Polizisten warten auf Schmerzensgeld
Staat leistet Schmerzensgeld-Zahlung – SPD und Gewerkschaften kritisieren Abwicklung
STUTTGART (kab) - 2018 wurden im Südwesten 10 700 Polizisten im Dienst verletzt, 2019 werden es noch mehr sein. Betroffene können ihre Angreifer auf Schmerzensgeld verklagen, doch oft können Täter nicht zahlen. Seit einem Jahr streckt das Land das Schmerzensgeld vor, in Bayern gibt es diese Möglichkeit seit 2015. Doch SPD und Gewerkschafter sind nicht zufrieden: Bislang wurden in Baden-Württemberg 178 Anträge von Polizisten gestellt, aber nur 14 bearbeitet. Eine „sehr klägliche“Bilanz, so SPD-Innenexperte Sascha Binder.
STUTTGART - Sie werden geschlagen, getreten, bespuckt: Polizisten werden im Dienst immer häufiger Opfer von Gewalt. Werden sie dabei verletzt, können sie Schmerzensgeld einklagen. Auch wenn sie vor Gericht Recht bekommen, gehen sie mitunter leer aus – immer dann, wenn beim Täter nichts zu holen ist. Seit einem knappen Jahr ist das anders. Das Land zahlt in solchen Fällen das Schmerzensgeld. So die Theorie. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert aber bereits Nachbesserung.
Andere Bundesländer hatten vorgelegt – unter anderem Bayern. Der Freistaat erstattet seinen Beamten seit 2015 das Schmerzensgeld, wenn der Täter nicht zahlen kann. Laut Innenministerium wurden seitdem 141 Anträge von betroffenen Beamten bewilligt. Baden-Württemberg hat vor einem Jahr nachgezogen und eine ähnliche Regel im Beamtengesetz verankert. Seitdem haben 178 Polizisten einen entsprechenden Antrag gestellt, erklärt Innen-Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) auf Anfrage des SPD-Innenexperten Sascha Binder. Neun davon stammen aus dem Bereich des Polizeipräsidiums Aalen, zehn aus Konstanz, 18 aus Tuttlingen sowie elf aus Ulm.
SPD kritisiert „klägliche Bilanz“
Laut Klenk sind 14 der 178 Anträge bislang abgearbeitet. „Die Prüfung eines Antrags kann einige Zeit in Anspruch nehmen“, so Klenk in seiner Antwort. Binder nennt diese Bilanz „doch sehr kläglich“. Er wirft Innenminister Thomas Strobl (CDU) Versäumnisse vor. Dieser hätte mit einer besseren Vorbereitung für mehr Klarheit bei der Polizei sorgen können, erklärt Binder. Die Beamten hätten ein Dreivierteljahr auf Hinweise zur Durchführung der Anträge warten müssen, kritisiert der Sozialdemokrat.
Das sehen die Interessenvertreter der Polizei ähnlich. „Wir hatten viele Vorgänge auf Halde“, sagt Hans-Jürgen Kirstein. Landeschef der Gewerkschaft der Polizei. „Es hat zu lange gedauert, das ist ärgerlich.“Auch Ralf Kusterer, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Südwesten, beklagt die Verzögerung. „Es gab lange kein Formular oder Prozedere.“Manche Kollegen hätte einen Antrag dennoch formlos gestellt, um Fristen zu wahren.
Grundsätzlich lobt Kusterer die neu geschaffene Regelung. „Vermutlich haben 178 Kolleginnen und Kollegen nun die Chance, ein Schmerzensgeld zu bekommen, wo sie vorher leer ausgegangen wären“, sagt er. Allein aus seinem Verband seien im vergangenen Jahr 1200 Polizisten tätlich angegriffen worden. 70 Prozent von ihnen hätten auf Schmerzensgeld geklagt. Wie viele mit Erfolg, könne er nicht sagen. Bis darüber entschieden sei, dauere es stets ein bis zwei Jahren. Was er indes weiß: 2018 flossen 70 000 Euro Schmerzensgeld an DPolG-Mitglieder im Land.
Und Kusterer rechnet mit einer weiteren Zunahme. 2014 gab es noch knapp 3800 gewalttätige Angriffe auf Polizisten. Diese Zahl ist laut Polizeilicher Kriminalstatistik über die Jahre stetig gestiegen, auf knapp 4800 im vergangenen Jahr. Oft werden mehrere Polizisten zugleich attackiert. Entsprechend weist die Statistik für 2014 rund 7500 Opfer von Gewalt aus. 2018 waren es 10 700. Für das laufende Jahr rechnet das Innenministerium mit einer weiteren Zunahme. Das bestätigen die Zahlen der DPolG: Schon jetzt verzeichnet die Gewerkschaft laut Kusterer mehr verletzte Mitglieder als im gesamten Jahr 2018.
Nachbesserungen möglich
Die Regelung in Baden-Württemberg zum Schadensersatz geht zum Teil über das hinaus, was andere Länder ihren Beamten bietet, betont ein Sprecher von Innenminister Strobl. Zwei Beispiele: In Bayern etwa gibt es eine Mindestschadenshöhe von 500 Euro – im Südwesten nicht. Im Nachbarland zahlt der Staat auch erst, wenn zuvor versucht wurde, das Schmerzensgeld beim Täter einzutreiben. Auch diese Bedingung gibt es in Baden-Württemberg nicht.
Alles gut, sagt Kusterer – und doch gehe die Regelung nicht weit genug. Nur wer die Beamten vorsätzlich verletzte, müsse Schadensersatz zahlen. Und da der Staat nur einspringt, wenn das Opfer ein Anrecht auf Schadensersatz hat, gehen die Polizisten in den anderen Fällen leer aus. Dafür hat Kusterer kein Verständnis. „Wer in einer dienstlichen Handlung verletzt wird, muss entschädigt werden“, fordert der DPolG-Landeschef. Das gelte auch dann, wenn ein Täter von Alkohol oder Drogen berauscht oder psychisch krank sei. Dann haben die verletzten Beamten mitunter nämlich auch keinen Anspruch auf Schadensersatz. Der Staat müsse aber in solchen Fällen ebenfalls seiner Fürsorgepflicht nachkommen, erklärt Kusterer.
Das Innenministerium nimmt die Kritik offenbar ernst. Zunächst solle die neue Regelung in der Praxis ein bis eineinhalb Jahre erprobt werden, erklärt ein Sprecher Strobls. Und zwar ab der Veröffentlichung der Durchführungshinweise Ende August. Danach wolle sich das Ministerium mit den Polizeidienststellen und Gewerkschaften austauschen – und wenn nötig am Gesetz nachbessern.