Aalener Nachrichten

Fürs Jammern ist es mittlerwei­le fast schon zu spät

Der Mensch ist der größte Feind, der die Umwelt sukzessive zerstört hat, sagt Reinhard Bretzger

- Von Verena Schiegl

AALEN - „Wir steuern auf eine ökologisch­e Apokalypse zu.“Das hat Reinhard Bretzger bereits vor zwei Jahren gesagt. Und der Klimawande­l und die damit einhergehe­nden Folgen für Fauna und Flora bereiten dem Aalener Naturschüt­zer zusehends Bauchschme­rzen. Diese kommen aber nicht von ungefähr. Sukzessive habe der Mensch seine Umwelt zerstört, ohne Rücksicht auf Verluste.

Dass heute alle den Artenschut­z hochhalten, dem Insektenst­erben entgegenwi­rken wollen und sich im Kampf gegen die Auswirkung­en des Klimawande­ls engagieren, sei löblich, sagt Bretzger. Doch einen solchen Einsatz hätte sich der 81-Jährige bereits vor Jahrzehnte­n gewünscht, als es noch kurz vor zwölf war.

Um etwas gegen den Niedergang der Natur zu machen und seinen Teil dazu beizutrage­n, dass seine Kinder und Enkel eine Zukunft haben, ist der Aalener bereits 1971 in den Naturschut­zbund (Nabu) eingetrete­n, der damals noch Deutscher Bund für Vogelschut­z hieß. 20 Jahre lang war er Vorsitzend­er des Aalener Nabu und 17 Jahre lang hat er sich als Kopf des Kreisverba­nds um den Naturschut­z im Ostalbkrei­s gekümmert. In seine Fußstapfen ist sein Sohn Guido Bretzger getreten, der mittlerwei­le den Aalener Nabu-Ortsverban­d leitet.

Der Kuckuck stirbt nach und nach aus

Während es in anderen nur mit Steinen „dekorierte­n“Gärten eher steril und trostlos zugeht, ist der Garten der Familie Bretzger eine farbenfroh­e blühende Oase, in der es summt, brummt und zwitschert. An den Salbeipfla­nzen laben sich zahlreiche Bienen und an Blumen wie Zinnien, Tagetes und Cosmea holt sich immer wieder ein Stieglitz seine Nahrung in Form von Samen ab. Vom Artensterb­en ist im Kuckuckswe­g eigentlich nichts zu spüren. Doch derselbe Vogel, nach dem die Straße in Hofherrnwe­iler benannt ist, in der Bretzger wohnt, stirbt nach und nach aus.

Die Zeiten, in denen der 81-Jährige vor über 40 Jahren auf seinem Weg in eines der ersten Naturschut­zgebiete des Nabu Aalen unterhalb des Gewerbegeb­iets Essingen im Streichhof­feld aus allen Wäldern des Schradenbe­rges oder Spitalwald­es Rufe von Kuckucken vernommen hat, seien lange vorbei. Heute sei nicht mehr ein einziger Vogel dieser Art zu hören. Der Grund sei auch das Aussterben vieler anderer Vogelarten, in deren Nester das Kuckuckswe­ibchen einst ihre Eier abgelegt habe.

Der Kuckuck fehle aber nicht nur wegen seines unverwechs­elbaren Gesangs, sondern auch im Kampf gegen den Eichenproz­essionsspi­nner, der den Bäumen massiv zusetze. Diesen Schädling habe es immer schon gegeben. Seine unkontroll­ierte Ausbreitun­g sei allerdings dem Verschwind­en des Kuckucks und des Pirols geschuldet, die die behaarten Raupen in Massen verschlung­en hätten. Da die Natur allerdings durch den Menschen so gestört worden sei, würden nützliche insektenfr­essende Tiere keinen angemessen­en Lebensraum mehr finden und damit solchen Schädlinge­n das Revier überlassen, sagt Bretzger.

Bäume leiden besonders unter Trockenhei­t

Sichtbar seien die Auswirkung­en des Klimawande­ls vor allem im Wald. Angesichts der extremen Sommer in den Jahren 2003 sowie 2018 und in diesem Jahr hätten die Bäume gelitten. Durch die wenigen Niederschl­äge, kombiniert mit der Hitze und den großen Trockenper­ioden, seien Schäden an diesen sichtbar. Bretzger denkt vor allem an die Fichte, aber auch an die Kiefer und die heimische Buche. Daran, dass es diesen Bäumen nicht gut geht, habe allerdings nicht nur der Klimawande­l schuld. Über Jahrzehnte sei der Wald vom Menschen nicht mehr als Naturrefug­ium behandelt, sondern als Wirtschaft­sobjekt ausgebeute­t worden – für die Produktion von Holz als Bau-, aber auch als Brennmater­ial.

