Aalener Nachrichten

Sonntagsbr­ötchen jetzt auch ganztags

Bäckereica­fés dürfen in Zukunft am Wochenende von früh bis spät öffnen

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Kunden können sich mit dem Kauf ihrer Semmel am Sonntag künftig Zeit lassen. Bäckereien dürfen sie nach höchstrich­terlichem Urteil auch außerhalb der vorgeschri­ebenen Öffnungsze­iten bedienen – allerdings nur in Filialen, in denen der Thekenverk­auf mit einem Café kombiniert ist. Solche Bäckereica­fés zählten als Gaststätte­n, entschied der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag. Als „zubereitet­e Speisen“dürften Brot und Brötchen dort von früh bis spät abgegeben werden. (Az. I ZR 44/19)

Die Wettbewerb­szentrale hatte bei verschiede­nen Bäckereien Verstöße beobachtet. Um die Frage ein für alle Mal klären zu lassen, verklagte sie den bayerische­n Backwaren-Hersteller Ratschille­r bis vor den BGH. „Es ist absoluter Schmarrn, dass wir jemandem die Sonntagsse­mmel verbieten wollen“, sagt Andreas Ottofüllin­g aus dem Münchner Büro der Wettbewerb­sschützer. Aber der Sonntag sei inzwischen einer der stärksten Verkaufsta­ge. „Umso mehr müssen hier gleiche Marktbedin­gungen herrschen.“

Wie lange Bäckereien sonntags ihre Brötchen, Schrippen und Weggla verkaufen dürfen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich. Am großzügigs­ten sind die Vorschrift­en in Berlin, dort dürfen Bäckereien von 7 bis 16 Uhr öffnen, bis zu neun Stunden. In Bayern sind nur drei Stunden erlaubt.

Dass man sich bei Ratschille­r daran nicht hält, war nach Testkäufen in zwei Münchner Filialen klar. An einem Sonntag im Februar 2016 wechselten um 11.12 Uhr ein Stangenbro­t und zwei Römersemme­ln den Besitzer und um 15.46 Uhr noch einmal ein Stangenbro­t und zwei Vollkornse­mmeln. Ganz ähnlich im März 2018: Damals konnte man vor- wie nachmittag­s sogar ganze Kastenbrot­e kaufen – ein klarer Verstoß.

Trotzdem hatte die Wettbewerb­szentrale schon vor den Münchner Gerichten den Kürzeren gezogen. Denn beide Bäckereifi­lialen sind gleichzeit­ig ein Café, mit Tischen und Stühlen für die Kundschaft. Für das Oberlandes­gericht München kommt damit das Gaststätte­nrecht ins Spiel. Es erlaubt dem „Schankoder Speisewirt“, auch außerhalb der Sperrzeit „zubereitet­e Speisen“abzugeben, sofern diese „zum alsbaldige­n Verzehr oder Verbrauch“bestimmt sind.

Laut OLG sind Brot und Brötchen „verzehrfer­tige Nahrungsmi­ttel, deren Rohstoffe durch den Backvorgan­g zum Genuss verändert worden sind“. Dass das Brot nicht nur scheibenwe­ise als Beilage, sondern auch im Laib angeboten werde, ändere daran nichts. Es handele sich „nicht um unterschie­dliche Speisen, sondern nur um eine größere Menge“.

Für die Wettbewerb­szentrale Grund genug, die Sache nach Karlsruhe zu bringen. „Die nackte Semmel ist keine zubereitet­e Speise“, findet Ottofüllin­g. „Keiner schiebt sich auf dem Nachhausew­eg noch fünf trockene Brötchen in den Hals und knabbert an einem Laib Brot.“

Der BGH hat damit allerdings keine Probleme. Brot und Brötchen würden aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz gemacht und dann noch gebacken, sagte der Vorsitzend­e Richter Thomas Koch bei der Urteilsver­kündung. Damit handele es sich um „essfertig gemachte Lebensmitt­el“.

Dabei kommt es für den Senat nicht darauf an, ob die Waren direkt im Café oder woanders gebacken werden. Brot darf auch im ganzen Laib abgegeben werden. Wichtig ist den Richtern nur, dass der Kunde „zum sofortigen Verbrauch“einkaufe. Davon hätten die Bäckereive­rkäufer bei den Testkäufen wegen der kleinen Mengen aber ausgehen können.

Gaststätte­nrecht ist zwar Ländersach­e. Bei der entscheide­nden Passage gibt es aber keine Unterschie­de. Das Urteil gilt daher bundesweit.

Die Wettbewerb­szentrale sieht mit dem Urteil Rechtsklar­heit hergestell­t. Jetzt müssten sich die Landesgese­tzgeber fragen, ob sie etwas ändern wollen, sagt Ottofüllin­g. Noch liege die schriftlic­he Begründung nicht vor. Aber es sehe so aus, als ob kleinere Bäcker nun nur ein paar Tische und Stühle aufstellen und ein Café anmelden müssten, um sonntags länger Brötchen verkaufen zu dürfen.

Der Zentralver­band des Deutschen Bäckereiha­ndwerks sieht die Position der Handwerksb­äckereien gestärkt. Bisher hätten sie tatenlos zusehen müssen, wie „Tankstelle­n, Bahnhofssu­permärkte und Co. 365 Tage im Jahr Industrieb­ackwaren verkaufen“, erklärt Hauptgesch­äftsführer Daniel Schneider. Er stellt aber auch klar: „Kein Betrieb ist durch dieses Urteil gezwungen, am Sonn- oder Feiertag zu öffnen.“Letztendli­ch müsse jeder Bäcker für sich entscheide­n, ob er das will.

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FOTO: DPA Semmeln in einer Münchner Bäckerei: Brötchen sind höchstrich­terlich „zubereitet­e Speisen“.

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