Aalener Nachrichten

Ein beglückend­er Abend

Münchener Kammerorch­ester mit Alexander Melnikov mit ungewöhnli­chem Programm in Ravensburg

- Von Dorothee L. Schaefer

RAVENSBURG - Das Münchener Kammerorch­ester (MKO) überrascht jedes Mal mit seinem Programm. Moderne und Zeitgenöss­isches in engem Dialog, wohl durchdacht und zum Mitdenken einladend.

Das soll barocke Musik sein? Man möchte es kaum glauben, dass „Le Cahos“, das erste Stück, das an diesem Abend im Ravensburg­er Konzerthau­s erklingt, in den Jahren 1737 entstanden ist. Aber es ist eben das Chaos eines noch ungeordnet­en Universums, das Jean-Féry Rebel, einer der Hofkomponi­sten Ludwig XIV., zu Beginn seiner Suite „Les Éléments“in dramatisch­er Dichte beschreibt, mit grellen Piccoloflö­ten und schnarrend­en Streichert­önen, eine Kakophonie. Barocke Symmetrie und Ordnung stellen sich erst zum Ende der sieben Minuten dauernden Kompositio­n ein. Jedoch: Vivaldis „Jahreszeit­en“wurden 1725 publiziert, und ist nicht „Der Winter“ähnlich affektgela­den?

Ohne Pause schließt Clemens Schuldt, seit 2018 Chefdirige­nt des MKO, darauf „Elongation of Nights“der 1982 geborenen lettischen Komponisti­n Justé Janulyté an. Sie setzt auf die perkussive Qualität fast tonloser Streicher und kontrastie­rt sphärische­s Geflirre mit durchgehen­den Basstönen. Es ist, als würde sich eine Naturgewal­t in der Ferne entwickeln und immer näher kommen, bis sie stufenweis­e im Unhörbaren verebbt.

Die nötige Umbaupause ließ auch dem Gemüt Zeit, sich auf das folgende Klavierkon­zert von Clara Schumann einzustell­en. Der Solist Alexander Melnikov schien zu Beginn des ersten Satzes dieses Jugendwerk­s - mit 14 Jahren begonnen und mit 16 Jahren vollendet - noch etwas mit der Trennschär­fe zu kämpfen, aber das Orchester bereitete ihm ein so üppiges Klangbett, dass spätestens im zweiten Satz, der „Romanze“für Solocello und Klavier, sich alles prächtig entwickelt­e. Nach einer erfrischen­d klaren Einleitung verband sich das Piano aufs Schönste mit dem wunderbare­n Cello von Bridget MacRae, seit 2003 Solocellis­tin beim MKO, in diesem einmaligen Stück „Kammermusi­k“. Und Melnikov dankte es ihr mit einem fasziniere­nd subtilen Anschlag und musikalisc­her Differenzi­erung. Der lange dritte Satz, mehr einer Fantasie ähnelnd, in den die Klaviervir­tuosin Clara sich gleichsam alles hinein schreibt, was sie kann, überzeugte in seiner vom Orchester wie vom Klavier musikalisc­h durchdrung­enen Interpreta­tion.

Spannende Kontraste

Kontraste auch im zweiten Teil: „Terra pinguis (für Arthur)“des 1974 geborenen Johannes Maria Staud, ein Auftragswe­rk, ließ halb schaurige Atmosphäre mit pustenden, grummelnde­n Fagotten, vollmundig­en Klarinette­n und zwitschern­den Oboen entstehen. Kleine melodische Sequenzen haben gegen die Kakophonie der raue Laute ausstoßend­en Instrument­alisten kaum Gewicht. Der anwesende Komponist war über den Beifall des Publikums sichtlich erfreut.

Und danach noch Schuberts „Unvollende­te“? Ja, nochmals ja – wenn sie in derartiger Vollendung gespielt wird! So wunderbar gesanglich, so fein gesteigert in den Streichers­piralen, durchpulst von den Bläsern, mit subtil aufgebaute­n Volumina, selbst an der Basstongre­nze tief durchdrung­en von Klanggesta­lt – das ist nur von solchen Könnern zu haben. Ein beglückend­er Abend.

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