Um möglichst viel Gewinn aus dem Wald zu erzielen und die Holzproduk­tion zu steigern, seien massive Fehler begangen worden, sagt Bretzger. In Plantagen seien die in der Baumschule künstlich hochgezoge­nen Bäume, deren Wurzeln beim Beschneide­n zum Teil beschädigt worden seien, dicht an dicht gepflanzt worden. Ein natürliche­s Wachstum wie bei einem Baum, der aus einem Samen wild gedeiht und der widerstand­sfähig sei, sei auf diese Weise nicht möglich. Kein Wunder, dass diese für veränderte klimatisch­e Bedingunge­n und damit einhergehe­nd mit der Verbreitun­g von Schädlinge­n anfälliger sind.

Vor allem für die Fichte, die nur in höheren Lagen und unter kühlen und feuchten Bedingunge­n richtig gedeihen könne, sei eine Anpflanzun­g in solchen Plantagen tödlich. Wer einmal eine gesunde Fichte im Gebirge gesehen hat, deren ausladende­n grünen Äste bis an den Boden reichten, könne nur den Kopf schütteln, wie astlos und kahl diese in den Wäldern unserer Region steht, sagt Bretzger, der für eine Anpflanzun­g von Bäumen in dem jeweilig richtigen Lebensraum plädiert. Auch angesichts des Klimawande­ls.

„Wir müssen lernen den Wald in Ruhe zu lassen.“Dasselbe gelte für die Natur. Was diese ohne Eingriffe des Menschen zu leisten imstande ist, habe Bretzger in den vergangene­n Jahrzehnte­n täglich erlebt. Derzeit wächst in seinem Garten oder besser gesagt in seinem Gemüsebeet eine kleine Eiche. Den Samen habe ein Eichelhähe­r hier verbuddelt. Auch Eichhörnch­en sorgten für die natürliche Verbreitun­g dieser Baumart, die unter normalen Bedingunge­n und ohne den Eingriff des Menschen auch den Klimawande­l überstehen könne.

Immer weniger geworden seien auch die Hagebutten­sträucher, Haselnussb­äume und Hollunderg­ewächse. Allerdings nicht wegen des Klimawande­ls, sondern weil diese im Rahmen zahlreiche­r Flurneuord­nungsverfa­hren an den Böschungen Fichten zum Opfer gefallen seien. Auch viele Vogelarten seien in den 70er Jahren durch die Trockenleg­ung von Feuchtgebi­eten der Lebensraum entzogen worden. Bäche wurden verdohlt oder zu Kanälen begradigt, sagt Bretzger.

Manche Pflanzen verschwind­en ganz

sieht der 81-Jährige selbst in den neun vom Nabu bewirtscha­fteten Schutzgebi­eten mit einer Gesamtfläc­he von 14 Hektar. Obwohl hier der natürliche Lebensraum sowohl für Fauna als auch für Flora durch gezielte Pflegemaßn­ahmen noch erhalten ist, sei zu beobachten, dass bestimmte Pflanzen angesichts der Erwärmung mittlerwei­le früher blühten oder auch ganz verschwind­en. Unter anderem sei der Wiesensalb­ei kaum noch vorhanden. „Die nächsten zwei Jahre werden wir genau schauen, wie sich die Situation in unseren Naturschut­zgebieten entwickelt und daraus dann Schlüsse ziehen.“

Für Umweltverf­echter und Menschen, denen ihre Zukunft und die ihrer Kinder und Enkelkinde­r am Herzen liegt, hat Bretzger einen Appell parat. „Nicht nur jammen und reden, sondern sich aktiv engagieren – der Nabu würde sich über weitere Mitstreite­r freuen.“Noch heute ist der 81-Jährige, der mehrfach für sein Engagement ausgezeich­net worden ist und im Jahr 2004 sogar die Bundesverd­ienstmedai­lle erhalten hat, täglich in Sachen Naturschut­z unterwegs. Weil er weiß, dass es mittlerwei­le schon nach zwölf ist.

Dass der Klimawande­l allerdings sein Zusätzlich­es tut, um die Natur aus dem Gleichgewi­cht zu bringen,

„Wir steuern auf eine ökologisch­e Apokalypse zu“

Reinhard Bretzger

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FOTO: PETER SCHLIPF Heute reden alle von den Auswirkung­en des Klimawande­ls, halten den Artenschut­z hoch und wollen dem Insektenst­erben entgegenwi­rken, sagt Reinhard Bretzger. Ein solches Engagement hätte sich der 81-Jährige bereits viel früher gewünscht.

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