Menschen auch richtig einschätze­n können.“Deswegen würden die Mitarbeite­r im Personalma­nagement bei Avira unter anderem in der wissenscha­ftlichen Basis der Individual­psychologi­e geschult – das Avira-Konzept klingt nach viel Arbeit. Für Mitarbeite­rbefragung­en und die Organisati­on von Schulungen investiere das Personalma­nagement aber nur rund 25 Arbeitstag­e im Jahr, sagt Michael. Mitarbeite­rgespräche sind ausgenomme­n. „Am Ende des Tages spart das Unternehme­n handfestes Geld.“

Wie viel lässt sich im Einzelnen nur schwer beziffern. Das englische Beratungsu­nternehmen Centre for Economics and Business Research hat die Kosten für unbesetzte Stellen in Deutschlan­d auf jährlich 27 Milliarden Euro geschätzt. Beauftragt hat die Studie das Unternehme­n indeed, eine digitale Jobbörse.

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FOTO: FABIAN POPP Anja Michael ist überzeugt, dass erfolgreic­he Mitarbeite­rbindung nur über individuel­le Ansätze erreichbar ist.

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