Die steinerne Gefahr
Unfälle durch Felsstürze schüren Ängste bei Autofahrern – Extreme Wetterlagen könnten Risiko verschärfen
„Was ich nicht vorhersehen kann, kann ich auch nicht vermeiden.“Andreas Mathy von der Staatsanwaltschaft Konstanz
Er hatte keine Chance. Als am Samstagabend ein riesiger Felsblock von einer Böschung auf die Fahrbahn der A 81 rollte, konnte der 62-Jährige nicht mehr ausweichen. Sein Porsche prallte gegen den 3,5 Tonnen schweren Sandsteinblock, der sich 22 Meter oberhalb der Autobahn gelöst hatte, und fing Feuer. Der Fahrer, ein Mann aus dem Landkreis Rottweil, starb noch an der Unfallstelle.
Dabei galt der Abschnitt zwischen Trossingen und Tuningen nicht als gefährdet. Täglich sind Streckenkontrolleure hier unterwegs.
Doch Felsstürze könnten durch den Klimawandel in Zukunft öfter vorkommen. „Davon ist auszugehen. Es wird mit Sicherheit nicht besser“, sagt der Geologe Wolf Heer, der in Saarbrücken ein Büro für Baugrundtechnik betreibt. „Aufgrund der extremen Wetterlagen wird das Gefährdungsrisiko steigen.“Dabei spielt vor allem Starkregen eine große Rolle. Auslösendes Moment für Felsstürze sei fast immer Wasser. „Wenn Wasser in Klüfte eindringt und dort gefriert, kann das einen Felsen sprengen.“Südhänge in exponierter Lage seien dem Wechsel aus Frost und Tauwetter stärker ausgesetzt, während es bei Nordhängen durch Dauerfrost weniger problematisch sei. In den Alpen lasse sich vermehrt Steinschlag beobachten, weil die Frostgrenze steigt. „In unteren Lagen lockert sich der ‚Klebstoff‘ des Gesteins“, erklärt Heer. Es gebe Unterschiede, je nachdem ob es sich um festes oder lockeres Gestein handelt. Je nach Gesteinsart ist die Gefahr größer: Tonige Beläge haben weniger Widerstand. Verbindungen, die aus Quarziten oder Kalkstein bestehen, haben hingegen eine größere Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse. Wenn Wasser in Klüfte und Schichtflächen gelangt, die tonig ausgebildet sind, steige die Gefahr des Steinschlags. Das Wasser weicht das tonige Gestein auf, es kann ins Rutschen kommen. Es gibt aber laut Experte auch andere Faktoren, die dazu führen können, dass sich Teile aus der Felswand lösen.
Monitoring nicht flächendeckend
Im aktuellen Fall auf der A 81 wurde der Felsblock durch den Druck von Wurzeln in Bewegung gebracht. „Durch Torsionsbewegungen kann es zu Lockerungen kommen“, formuliert es Heer. Prinzipiell seien künstliche Einschnitte – nichts anderes sind Böschungen ja – immer potenzielle Gefahrenstellen. Um rechtzeitig zu sehen, wo es zu Felsstürzen kommen kann, müsse man Monitoring betreiben. So können Geologen etwa mit einem sogenannten Inklinometer prüfen, ob Gestein in Bewegung ist. Dabei lässt sich anhand von Bohrungen feststellen, ob es im Lauf der Zeit zu Abweichungen kommt. Flächendeckend sei ein solches Monitoring aber gar nicht machbar. „Das würde die Kosten sprengen.“Geologen könnten aber bereits bei einer ersten Begehung Gefährdungspotenzial einschätzen. Im Notfall käme es auch vor, dass Straßenabschnitte dann gesperrt werden. Den wenigsten Menschen sei bewusst, dass Hänge immer Gefahren bergen. „Das Antlitz der Erde ist nur eine Momentaufnahme. Es ändert sich permanent.“Wenn der Mensch in die Natur eingreife, könne zusätzliche Gefahr entstehen.
Um Unfälle wie den jüngsten auf der A 81 zu verhindern, sind regelmäßig Spezialisten im Einsatz. Wenn es um Autobahnen geht, sind die Autobahnmeistereien zuständig, bei Bundes-, Landes- und Kreisstraßen sind das die Straßenmeistereien der Landratsämter. Deren Mitarbeiter beseitigen lockeres Gestein an Felshängen, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer gefährdet sind, wie es in einer Stellungnahme des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg heißt. Bei Hängen, die nicht als steinschlaggefährdet eingestuft sind, prüfen Streckenkontrolleure beispielsweise, ob sich in Mulden am Fuße der Böschungen heruntergefallenes Gestein findet. Auch andere Dinge, die Autofahrern gefährlich werden können, machen die Kontrolleure dabei ausfindig, so etwa Pflanzen, die die Sicht behindern können, tote Tiere oder Ölspuren. Im Jahr 2018 wurden im Land Baden-Württemberg für diese Streckenkontrollen rund 1,1 Millionen Euro investiert, um Mängel an steinschlaggefährdeten Felshängen zu beseitigen. Ob es Steinschlagschutznetze oder -zäune braucht, Felsen mit Rückverankerungen gesichert oder gar abgeräumt werden müssen, entscheidet sich anhand von geologischen Gutachten.
