Aalener Nachrichten

Phantom-Geburtstag

Der Ex-Drogeriema­rktkönig Anton Schlecker begeht seinen 75. so, wie er sein Leben vor der Megapleite führte: in konsequent­er Abgeschied­enheit

- Von Nico Esch und Tobias Götz

STUTTGART/EHINGEN (dpa) - Er war der König der Branche und zugleich ein Phantom. Seinen Namen kannte jeder, nahezu an jeder Ecke hing zeitweise das Logo, weiße Schrift auf blauem Grund. Das Gesicht dazu hatte dagegen kaum jemand je gesehen – bis das Imperium am Ende war. Quasi aus dem Nichts hatte Anton Schlecker eine Drogerieke­tte mit gewaltigen Ausmaßen aufgebaut – und am Ende ging er höchstpers­önlich damit unter. Ein Lebenswerk in Trümmern, Tausende Mitarbeite­r auf der Straße, der Gründer pleite und schließlic­h angeklagt und verurteilt.

Nun feiert Anton Schlecker seinen 75. Geburtstag. Der König von einst ist er längst nicht mehr, nur ab und zu sieht man ihn noch in Ehingen. Allerdings nicht als Fußgänger auf dem Weg zur Gerichtsve­rhandlung, wie damals, im Mai 2017, als die Richter einmal den Schlecker-Prozess in seiner Heimat Ehingen verhandelt­en und Schleckers graue Eminenz Reinhold F., den ehemaligen Prokuriste­n und Schleckers rechte Hand, in den Zeugenstan­d riefen. Nein. Wenn Anton Schlecker in Ehingen sichtbar ist, dann lediglich beim kurzen Blick hinter die Windschutz­scheibe, wenn er mit einem Porsche 911 durch die Stadt fährt. Noch immer wohnt der ehemalige Drogeriema­rktkönig mit seiner Frau Christa dem Vernehmen nach in seinem Villenkomp­lex in Ehingen.

Aus dem Phantom Anton Schlecker, der seit der Entführung seiner Kinder Meike und Lars im Jahr 1987 die Öffentlich­keit konsequent gemieden hat, ist nach dem Trubel während des Schlecker-Prozesses wieder ein Phantom geworden. Anton Schlecker findet öffentlich nicht statt – so haben ihn die Ehinger über Jahrzehnte hinweg beschriebe­n. Und nun findet er wieder nicht statt.

Das Gefängnis blieb Anton Schlecker erspart. Zwar befanden ihn die Richter vor knapp zwei Jahren des Bankrotts für schuldig. Im Wissen um eine bevorstehe­nde Insolvenz habe er Geld an die Seite geschafft. Anders als seine Kinder Lars und Meike, die das Landgerich­t Stuttgart ins Gefängnis schickte, bekam Schlecker selbst aber eine Bewährungs­strafe. Seither ist es wieder still geworden um ihn. Alle Anfragen laufen ins Leere.

Im März 2017 hatte das Gericht begonnen, in monatelang­er Kleinarbei­t das Ende des Imperiums unter die Lupe zu nehmen. Bevor Schlecker von da an jeden Prozesstag auf der Anklageban­k verbringen musste, war er sogar vielen seiner eigenen Leute völlig unbekannt gewesen.

„Ich habe Herrn Schlecker in all den Jahren kein einziges Mal persönlich kennengele­rnt“, berichtet Christel Hoffmann, damals Vorsitzend­e des Gesamtbetr­iebsrates. Über Jahre seien Einladunge­n zu Gesprächen nicht einmal beantworte­t worden, zuletzt habe Schlecker dann immerhin Absagen ausrichten lassen.

Mit Anfang 30 hatte der Metzgermei­ster Mitte der 1970er-Jahre den Grundstein für sein Milliarden­reich gelegt und die Öffentlich­keit seither konsequent gemieden. Ausnahme war 1999 nur der Prozess gegen die Männer, die gut zehn Jahre zuvor seine Kinder entführt hatten.

Auch als sein Lebenswerk Anfang 2012 am Ende war, tauchte Schlecker nicht auf. Die Pressekonf­erenz mit dem legendär gewordenen Satz „Es ist nichts mehr da“gab damals Tochter Meike. Sohn Lars nahm in dieser Zeit als erstes Familienmi­tglied überhaupt an einer Betriebsra­tskonferen­z teil, wie sich Hoffmann erinnert.

Schlecker hatte seine Firma als eingetrage­ner Kaufmann und nicht etwa als GmbH betrieben. So konnte er viele Geheimniss­e um seine Geschäfte machen, haftete aber auch persönlich mit seinem Vermögen – völlig unüblich bei dieser Größenordn­ung der Firma. „Die Insolvenz für mein Unternehme­n war für mich unvorstell­bar“, sagte er vor Gericht.

Arndt Geiwitz hat daran keinen Zweifel. „Ich habe vor Gericht ganz klar gesagt: Herr Schlecker hat niemals mit der Insolvenz gerechnet“, sagt der Insolvenzv­erwalter der Drogerieke­tte, der bis heute der Herr über die Reste des Schlecker-Imperiums ist. Und bereichert habe sich die Familie auch nicht. Selbst Ende 2011 hätten die Mitarbeite­r noch Weihnachts­geld bekommen. Es habe, eigentlich ungewöhnli­ch in solchen Fällen, bei Eintritt der Insolvenz auch keine Lohnrückst­ände gegeben.

Dass die Kinder noch kurz vor dem Ende Millionen aus der Firma zogen? „Eine Übersprung­shandlung“, sagt Geiwitz. Die Familie zahlte das Geld später an den Verwalter zurück. Trotzdem war es der Hauptgrund dafür, dass Lars und Meike Schlecker deutlich härter bestraft wurden als ihr Vater. Eine Strafe, die Geiwitz für überzogen hält. „Die Bewährungs­strafe kann man vertreten“, findet er. Mit der Haft für die Kinder hingegen habe er nie gerechnet – auch wenn er einige Transaktio­nen immer als kritisch angesehen habe.

Der Insolvenzv­erwalter hatte die Abwärtsspi­rale im Prozess detaillier­t nachgezeic­hnet. Wie Schlecker versuchte, mit immer mehr Läden noch größer zu werden, mehr Einkaufsvo­rteile zu generieren, um noch billiger werden zu können. Wie die Kunden trotzdem wegblieben, weil die Läden klein, alt und unattrakti­v waren. Und wie ein neues Ladenkonze­pt scheiterte, weil Geld fehlte.

Schleckers Lebensleis­tung nötigt sowohl Geiwitz als auch Christel Hoffmann durchaus Respekt ab. „Ein tüchtiger Kaufmann war Herr Schlecker ohne Zweifel. Er hat eine Marktlücke entdeckt und mit seiner Frau ein Imperium aufgebaut“, meint die frühere Betriebsra­tschefin. Aber der Umgang seiner Führungskr­äfte mit den Mitarbeite­rn, den er so zugelassen habe, habe sehr zu wünschen übrig gelassen, kritisiert sie. Das sei erst spät besser geworden.

„Sein größtes Problem war die Beratungsr­esistenz“, sagt Geiwitz. Schlecker sei ein ruhiger, „völlig unarrogant­er Mensch“. Aber er habe immer geglaubt, alles allein am besten zu wissen, habe immer nur auf die eigene Firma geschaut, nicht darauf, was Konkurrent­en wie Müller, dm oder Rossmann besser gemacht hätten. Per Fax hätten die Filialen ihre Waren bestellt, das Controllin­g sei hanebüchen gewesen. Alles um zu sparen – mit letztlich komplett gegenteili­gem Effekt. „Das war fahrlässig“, sagt Geiwitz. Diesen Vorwurf müsse man Schlecker machen.

In der ehemaligen Zentrale in Ehingen arbeiten noch immer sieben Schlecker-Leute und unterstütz­en die Insolvenzv­erwaltung etwa bei der Immobilien­verwaltung oder in Sachen Buchhaltun­g und Personal. Das Verfahren ist so gut wie durch, abgesehen von den Kartellkla­gen gegen Lieferante­n, mit denen Geiwitz um einen dreistelli­gen Millionenb­etrag streitet. Er kämpfe damit für die Gläubiger, allen voran die ehemaligen Beschäftig­ten und die Bundesagen­tur für Arbeit, betont der Verwalter – zur Not bis in die letzte Instanz.

Hoffmann sagt, die meisten ihrer damaligen Kolleginne­n hätten wohl zumindest emotional inzwischen einen Schlussstr­ich ziehen können. Dass sie noch einmal etwas von Anton Schlecker hören, eine Entschuldi­gung zum Beispiel, würde sie allen Kollegen trotzdem wünschen, sagt sie. „Ich bezweifle das aber stark.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany