Lust auf Experimente
Donaueschinger Musiktage beginnen am Wochenende
DONAUESCHINGEN (dpa) - Ein Symphonieorchester musiziert auf PVCRohren, eine Maschine malt Musik, Konzertbesucher tauchen unter: Die Donaueschinger Musiktage experimentieren mit Musik und Spielformen. Seit 1921 treffen sich in dem kleinen Ort im Südwesten Komponistinnen und Komponisten mit anderen Künstlern, um Grenzen zu überschreiten und zu experimentieren. Sie kombinieren Töne mit Technik, verlassen den klassischen Konzertsaal, legen eine musikalische Aufführung als Computerspiel an oder lassen ein Konzert buchstäblich ins Wasser fallen. Die Donaueschinger Musiktage, die bis Sonntag dauern, zeigen so Trends und Entwicklungen in der Neuen Musik.
„Es ist ein Spagat“, sagt Björn Gottstein, der künstlerische Leiter des renommierten Festivals und legt zur Eröffnung am Donnerstag das diesjährige Programmheft vor. Er macht in der Neuen Musik zwei Strömungen aus: Auf der einen Seite gebe es Komponisten, die Musik für Orchester und andere Ensembles im Konzertsaal machten. Auf der anderen Seite stünden Werke, die bewusst andere Orte und völlig neue Präsentationsformen und auch eine größere Öffentlichkeit suchten.
Beide Ansätze haben in Donaueschingen ihren Platz, sagt Gottstein. Sie erhalten so eine große Schaufläche: Björn Gottstein, künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage
Die Donaueschinger Musiktage werden 98 Jahre alt und sind weltweit das älteste Festival für Neue Musik. Organisiert werden sie jeden Herbst vom Südwestrundfunk (SWR), sie zählen den Angaben zufolge jährlich rund 10 000 Besucher.
Das diesjährige Programm umfasst 20 Uraufführungen und sechs Klanginstallationen. Drei Jahre wurde es vorbereitet. Es beteiligen sich 16 Komponisten aus 16 Nationen sowie rund 260 nationale und internationale Musiker in elf Ensembles. Hinzu kommen sieben Dirigenten, neun Klangkünstler und rund 180 Techniker und Helfer. Die Konzerte sind seit Wochen ausverkauft. „Ich kann mich als Zuhörer nicht darauf verlassen, dass Musik so zu mir kommt, wie ich es gewohnt bin“, sagt Festivalchef Gottstein. Zum Beispiel bei einem Klangkunstprojekt von Kirsten Reese: Konzertbesucher tauchen in ein Schwimmbad ein und hören unter Wasser Trompetenklänge. Nicht weit entfernt wird eine Hotelbar zum Schauplatz einer Musik-Performance.
Marko Ciciliani inszeniert ein Konzert im virtuellen Raum eines Computerspiels, die Kanadierin Angela Bulloch lässt einen Zeichenapparat Gemälde in Reaktion auf ihm vorgespielte Musik malen. In einem anderen Stück wird ein Konzert zu einem experimentellen Theaterstück, das Publikum wird Teil der Inszenierung.
Nick Collins aus Großbritannien greift ein aktuelles Thema auf: künstliche Intelligenz. Seine Computerprogramme hören knapp 100 Klavierwerke, bewerten sie und entscheiden, welche im Konzert gespielt werden. Software statt menschlicher Kunst. „Es wird nicht bezweckt, Menschen durch Roboter zu ersetzen“, sagt Collins. Es sei vielmehr ein Test, wie Computerprogramme auf Musik reagieren.
Gespielt mit Neuem wird aber auch in Orchesterkonzerten. Die Komponistin Eva Reiter zum Beispiel lässt die Musiker des Symphonieorchesters wie ein Chor sprechen. Statt auf ihren Instrumenten spielen sie auf PVC-Rohren.
Das Spielen mit der Technik habe, im Gegensatz zu früher, nicht mehr die betont tragende Bedeutung, sagt Gottstein und macht dies auch als Trend in der Neuen Musik aus. Seit einigen Jahren konzentrierten sich Komponisten und Werke stärker auf Inhalte der Musik, statt vor allem technisch zu experimentieren. „Zudem werden die Grenzen der künstlerischen Gattungen zunehmend fließend.“Neue Musik spiele beispielsweise immer häufiger in die Bereiche Theater und Bildende Kunst hinein. „Für die Kunst insgesamt, aber auch für die Neue Musik, ist das eine große Bereicherung.“
Im Internet begleitet SWRClassic.de das Festival auch live und 13 Uraufführungen werden im Kulturradio SWR2 übertragen.
2021 werden die Musiktage 100 Jahre alt. Zu diesem Jubiläum soll aus Klanginstallationen in Donaueschingen ein Skulpturenpark entstehen.
„Ich kann mich als Zuhörer nicht darauf verlassen, dass Musik so zu mir kommt, wie ich es gewohnt bin.“