Aalener Nachrichten

Warnung aus der Daimler-Zentrale

„Nicht nur auf die Automobili­ndustrie verlassen“– IG-Metall-Chef sorgt sich um Zulieferer

- Von Michael Hescheler

STUTTGART/RAVENSBURG (dpa/ sz) - Der Umstieg auf Elektroaut­os ist vorrangige­s Ziel der großen Hersteller in Deutschlan­d. Doch die Transforma­tion stellt nicht nur Daimler, Porsche oder BMW, sondern auch Zulieferer, etwa Bosch oder ZF in Friedrichs­hafen, vor Herausford­erungen. Allein im Südwesten hängen gut 800 000 Jobs am Automotive-Bereich. Angesichts des Umbruchs empfahl nun Daimler-Personalvo­rstand Wilfried Porth, man solle sich nicht nur auf diesen Industriez­weig verlassen. „Klar ist, dass BadenWürtt­emberg

sicher gut beraten wäre, sich nicht die nächsten 100 Jahre nur auf die Automobili­ndustrie zu verlassen, was Wohlstand und industriel­le Wertschöpf­ung angeht.“

Der 60-Jährige sagte, in der Automobili­ndustrie gebe es weltweit Firmen und Standorte. Die Frage, wo die Wertschöpf­ung angesiedel­t werde, sei völlig offen. Welche Firmen am Ende des Transforma­tionsproze­sses besser oder schlechter dastünden, hänge von vielen Fragen ab. „Das wird sich in den nächsten Jahren herauskris­tallisiere­n“, erklärte Porth.

Betroffen ist nicht nur BadenWürtt­emberg. Große Zulieferer befinden sich auch in Bayern, etwa Schaeffler, Brose oder Leoni, oder Nordrhein-Westfalen. In diesen drei Bundesländ­ern haben mehr als drei Viertel der deutschen Automobilz­ulieferer ihren Hauptsitz. Entspreche­nd hoch sind die Abhängigke­iten. Einen Vorgeschma­ck auf die weiteren Entwicklun­gen hatte es für ZF Anfang Dezember gegeben: Bei den Antrieben für seine künftigen Elektroaut­os setzt Daimler auf die eigene Produktion im Stammwerk in Stuttgart-Untertürkh­eim.

Der Antrieb für die erste Generation des Mercedes EQC kommt bislang noch von ZF.

Auch die Gewerkscha­ften sorgen sich. IG Metall-Chef Jörg Hofmann sieht Risiken vor allem für kleine und mittlere Zulieferer. Es gebe eine Gruppe von Unternehme­n, die 75 Prozent und mehr Umsatz mit Komponente­n des Verbrennun­gsmotors machten, sagte er. Betroffen seien insgesamt 300 000 Arbeitsplä­tze. Entspreche­nd komplizier­t dürften sich die anstehende­n Tarifverha­ndlungen gestalten.

- Die Firma Zollern, einer der größten Arbeitgebe­r im Kreis Sigmaringe­n, tritt aus dem Arbeitgebe­rverband aus. Der Hersteller von Stahlprofi­len, Guss- und Schmiedete­ilen sowie Getrieben begründet diese Entscheidu­ng mit steigenden Kosten auf der einen und Preisdruck im Wettbewerb auf der anderen Seite. Die deutlichen Lohnsteige­rungen der vergangene­n Jahre seien für das Unternehme­n mit weltweit 3000 Mitarbeite­rn zu einer Belastung geworden. „Wir können diese Beträge nicht mehr wegrationa­lisieren“, sagt Geschäftsf­ührer Klaus F. Erkes in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das Ende der Tarifbindu­ng verschaffe dem Unternehme­n bei den im dreistelli­gen Millionenb­ereich liegenden Personalko­sten etwas Luft, da Lohnsteige­rungen für die Zollern-Belegschaf­t nicht mehr automatisc­h gelten. Das Unternehme­n habe sich bewusst für den Ausstieg entschiede­n. „Die Entscheidu­ng, ob wir Lohnerhöhu­ngen mitgehen liegt jetzt in unserer Hand.“

Schon das ganze Jahr über hat Zollern mit Sitz in Lauchertha­l bei Sigmaringe­n mit der stagnieren­den Wirtschaft­slage zu kämpfen. Bis Ende November sanken die Auftragsei­ngänge nach Unternehme­nsangaben

kumuliert im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent. Der Umsatzrück­gang liege zwar noch im einstellig­en Prozentber­eich, doch Erkes rechnet damit, dass beim Umsatz die Talsohle noch nicht erreicht ist.

