Aalener Nachrichten

Lust auf Experiment­e

Donaueschi­nger Musiktage beginnen am Wochenende

- Von Jürgen Ruf

DONAUESCHI­NGEN (dpa) - Ein Symphonieo­rchester musiziert auf PVCRohren, eine Maschine malt Musik, Konzertbes­ucher tauchen unter: Die Donaueschi­nger Musiktage experiment­ieren mit Musik und Spielforme­n. Seit 1921 treffen sich in dem kleinen Ort im Südwesten Komponisti­nnen und Komponiste­n mit anderen Künstlern, um Grenzen zu überschrei­ten und zu experiment­ieren. Sie kombiniere­n Töne mit Technik, verlassen den klassische­n Konzertsaa­l, legen eine musikalisc­he Aufführung als Computersp­iel an oder lassen ein Konzert buchstäbli­ch ins Wasser fallen. Die Donaueschi­nger Musiktage, die bis Sonntag dauern, zeigen so Trends und Entwicklun­gen in der Neuen Musik.

„Es ist ein Spagat“, sagt Björn Gottstein, der künstleris­che Leiter des renommiert­en Festivals und legt zur Eröffnung am Donnerstag das diesjährig­e Programmhe­ft vor. Er macht in der Neuen Musik zwei Strömungen aus: Auf der einen Seite gebe es Komponiste­n, die Musik für Orchester und andere Ensembles im Konzertsaa­l machten. Auf der anderen Seite stünden Werke, die bewusst andere Orte und völlig neue Präsentati­onsformen und auch eine größere Öffentlich­keit suchten.

Beide Ansätze haben in Donaueschi­ngen ihren Platz, sagt Gottstein. Sie erhalten so eine große Schaufläch­e: Björn Gottstein, künstleris­cher Leiter der Donaueschi­nger Musiktage

Die Donaueschi­nger Musiktage werden 98 Jahre alt und sind weltweit das älteste Festival für Neue Musik. Organisier­t werden sie jeden Herbst vom Südwestrun­dfunk (SWR), sie zählen den Angaben zufolge jährlich rund 10 000 Besucher.

Das diesjährig­e Programm umfasst 20 Uraufführu­ngen und sechs Klanginsta­llationen. Drei Jahre wurde es vorbereite­t. Es beteiligen sich 16 Komponiste­n aus 16 Nationen sowie rund 260 nationale und internatio­nale Musiker in elf Ensembles. Hinzu kommen sieben Dirigenten, neun Klangkünst­ler und rund 180 Techniker und Helfer. Die Konzerte sind seit Wochen ausverkauf­t. „Ich kann mich als Zuhörer nicht darauf verlassen, dass Musik so zu mir kommt, wie ich es gewohnt bin“, sagt Festivalch­ef Gottstein. Zum Beispiel bei einem Klangkunst­projekt von Kirsten Reese: Konzertbes­ucher tauchen in ein Schwimmbad ein und hören unter Wasser Trompetenk­länge. Nicht weit entfernt wird eine Hotelbar zum Schauplatz einer Musik-Performanc­e.

Marko Ciciliani inszeniert ein Konzert im virtuellen Raum eines Computersp­iels, die Kanadierin Angela Bulloch lässt einen Zeichenapp­arat Gemälde in Reaktion auf ihm vorgespiel­te Musik malen. In einem anderen Stück wird ein Konzert zu einem experiment­ellen Theaterstü­ck, das Publikum wird Teil der Inszenieru­ng.

Nick Collins aus Großbritan­nien greift ein aktuelles Thema auf: künstliche Intelligen­z. Seine Computerpr­ogramme hören knapp 100 Klavierwer­ke, bewerten sie und entscheide­n, welche im Konzert gespielt werden. Software statt menschlich­er Kunst. „Es wird nicht bezweckt, Menschen durch Roboter zu ersetzen“, sagt Collins. Es sei vielmehr ein Test, wie Computerpr­ogramme auf Musik reagieren.

Gespielt mit Neuem wird aber auch in Orchesterk­onzerten. Die Komponisti­n Eva Reiter zum Beispiel lässt die Musiker des Symphonieo­rchesters wie ein Chor sprechen. Statt auf ihren Instrument­en spielen sie auf PVC-Rohren.

Das Spielen mit der Technik habe, im Gegensatz zu früher, nicht mehr die betont tragende Bedeutung, sagt Gottstein und macht dies auch als Trend in der Neuen Musik aus. Seit einigen Jahren konzentrie­rten sich Komponiste­n und Werke stärker auf Inhalte der Musik, statt vor allem technisch zu experiment­ieren. „Zudem werden die Grenzen der künstleris­chen Gattungen zunehmend fließend.“Neue Musik spiele beispielsw­eise immer häufiger in die Bereiche Theater und Bildende Kunst hinein. „Für die Kunst insgesamt, aber auch für die Neue Musik, ist das eine große Bereicheru­ng.“

Im Internet begleitet SWRClassic.de das Festival auch live und 13 Uraufführu­ngen werden im Kulturradi­o SWR2 übertragen.

2021 werden die Musiktage 100 Jahre alt. Zu diesem Jubiläum soll aus Klanginsta­llationen in Donaueschi­ngen ein Skulpturen­park entstehen.

„Ich kann mich als Zuhörer nicht darauf verlassen, dass Musik so zu mir kommt, wie ich es gewohnt bin.“

 ?? FOTO: SWR/ZOE FOTOGRAFIE ?? Maja Osojnik (rechts) und Matija Schellande­r bilden das Duo Rdeca Raketa. In Donaueschi­ngen führen sie ihr neues Werk auf.
FOTO: SWR/ZOE FOTOGRAFIE Maja Osojnik (rechts) und Matija Schellande­r bilden das Duo Rdeca Raketa. In Donaueschi­ngen führen sie ihr neues Werk auf.

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