Mehr ist manchmal mehr
Get Well Soon mit opulenten Klängen im Ravensburger Konzerthaus
RAVENSBURG - Konstantin Gropper stolpert über die Bühne, die Slipper an den sockenlosen Füßen gleiten über den Bühnenboden, sein Sakko dürfte durchgeschwitzt sein. Der Musiker, der gerade wie ein Dandy im Rausch wirkt, fängt sich wieder. Er drischt auf die Gitarre ein, Schlagzeug, Bass und die „Big Band“auf dem Podest hinten, bestehend aus Streichern und Bläsern, alle vereinen sich zum Finale furioso. „I Sold My Hands For Food So Please Feed Me“heißt der Song im Zugabenblock, der das rund zweistündige Konzert beschließt. Der Song mit dem völlig radio-inkompatiblen Namen ist unverzichtbarer Bestandteil der Show von Get Well Soon, einer der relevantesten deutschen Indiebands, und stammt von deren 2008 veröffentlichtem Debütalbum. In seiner Dynamik ist er typisch für die Band, die der in Biberach geborene und in Erolzheim aufgewachsene Musiker gegründet hat, deren Mastermind er ist. Am Anfang der meist schwermütigen Songs fängt alles ganz ruhig und harmlos an, um am Ende in eine Kadenz der Emotionen zu münden.
Rund 500 Menschen sitzen im Konzerthaus – ja, es ist ein Sitzkonzert –, aber bei diesem entfesselten Stück folgen schließlich doch noch alle der Aufforderung, aufzustehen. „(Finally) A Convenient Truth“vom 2018er-Album „The Horror“folgte zuvor dem gleichen Prinzip: langsamer Aufbau mit Pianotupfern, dann ein Crescendo, intensiv wie eine aufgehende Sonne, die ihre gleißenden Strahlen über eine neblige Bucht ergießt. Zwischen den beiden Stücken liegen zehn Jahre, doch beide profitieren von den orchestralen Verzierungen, die Gropper auf „The Horror“zelebriert und zur Besonderheit der aktuellen Tour macht. Get Well Soon treten nicht als Indierockband auf, sondern verstärkt um Streicher und Bläser, die mal dissonant Unbehagen verbreiten dürfen wie in „The Only Thing We Have To Fear“, mal songdienlich den Schmelz von Songs wie „It’s Love“in Noten hüllen.
Dabei kann das orchestrale Experiment auch ins Auge gehen. In der Regel, so das Klischee, sind Streicher ein Anzeichen dafür, dass einem Künstler die Ideen ausgehen. Die alten Großtaten werden dann mit Pomp aufgehübscht und auf neu getrimmt. Um derlei Vorwürfe muss sich Konstantin Gropper keine Gedanken
machen, sie wären an den Haaren herbeigezogen. Im Gegenteil: Songs wie „Roland, I Feel You“gewinnen durch die opulente Instrumentierung – 14 Musiker sind auf der Bühne – an Komplexität, und im Konzerthaus mit seiner edlen Fassade und angegrautem Neobarockcharme kommen sie perfekt zur Geltung. Auf „The Horror“hat Gropper drei seiner Alpträume vertont. Einerseits huldigt der 37-Jährige dabei Frank Sinatra, doch immer wieder denkt man an diesem Abend an Regiekauz David Lynch und dessen verstörende Bilderwelten wie in der Mysteryserie „Twin Peaks“, die von Angelo Badalementi mit einem eigentümlichen Soundtrack unterlegt wurde. In das lässige Swingen mischen sich immer wieder surreale Tupfer. So wird ein Alptraum, in dessen Mittelpunkt ein Abendessen mit Hermann Göring steht, zu einer Bossa-Nova-Nummer, bei der Gropper im Duett mit dem kanadischen Sänger Sam Vance-Law singt („Nightmare No. 2 (Dinner at Carinhall)“).
Am Ende gibt es Ovationen von Fans, Freunden und Familienangehörigen der Musiker, die das QuasiHeimspiel miterleben. Wenn Horror nur immer so ästhetisch wäre.