Im Bereich der Schwäbischen Alb zählt das Verkehrsministerium Baden-Württemberg rund 30 Strecken, die in der Nähe von Böschungen liegen. Diese seien zum Teil bereits präventiv gesichert, sagt Edgar Neumann, Leiter der Presseund Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums. „Bei uns gibt es allerdings keine so extremen Strecken wie in der Schweiz oder in Österreich, die mit Stahlmatten gesichert werden müssten.“Regelmäßige Streckenkontrollen seien aber nicht nur aufgrund von Felsstürzen wichtig. „Wir hatten auf den Autobahnen, die mit Betonplatten belegt sind, in den vergangenen Jahren immer wieder die Gefahr von Blowups“, so Neumann. Dabei kann sich durch extreme Hitze die Straße plötzlich aufwölben – und zur unberechenbaren Gefahr für Autofahrer werden. Immer wieder wurden deshalb Tempolimits für anfällige Abschnitte verhängt.
Für Autofahrer sind Unfälle durch Steinschläge eine Horrorvorstellung, die manchmal Wirklichkeit wird. Im Jahr 2006 starb ein deutsches Ehepaar aus Pforzheim auf der Gotthard-Autobahn in der Schweiz. In Landesmedien hieß es damals, die Steine lägen auf der Straße, „als ob ein Riese sie wahllos hingeworfen hätte“. Ein Satz, der die Hilflosigkeit angesichts derartiger Unglücksfälle in Worte fasst.
Im Kampf gegen die Naturgewalten setzt der Mensch auf Technik: So wurde vor knapp zwei Jahren im Nordosten der Schweiz am Walensee ein Stahlnetz der Firma Geobrugg getestet, das gigantische Lasten aufhalten soll. Ein 25 Tonnen schwerer Betonklotz wurde dabei in die Tiefe fallen gelassen. 42 Meter abwärts rauschte der Stein und brachte es dabei auf 103 Stundenkilometer. Die Stahlmaschen hielten.
„Es ist das stärkste Steinschlagschutzsystem, das je entwickelt wurde“, sagte der Konstrukteur Marcel Sennhauser beim Test im November 2017. Doch derartige Vorrichtungen sind teuer: Je nach Gelände koste der Laufmeter schätzungsweise 10 000 Franken, hieß es. Den Gotthard-Unfall damals hätte ein solches Netz wohl verhindern können. Doch die Autobahn dort war bereits mit diversen Vorrichtungen gesichert.
Hat man als Autofahrer in einem Fall wie auf der A 81 überhaupt eine Chance? Beim ADAC ist man zurückhaltend mit einer Einschätzung des tödlichen Unfalls. Man könne den Hergang des Unfalls so bewerten, so Unternehmenssprecherin Katja Legner. „Generell lässt sich aber sagen, dass man – egal mit welcher Geschwindigkeit – immer bremsbereit sein sollte.“Gleichzeitig könne auch die größte Umsicht fatale Unglücke nicht verhindern. „Angepasste Geschwindigkeit und kontrollierte Fahrweise sind aber immer empfehlenswert.“
Im Fall des tödlich verunglückten Porschefahrers ermittelt die Staatsanwaltschaft Konstanz. Im Raum steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Allerdings nur, wenn sich herausstellen sollte, dass der Felsabgang vorhersehbar und somit vermeidbar war. „Das müssen wir klären“, sagt Pressesprecher Andreas Mathy. Um diesen Sachverhalt zu überprüfen, hat die Staatsanwaltschaft neben dem Gutachten des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau ein zweites unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben. Bis das Ergebnis feststeht, könnten mehrere Wochen vergehen. Sollte es zu einem Strafverfahren kommen, könnte nicht eine Behörde als Ganzes, sondern eine Person in den Fokus geraten. Wenn kein Versäumnis an der Böschung, die der Bundesstraßenverwaltung gehört, vorliegt, wären die Ermittlungen schnell am Ende. „Was ich nicht vorhersehen kann, kann ich auch nicht vermeiden“, so Mathy.