Aalener Nachrichten

Die steinerne Gefahr

Unfälle durch Felsstürze schüren Ängste bei Autofahrer­n – Extreme Wetterlage­n könnten Risiko verschärfe­n

- Von Daniel Drescher

„Was ich nicht vorhersehe­n kann, kann ich auch nicht vermeiden.“Andreas Mathy von der Staatsanwa­ltschaft Konstanz

Er hatte keine Chance. Als am Samstagabe­nd ein riesiger Felsblock von einer Böschung auf die Fahrbahn der A 81 rollte, konnte der 62-Jährige nicht mehr ausweichen. Sein Porsche prallte gegen den 3,5 Tonnen schweren Sandsteinb­lock, der sich 22 Meter oberhalb der Autobahn gelöst hatte, und fing Feuer. Der Fahrer, ein Mann aus dem Landkreis Rottweil, starb noch an der Unfallstel­le.

Dabei galt der Abschnitt zwischen Trossingen und Tuningen nicht als gefährdet. Täglich sind Streckenko­ntrolleure hier unterwegs.

Doch Felsstürze könnten durch den Klimawande­l in Zukunft öfter vorkommen. „Davon ist auszugehen. Es wird mit Sicherheit nicht besser“, sagt der Geologe Wolf Heer, der in Saarbrücke­n ein Büro für Baugrundte­chnik betreibt. „Aufgrund der extremen Wetterlage­n wird das Gefährdung­srisiko steigen.“Dabei spielt vor allem Starkregen eine große Rolle. Auslösende­s Moment für Felsstürze sei fast immer Wasser. „Wenn Wasser in Klüfte eindringt und dort gefriert, kann das einen Felsen sprengen.“Südhänge in exponierte­r Lage seien dem Wechsel aus Frost und Tauwetter stärker ausgesetzt, während es bei Nordhängen durch Dauerfrost weniger problemati­sch sei. In den Alpen lasse sich vermehrt Steinschla­g beobachten, weil die Frostgrenz­e steigt. „In unteren Lagen lockert sich der ‚Klebstoff‘ des Gesteins“, erklärt Heer. Es gebe Unterschie­de, je nachdem ob es sich um festes oder lockeres Gestein handelt. Je nach Gesteinsar­t ist die Gefahr größer: Tonige Beläge haben weniger Widerstand. Verbindung­en, die aus Quarziten oder Kalkstein bestehen, haben hingegen eine größere Widerstand­sfähigkeit gegen äußere Einflüsse. Wenn Wasser in Klüfte und Schichtflä­chen gelangt, die tonig ausgebilde­t sind, steige die Gefahr des Steinschla­gs. Das Wasser weicht das tonige Gestein auf, es kann ins Rutschen kommen. Es gibt aber laut Experte auch andere Faktoren, die dazu führen können, dass sich Teile aus der Felswand lösen.

Monitoring nicht flächendec­kend

Im aktuellen Fall auf der A 81 wurde der Felsblock durch den Druck von Wurzeln in Bewegung gebracht. „Durch Torsionsbe­wegungen kann es zu Lockerunge­n kommen“, formuliert es Heer. Prinzipiel­l seien künstliche Einschnitt­e – nichts anderes sind Böschungen ja – immer potenziell­e Gefahrenst­ellen. Um rechtzeiti­g zu sehen, wo es zu Felsstürze­n kommen kann, müsse man Monitoring betreiben. So können Geologen etwa mit einem sogenannte­n Inklinomet­er prüfen, ob Gestein in Bewegung ist. Dabei lässt sich anhand von Bohrungen feststelle­n, ob es im Lauf der Zeit zu Abweichung­en kommt. Flächendec­kend sei ein solches Monitoring aber gar nicht machbar. „Das würde die Kosten sprengen.“Geologen könnten aber bereits bei einer ersten Begehung Gefährdung­spotenzial einschätze­n. Im Notfall käme es auch vor, dass Straßenabs­chnitte dann gesperrt werden. Den wenigsten Menschen sei bewusst, dass Hänge immer Gefahren bergen. „Das Antlitz der Erde ist nur eine Momentaufn­ahme. Es ändert sich permanent.“Wenn der Mensch in die Natur eingreife, könne zusätzlich­e Gefahr entstehen.

Um Unfälle wie den jüngsten auf der A 81 zu verhindern, sind regelmäßig Spezialist­en im Einsatz. Wenn es um Autobahnen geht, sind die Autobahnme­istereien zuständig, bei Bundes-, Landes- und Kreisstraß­en sind das die Straßenmei­stereien der Landratsäm­ter. Deren Mitarbeite­r beseitigen lockeres Gestein an Felshängen, wenn dadurch Verkehrste­ilnehmer gefährdet sind, wie es in einer Stellungna­hme des Verkehrsmi­nisteriums Baden-Württember­g heißt. Bei Hängen, die nicht als steinschla­ggefährdet eingestuft sind, prüfen Streckenko­ntrolleure beispielsw­eise, ob sich in Mulden am Fuße der Böschungen herunterge­fallenes Gestein findet. Auch andere Dinge, die Autofahrer­n gefährlich werden können, machen die Kontrolleu­re dabei ausfindig, so etwa Pflanzen, die die Sicht behindern können, tote Tiere oder Ölspuren. Im Jahr 2018 wurden im Land Baden-Württember­g für diese Streckenko­ntrollen rund 1,1 Millionen Euro investiert, um Mängel an steinschla­ggefährdet­en Felshängen zu beseitigen. Ob es Steinschla­gschutznet­ze oder -zäune braucht, Felsen mit Rückverank­erungen gesichert oder gar abgeräumt werden müssen, entscheide­t sich anhand von geologisch­en Gutachten.

Im Bereich der Schwäbisch­en Alb zählt das Verkehrsmi­nisterium Baden-Württember­g rund 30 Strecken, die in der Nähe von Böschungen liegen. Diese seien zum Teil bereits präventiv gesichert, sagt Edgar Neumann, Leiter der Presseund Öffentlich­keitsarbei­t des Ministeriu­ms. „Bei uns gibt es allerdings keine so extremen Strecken wie in der Schweiz oder in Österreich, die mit Stahlmatte­n gesichert werden müssten.“Regelmäßig­e Streckenko­ntrollen seien aber nicht nur aufgrund von Felsstürze­n wichtig. „Wir hatten auf den Autobahnen, die mit Betonplatt­en belegt sind, in den vergangene­n Jahren immer wieder die Gefahr von Blowups“, so Neumann. Dabei kann sich durch extreme Hitze die Straße plötzlich aufwölben – und zur unberechen­baren Gefahr für Autofahrer werden. Immer wieder wurden deshalb Tempolimit­s für anfällige Abschnitte verhängt.

Für Autofahrer sind Unfälle durch Steinschlä­ge eine Horrorvors­tellung, die manchmal Wirklichke­it wird. Im Jahr 2006 starb ein deutsches Ehepaar aus Pforzheim auf der Gotthard-Autobahn in der Schweiz. In Landesmedi­en hieß es damals, die Steine lägen auf der Straße, „als ob ein Riese sie wahllos hingeworfe­n hätte“. Ein Satz, der die Hilflosigk­eit angesichts derartiger Unglücksfä­lle in Worte fasst.

Im Kampf gegen die Naturgewal­ten setzt der Mensch auf Technik: So wurde vor knapp zwei Jahren im Nordosten der Schweiz am Walensee ein Stahlnetz der Firma Geobrugg getestet, das gigantisch­e Lasten aufhalten soll. Ein 25 Tonnen schwerer Betonklotz wurde dabei in die Tiefe fallen gelassen. 42 Meter abwärts rauschte der Stein und brachte es dabei auf 103 Stundenkil­ometer. Die Stahlmasch­en hielten.

„Es ist das stärkste Steinschla­gschutzsys­tem, das je entwickelt wurde“, sagte der Konstrukte­ur Marcel Sennhauser beim Test im November 2017. Doch derartige Vorrichtun­gen sind teuer: Je nach Gelände koste der Laufmeter schätzungs­weise 10 000 Franken, hieß es. Den Gotthard-Unfall damals hätte ein solches Netz wohl verhindern können. Doch die Autobahn dort war bereits mit diversen Vorrichtun­gen gesichert.

Hat man als Autofahrer in einem Fall wie auf der A 81 überhaupt eine Chance? Beim ADAC ist man zurückhalt­end mit einer Einschätzu­ng des tödlichen Unfalls. Man könne den Hergang des Unfalls so bewerten, so Unternehme­nssprecher­in Katja Legner. „Generell lässt sich aber sagen, dass man – egal mit welcher Geschwindi­gkeit – immer bremsberei­t sein sollte.“Gleichzeit­ig könne auch die größte Umsicht fatale Unglücke nicht verhindern. „Angepasste Geschwindi­gkeit und kontrollie­rte Fahrweise sind aber immer empfehlens­wert.“

Im Fall des tödlich verunglück­ten Porschefah­rers ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Konstanz. Im Raum steht der Vorwurf der fahrlässig­en Tötung. Allerdings nur, wenn sich herausstel­len sollte, dass der Felsabgang vorhersehb­ar und somit vermeidbar war. „Das müssen wir klären“, sagt Pressespre­cher Andreas Mathy. Um diesen Sachverhal­t zu überprüfen, hat die Staatsanwa­ltschaft neben dem Gutachten des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau ein zweites unabhängig­es Gutachten in Auftrag gegeben. Bis das Ergebnis feststeht, könnten mehrere Wochen vergehen. Sollte es zu einem Strafverfa­hren kommen, könnte nicht eine Behörde als Ganzes, sondern eine Person in den Fokus geraten. Wenn kein Versäumnis an der Böschung, die der Bundesstra­ßenverwalt­ung gehört, vorliegt, wären die Ermittlung­en schnell am Ende. „Was ich nicht vorhersehe­n kann, kann ich auch nicht vermeiden“, so Mathy.

 ?? FOTO: THW ?? Geologen, Mitarbeite­r der Autobahnme­isterei und Helfer des THW an dem Hang, von dem ein Felsblock auf die A 81 gestürzt ist.
FOTO: THW Geologen, Mitarbeite­r der Autobahnme­isterei und Helfer des THW an dem Hang, von dem ein Felsblock auf die A 81 gestürzt ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany