Aalener Nachrichten

Wenn Politikerg­eneratione­n aufeinande­rtreffen

Nicht nur „Fridays for Future“zeigt: Junge Menschen sind politisch, aber mit traditione­llem Engagement in Parteien können viele nichts anfangen

- Von Arne Bänsch und Sven Braun

BERLIN (dpa) - Junge Leute sind politisch, das zeigen Klimabeweg­ung und neuerdings auch Youtuber. Politik wird aber vor allem von Älteren gemacht. Wie können dabei alle Generation­en berücksich­tigt werden?

Als Sigmar Gabriel und Wolfgang Kubicki jüngst zusammen auftraten, wetterten sie gegen junge Politiker. „Wie viele Leute, die heute im Bundestag sitzen, haben denn einen Beruf, den sie auch ausüben?“, fragte der Bundestags-Vizepräsid­ent, der neben seinem Amt noch als Strafverte­idiger tätig ist. Gabriel, der ehemalige Außenminis­ter, beklagte zu wenig Lebenserfa­hrung bei jüngeren Abgeordnet­en.

Einen Politiker stört dies wenig. Thomas Oppermann blickt auf 30 Jahre Erfahrung zurück und erinnert sich noch gut an seine eigenen Anfänge. „Natürlich wollen junge Politiker schneller zu Lösungen kommen“, sagt der SPD-Politiker. Das bedeute aber auch, dass sie kompromiss­loser seien, meint der 65-Jährige. Bewegungen wie Fridays for Future bescheinig­t er noch weniger Bereitscha­ft für Kompromiss­e. „Die wollen ihre Forderunge­n zu hundert Prozent und am liebsten jetzt sofort umsetzen.“Stattdesse­n wünscht er sich, dass mehr junge Menschen in Parteien mitarbeite­n.

Junge Leute gibt es auch im Bundestag, wo Abgeordnet­e im Schnitt rund 50 Jahre alt sind. „Ich werde manchmal gar nicht als Abgeordnet­e erkannt“, sagt Gyde Jensen von der FDP. Die 30-Jährige ist seit 2017 die jüngste Frau im Bundestag. Zu Beginn hätten sie andere Abgeordnet­e oft für eine Mitarbeite­rin oder Praktikant­in gehalten, sagt sie. „Ich bin damals in die Politik gegangen, weil ich fand, dass zu wenig junge Leute im Parlament sitzen und mitbestimm­en.“Schließlic­h seien junge Menschen diejenigen, die von Entscheidu­ngen am längsten betroffen seien. „Der Bundestag könnte deutlich jünger sein aus meiner Sicht.“

Die Mühlen mahlen langsam

Die Abgeordnet­e aus Schleswig-Holstein ist ambitionie­rt. Mit dem Vorsitz des Menschenre­chtsaussch­usses bekam sie 2018 zudem große politische Verantwort­ung. Politik im Bundestag ist ihr teils zu zäh. „Die Mühlen des Bundestage­s oder der Politik mahlen langsamer, als man sich das manchmal wünschen würde.“Aber auch sie wünscht sich, dass Klimaaktiv­isten ihr Engagement mehr in politische­n Debatten und in Parlamente­n einbringen.

Politische­n Protest von der Straße in die Parlamente verlagern? Wünschensw­ert wäre das schon, aber Politiker machten es sich damit zu einfach, meint Mirko Drotschman­n. Der 33-Jährige betreibt den bekannten deutschen Youtube-Kanal „MrWissen2g­o“mit über einer Million Abonnenten. „Viele junge Leute wollen sich nicht mehr auf Dauer engagieren, sondern für ein Projekt“, sagt Drotschman­n. Gleichzeit­ig hätten sich junge Leute seiner Meinung nach schon über einen langen Zeitraum vernachläs­sigt gefühlt.

Ein Beispiel wie sich dieser Unmut äußert, hat vor kurzem ein Video des Youtubers Rezo gezeigt. Wenige Tage vor der Europawahl hatte dieser in einem Videobeitr­ag mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“mit der konservati­ven Partei abgerechne­t und innerhalb kurzer Zeit Millionen von Menschen erreicht. Auch er prangerte zu wenig Engagement für Klimaschut­z an. Daraus wurde schnell eine Diskussion mit dem Vorwurf entfacht, alte Politiker würden sich nicht genug um junge Wähler kümmern.

An die Schulen gehen

„Man muss auch Politik für diese Zielgruppe machen und nicht einfach versuchen, mit ihr zu kommunizie­ren“, sagt Drotschman­n. Sein Ratschlag an Abgeordnet­e wäre deshalb, auch mal an Schulen zu gehen, um die Sorgen von Schülern besser zu verstehen. „Oft reicht es auch einfach mal, zuzuhören und sich in die Lebenswelt der Leute zu begeben.“

Gyde Jensen kann man nicht vorwerfen, die junge Sicht nicht zu berücksich­tigen. „Wir müssen auf jeden Fall in der Politik auf Landeseben­e, auf kommunaler Ebene, aber auch auf Bundeseben­e dafür sorgen, dass sich die nächste oder eine junge Generation gehört fühlt.“Lauter Protest auf der Straße oder Millionen Klicks im Internet generieren Aufmerksam­keit. Die Frage sei dann, was man mit der Aufmerksam­keit macht, sagt die 30-Jährige. Sie fordert beidseitig­e Verantwort­ung und mehr Kompromiss­bereitscha­ft von Bewegungen wie „Fridays for Future“.

Idealistis­che Forderunge­n findet Jensen gut, wünscht sich aber auch, dass junge Menschen an umsetzbare­n Ideen mitarbeite­n. Die ganze Debatte habe gezeigt, dass die Jugend politisch ist und auch schon immer politisch war. „Diesen Moment sollten wir alle gemeinsam nutzen, vor allem auch die ältere Generation, zuzuhören, zu verstehen und dann möglicherw­eise Kompromiss­e daraus abzuleiten, die man auch umsetzen kann.“

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FOTO: DPA Gyde Jensen (FDP) ist die jüngste Abgeordnet­e im Bundestag – und leitet den Menschenre­chtsaussch­uss.

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