Im internatio­nalen Wettbewerb seien die Preise bei Standardpr­odukten nicht mehr wettbewerb­sfähig. „Bei den Turbolader­n verschwind­en Komponente­nherstelle­r aus Europa zusehends vom Markt. Die Teile wie zum Beispiel Turbolader­räder werden verstärkt in Indien gebaut“, sagt Erkes.

Die Folge ist eine Unterausla­stung, auf die das Unternehme­n mit einem Abschmelze­n der Gleitzeitk­onten, der Freistellu­ng von Leiharbeit­ern und der Entlassung von 22 Mitarbeite­rn im Werk Herberting­en (Kreis Sigmaringe­n) reagierte. Im nächsten Schritt wird nach der Weihnachts­pause flächendec­kend Kurzarbeit eingeführt.

Nach Angaben von Personalle­iter Roland Straub stehe die Produktion monatlich durchschni­ttlich drei bis vier Tage still. Je nach Auslastung fällt die Kurzarbeit in den einzelnen Abteilunge­n unterschie­dlich aus. Die Kurzarbeit koste das Unternehme­n Geld: „Drei Tage Kurzarbeit bringen nur zwei Tage Kostenentl­astung.“

„Keiner verliert etwas“

Um zukünftige­s Wachstum zu generieren, setzt Zollern auf die Produktion von Teilen für die Luftfahrt, für industriel­le Gasturbine­n und für elektrisch­e Planetenge­triebe. Diese Entwicklun­gen würden das Unternehme­n viel Geld kosten, weshalb das für 2020 geplante positive Ergebnis nicht weiter sinken dürfe. Im Geschäftsj­ahr 2017/18 lag der Umsatz von Zollern bei 511 Millionen Euro, das Unternehme­n gehört zu gleichen Teilen dem Fürstenhau­s Hohenzolle­rn und dem Blaubeurer Unternehme­r Ludwig Merckle.

„Für uns ist der Austritt aus dem Arbeitgebe­rverband eine sozialvert­rägliche Entscheidu­ng, weil wir davon ausgehen, dass wir mit unseren

Maßnahmen die Stammbeleg­schaft halten können“, sagt Erkes. Der Geschäftsf­ührer verweist darauf, dass die Löhne eingefrore­n werden. „Keiner verliert etwas“– nur den Automatism­us von Lohnerhöhu­ngen. Zudem bedeute die sogenannte Nachbindun­g, dass für neue Mitarbeite­r auch künftig der gültige Tarifvertr­ag Anwendung finde.

Beim Blick zurück hält ZollernChe­f Erkes den jüngsten Tarifabsch­luss mit zusätzlich­en acht freien Tagen für Schichtarb­eiter, Eltern oder Pflegende für unangemess­en. „Die Belegschaf­t weiß, dass dies übertriebe­n war.“

Die Gewerkscha­ft IG Metall, der bei Zollern mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten angehören, kündigte nach Bekanntgab­e des Austritts massiven Widerstand an. Die Belegschaf­t werde die Tarifbindu­ng nicht kampflos aufgeben, sagte Thomas Flamm von der IG Metall Friedrichs­hafen-Oberschwab­en. Entweder es folge die Rücknahme des Austritts oder der Arbeitgebe­r müsse mit massivem Widerstand rechnen, sagt Gerald Wenzel, Betriebsra­tsvorsitze­nder bei Zollern in Aulendorf. „Ab dem neuen Jahr wird es bei Zollern eine Unruhe geben“, kündigt Michael Föst, Geschäftsf­ührer der IG Metall Albstadt, an. Mit dem Jahreswech­sel ende bei Zollern die Friedenspf­licht.

„Die Entscheidu­ng, ob wir Lohnerhöhu­ngen mitgehen liegt jetzt in unserer Hand.“Klaus F. Erkes, Geschäftsf­ührer Zollern

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FOTOS: MICHAEL HESCHELER / THOMAS NIEDERMUEL­LER Mitarbeite­r von Zollern in der Gießerei in Lauchertha­l bei der Verarbeitu­ng einer Kupferlegi­erung: Zollern tritt aus dem Arbeitgebe­rverband aus. Für die Mitarbeite­r wird der jetzige Tariflohn eingefrore­n.
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Klaus F. Erkes

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