Ellwanger Kantorei feiert 125-jähriges Bestehen
Kirchenchor besteht ununterbrochen seit 1894 – Kantatengottesdienst am Sonntag
ELLWANGEN - Auf stolze 125 Jahre blickt die Kantorei der evangelischen Kirchengemeinde in Ellwangen zurück. Dieses Jubiläum wird am Sonntag, 20. Oktober, um 10 Uhr mit einem Kantatengottesdienst unter Kantor Reinhard Krämer in der Stadtkirche gefeiert. Aufgeführt wird die Kantate „Gott ist gegenwärtig“von Heinrich von Herzogenberg. Beim anschließenden Festakt überreicht Landrat Klaus Pavel der Kantorei die Zelter-Plakette. Diese Ehrung verleiht der Bundespräsident Chören, die seit über 100 Jahren bestehen.
Heinrich Türck hat die Chorgeschichte in akribischer Arbeit aus Kirchengemeinderatsprotokollen und Gemeindebriefen erforscht. Die Gründung der Vorgängerensembles war holprig. „Das Bedürfnis eines erhebenderen Kunstgesangs“im Gottesdienst führte zur Gründung des Kirchengesangsvereins, heißt es in der „Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde“von Fritz Nestle in der Festschrift „Ellwangen 764 bis 1964“. 1851 wurde eingeführt, an 16 Tagen im Jahr den Gemeindegesang von vier katholischen Musikern gegen Bezahlung mit Posaunen begleiten zu lassen. 1862 wurde das Posaunenblasen wieder eingestellt.
Nachlässiger Probenbesuch der „Fräulein aus höheren Ständen“
Um 1854 wird ein Schülerchor „zur Unterstützung des Organisten und zur besseren Leitung des Kirchengesangs“eingeführt, später ein Frauenchor, dem im Winter 1869/1870 der Kirchengesangverein entwachsen sein dürfte. Aber schon 1876 war er wieder eingegangen „infolge der großen Unregelmäßigkeit, mit welcher die Fräulein aus höheren Ständen bei den Proben erschienen“. Ein neuer Chor bildete sich, doch 1882 mangelte es an männlichen Stimmen. 1888 ist wieder von einem Frauenchor die Rede.
1894 wird unter Lehrer Schick ein Kirchenchor gegründet, der seitdem durchgehend besteht. Um „seine männlichen Kräfte zu erhalten", bekamen die zeitweise jährlich fünf Mark Belohnung. Am Weihnachtsfest 1914 wird zum ersten Mal abends ein festlicher „Gesangsgottesdienst" gehalten mit Beteiligung des Kirchenund eines Schülerchors. Später finden Gesangsgottesdienste zu Advent, an Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten statt.
1964 wurde eine hauptamtliche Kirchenmusikerstelle eingerichtet, die Ursula Lang übernahm. Nur einige Register der Orgel waren damals spielbar. Der Chor probte im Kindergarten am Schönbornweg, wo ein altes Tafelklavier zur Verfügung stand. Bald, am 1. November 1964, wurde das Speratushaus eingeweiht, und der evangelische Kirchenchor veranstaltete einen Ball. Mit dem Erlös wurde ein Klavier angeschafft. Mit dem Erlös eines Basars war es möglich, einen Steinway-Flügel anzuschaffen.
„Mit der Gründung der Musikschule 1968 hatte ich Verbindung zu anderen Musikern, sie haben immer wieder bei Aufführungen des Chores mitgewirkt“, erinnert sich Ursula Lang. Nach und nach gewann der evangelische Kirchenchor evangelische Sänger, die im Kirchenchor Aalen, im Kirchenchor Heidenheim und im Oratorienchor sangen. So wuchs der Chor im Laufe der Jahre zu einer stattlichen Anzahl von Sängern heran.
Nach der Renovierung der Stadtkirche, der Neugestaltung der Orgel und dem Erwerb eines Cembalos bestand die Möglichkeit, größere kirchenmusikalische Werke aufzuführen. Die Hauptaufgabe des Chores war aber nach wie vor das Mitwirken in den Gottesdiensten. Er hat einmal monatlich sowie an sämtlichen Feiertagen im Gottesdienst gesungen. Auch ökumenisch zeigte sich der Kirchenchor, so sang er zusammen mit dem Stiftschor in der Basilika und in der Stadtkirche.
Sprachenstreit um Händels „Messias“
Seit 1996 leitet Reinhard Krämer die Kantorei. „Meine Idee, im Spätjahr Händels ‚Messias‘ zu musizieren, wurde hier begeistert aufgenommen“, erinnert sich der Kantor an einen Sprengsatz gleich am Anfang seiner Tätigkeit: „Für mich war klar, dass der ‚Messias‘ nur auf Englisch gesungen werden konnte, da ich keine überzeugende Übersetzung kannte.“Doch im Chor gab es massiven Widerstand, und der gipfelte in einer Petition mit 27 Unterschriften, die Krämer aufforderte, den „Messias“gekürzt und auf Deutsch zu musizieren, weil sonst der Chor überfordert sei.
In der nächsten Probe wurde das Problem diskutiert. Krämers Vorschlag war, ein anderes Programm vorzusehen, da ihm der in der Petition vorgeschlagene Weg nicht der richtige zu sein schien. „Eine knappe Mehrheit entschied sich, am ursprünglichen Plan festzuhalten“, so Krämer: „Da war der Chor auf einmal nur noch halb so groß. Ein einschneidender Vorgang am Anfang einer Zusammenarbeit. Ich war immerhin noch in der Probezeit, also ohne Angabe von Gründen kündbar.“Das blieb ihm erspart. Von nun an wurde ein Chorrat gebildet, dem eine Person pro Stimme, die Leitung und die Geschäftsführung angehören. Der „Messias“wurde ein großer Erfolg.
Auch später gab es Knatsch. „Einflussreiche Menschen in der Kirchengemeinde versuchten, Zwietracht in die Reihen der Chormitglieder zu bringen, indem sie die Aktivitäten des Chors infrage stellten“, erinnert sich Krämer. Doch bei einer Aussprache des Chors mit dem damaligen geschäftsführenden Pfarrer Klaus Seibt erlebte der Kantor viel Solidarität von den Chormitgliedern. Zum Jubiläum „200 Jahre evangelische Kirchengemeinde Ellwangen“im Jahr 2003 wurde Haydns „Schöpfung“aufgeführt. In der Folgezeit gab es keine oratorischen Konzerte mehr, der Chor kultivierte stattdessen den A-cappella-Gesang. Reisen des Chores führten nach Prag, Siebenbürgen, Polen und Litauen.