Keine Regierung für Thüringen in Sicht
Rekordergebnis für Linke – Rot-Rot-Grün abgewählt – CDU großer Verlierer – AfD stark
ERFURT (sal/dpa/AFP) - Historischer Sieg für Bodo Ramelow in Thüringen, aber große Ungewissheit über die künftige Regierung: Der Ministerpräsident und seine Linkspartei sind bei der Landtagswahl am Sonntag erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft geworden. Die bisherige rot-rot-grüne Koalition verlor jedoch ihre Mehrheit. Die CDU, stürzte auf ihr schlechtestes Ergebnis. Sie kam auf Platz drei hinter der AfD. Die Suche nach einer Koalition dürfte äußerst schwierig werden.
Ramelow, der bisher einzige Linke-Ministerpräsident in Deutschland, sprach mit Blick auf die Regierungsbildung von einer komplizierten Aufgabe. Er betonte aber: „Ich sehe mich ganz klar bestätigt. Bei dem Zustimmungswert, den meine Partei bekommen hat, ist der Regierungsauftrag klar bei meiner Partei.“
Für die CDU ist das Ergebnis besonders bitter. Ihr Kandidat Mike Mohring hatte damit gerechnet, ein Bündnis mit SPD, Grünen und FDP schmieden zu können. Doch selbst für dieses Viererbündnis gibt es nun keine Mehrheiten. Damit stellt sich für die CDU die Frage, ob sie mit den Linken koalieren soll. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schloss das am Wahlabend weiter kategorisch aus: „Unser Wort gilt auch nach den Wahlen: Es wird keine Koalition der CDU mit der Linkspartei oder der AfD geben.“Mohring sagte jedoch, das Fehlen von Mehrheiten in der Mitte verlange nach neuen Antworten.
Eine solche neue Antwort hätte die AfD parat. Parteichef Alexander Gauland bot der CDU an, mit ihr zu koalieren, wenn Mohring „den Mumm“dazu hätte. Allerdings hätten auch CDU und AfD zusammen keine Mehrheit im Erfurter Landtag. AfD-Spitzenkandidat Höcke sprach von einem „grandiosen Erfolg“. Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD äußerten sich entsetzt über das Abschneiden der Rechtspopulisten unter ihrem radikalen Flügelmann.
Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer war enttäuscht über das historisch schlechte Wahlergebnis ihrer Partei. Grünen-Chef Robert Habeck sagte, Thüringen stehe vor „kompliziertesten“Verhandlungen: „In einer Phase, in der sich die Demokratie neu sortiert, können wir Ausschließeritis nicht gebrauchen.“
Sollte keine neue Regierung zustande kommen, könnten Ramelow und seine rot-rot-grünen Minister nach Artikel 75 Absatz 3 der Landesverfassung kommissarisch im Amt bleiben.
BERLIN - Dass es knapp wird, darauf waren alle an diesem Wahlabend im Adenauer-Haus gefasst. Nur wenige Gäste waren gekommen, um bei Thüringer Rostbratwurst und Zwiebelkuchen den Wahlabend zu erleben. Doch bis zuletzt hofften viele in der CDU, die Wahl in Thüringen doch noch zu ihren Gunsten drehen zu können.
Schließlich haben die Christdemokraten jahrelang das Land regiert, und ihr Spitzenkandidat Mike Mohring ist ein Politiker, der gut ankommt. Doch die Hoffnung war trügerisch. Die CDU muss eine herbe Schlappe einstecken und rangiert hinter der AfD. Als die ersten Prognosen über die Bildschirme flimmern, gibt es gar keine Reaktionen, es bleibt still.
Die Frage aller Fragen
Denn allen ist da schon klar: Es wird wieder die Frage diskutiert werden, ob die CDU nicht ihr Herz über die Hürde werfen und mit den Linken koalieren muss. Mohring, der Spitzenkandidat der CDU in Thüringen, hatte das immer ausgeschlossen und darauf gesetzt, es doch noch zu schaffen und am Ende ein Bündnis mit SPD, Grünen und FDP schmieden zu können. Doch selbst das reicht nicht für eine Mehrheit.
Mohrings persönliche Werte waren besser als die seiner Partei. „Weil das Vertrauen in die Arbeit der Großen Koalition fehlt“, hatte Mohring in einem ARD- Interview Ende September gesagt. Doch jetzt ist die Devise: sich nicht gegenseitig die Schuld zuschieben. Im AdenauerHaus war nur eine kleine Runde um die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer versammelt, nur Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von SachsenAnhalt, war gekommen. Er spricht von einem „bitteren Tag für die demokratische Mitte“. Schon um 18.30 Uhr tritt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kurz vor die Presse, um Mohring zu danken für seinen Wahlkampf „mit Leidenschaft und Herzblut“. Und dann kommt er zur Kernaussage: „Unser Wort gilt nach den Wahlen genau, wie wir es vor den Wahlen gesagt haben: Es wird keine Koalition der CDU mit der Linkspartei oder der AfD geben. “Da brandet zum ersten Mal an diesem Abend Beifall bei den CDU-Anhängern auf.
Mohring will reden
Doch Reiner Haseloff und Mike Mohring äußern sich an diesem Abend längst nicht so klar. Haseloff meint, man müsse das Ergebnis in Ruhe abwarten, und es müsse am Ende eine stabile Mehrheit geben. Und der thüringische CDU-Landeschef meint in Erfurt, man habe mit diesem Wahlergebnis nicht gerechnet. Das verlange „neue Antworten“. Er mahnt wie Haseloff die Verantwortung an, eine stabile Regierung zu bekommen. Die Wähler wollten, dass man miteinander spreche – über die Lager hinweg.
Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hatte vor kurzer Zeit genau dies der CDU empfohlen und damit Mohring veärgert. „Wir kommen beide aus dem Neuen Forum, der Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Doch wie kann er uns in diesen Oktobertagen, an denen unter anderen Umständen 70 Jahre DDR gefeiert worden wären, den Rat erteilen, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten?“Doch nicht nur die CDU, auch die SPD und die Grünen müssen an diesem Abend in Berlin erst einmal ihre Schlappen wegstecken. Die SPD ist jetzt einstellig geworden in Thüringen, im ARD-Wahlstudio kommentiert als erstes Olaf Scholz das Ergebnis. Das Wahlabschneiden der AfD bedrücke ihn sehr.
Harter Gegenwind für Grüne
Auch bei den Grünen ist die Stimmung schlecht. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagt, sie sei enttäuscht, dass man es nicht geschafft habe, in strukturschwache Regionen vorzudringen. Gerade beim Klimaschutz hatte man harten Gegenwind. „Erschüttert“sei sie, so Baerbock, über die AfD, die mit einem Faschisten angetreten sei. „Weiter und jetzt erst recht“werde man mit der Zivilgesellschaft kämpfen.
Die FDP, an Zitterpartien gewöhnt, muss auch an diesem Abend starke Nerven haben. FDP-Bundeschef Christian Lindner zitiert Otto Graf Lambsdorff, der einmal sagte: „FDP, das ist nichts für Leute mit schwachen Nerven.“Doch freute sich der FDPVorsitzende schon einmal, dass seine Partei wohl mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten hat wie 2014 – „das ist ein toller Erfolg“, sagte er auf der FDP-Wahlparty. Damit sei es möglicherweise gelungen, nach zehn Jahren wieder in einen ostdeutschen Landtag einzuziehen.