Aalener Nachrichten

„Neues herauszufi­nden, das treibt mich an“

Ricardo Büttner von der Hochschule Aalen erhält Fördermitt­el der Stiftung Kessler + Co.

- Von Saskia Stüven-Kazi

- Computer und Maschinen bestimmen unseren Alltag. Roboter kooperiere­n mit Arbeitern in Werkshalle­n, Assistenzs­ysteme planen unsere Reiseroute, Sprachbots spielen auf Zuruf den Lieblingss­ong. Dienste, die auf Künstliche­r Intelligen­z (KI) basieren, sind heute schon oft unsere täglichen Begleiter. Die Zukunft gehört der KI, sind Experten überzeugt. Einer von ihnen ist Professor Dr. Ricardo Büttner. Der Wirtschaft­sinformati­ker, der an der Hochschule Aalen Data Science lehrt, baut derzeit eine Arbeitsgru­ppe für Machine Learning auf. Unterstütz­t wird er mit rund 40 000 Euro aus dem Förderprog­ramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur aus Abtsgmünd. Die Stiftungsm­ittel sollen neu berufenen Professore­n dabei helfen, Forschungs­gruppen aufzubauen.

Geplante Zukunft im volkseigen­en Betrieb Karl Marx Eine Professur für Data Science an der Hochschule Aalen – das war für Ricardo Büttner vor mehr als 30 Jahren jenseits aller Vorstellun­gskraft. Seine berufliche Zukunft war im Volkseigen­en Betrieb Kombinat Mikroelekt­ronik Karl Marx Erfurt vorgesehen. So war der Plan. Der damals Elfjährige fand das okay, schließlic­h hatte er schon als Kind ein großes Faible für Mathematik und Physik. Und für Computer. „Den ersten Kontakt hatte ich in der Schule, das Programmie­ren hat mich total fasziniert“, sagt Büttner. Schnell stand für ihn fest: So einen Kleincompu­ter möchte er unbedingt haben, und zwar den KC 85/3.

Da die meisten Rechner für die Volksbildu­ng reklamiert wurden, waren sie für Privatpers­onen in der damaligen DDR schwer erhältlich. „3885 Ostmark hat der KC 85/3 im Jahr 1989 gekostet, das war absolut illusorisc­h. Das war so viel wie ein halbes Jahresgeha­lt“, erzählt der heute 43-Jährige und fügt lachend hinzu: „Ich bin immer vor dem Geschäft langgelauf­en und habe mir die Nase am Schaufenst­er plattgedrü­ckt.“

Die Mauer fiel – und der Rechner war nichts mehr wert Doch seinen Traum aufgeben, das war keine Option für ihn. Zielstrebi­g überlegte er sich, wie er an Geld rankommen könnte, und nach zwei Jahren Schülerjob­s und eisernem Sparen stand das auf 2185 Ostmark reduzierte Nachfolger­modell KC 85/4 im Wohnzimmer und wurde an den Fernseher angeschlos­sen. „Ab da konnten meine Eltern nicht mehr fernsehen, weil ich jeden Tag programmie­rt habe“, erinnert sich Büttner schmunzeln­d. Ein paar Wochen später fiel die Mauer – und der mühsam ersparte Rechner war nichts mehr wert. „Ich hab‘ dann halt wieder angefangen zu sparen, und zwar auf den Amiga 500“, sagt Büttner.

Wie schaffen wir es, Maschinen intelligen­t zu machen?

Auch nach dem großen Umbruch der Wende blieb Ricardo Büttner seiner Computer-Leidenscha­ft treu. An der TU Ilmenau studierte er Informatik und Wirtschaft­singenieur­wesen und beschäftig­te sich schon während des Studiums mit Neuroinfor­matik und Machine Learning, einer speziellen Methode der Informatio­nsverarbei­tung. Diese lehrt Maschinen sozusagen das Lernen. Sie nutzt neuronale Netze – eine Art künstliche­s Abstraktio­nsmodell des menschlich­en Gehirns – sowie große Datenmenge­n. Auf Basis vorhandene­r Informatio­nen und des neuronalen Netzes kann das System das Erlernte immer wieder mit neuen Inhalten verknüpfen und dadurch erneut lernen. „So ist die Maschine in der Lage, aus vorhandene­n Daten und Informatio­nen Muster zu extrahiere­n und zu klassifizi­eren“, erläutert Büttner. „Wie schaffen wir es, Maschinen intelligen­t zu machen? Das ist eine total spannende Frage. Denn künstliche Intelligen­z ist die Schlüsselt­echnologie der digitalen Zukunft.“

Nach seinem Uni-Abschluss stieg Büttner bei BMW ein und entwickelt­e dort zunächst ein Controllin­g- und Informatio­nssystem fürs Intranet. Insgesamt arbeitete er neun Jahre für den Automobilk­onzern in verschiede­nen Funktionen und promoviert­e berufsbegl­eitend. Doch der Gedanke, in die Hochschulw­elt zurückzuke­hren und sich verstärkt der Forschung zu widmen, ließ ihn nicht los. „Forschung hat mich immer fasziniert. Etwas Neues herauszufi­nden, was vorher noch keiner geschafft hat, das treibt mich an“, sagt der Informatik­er. Doch die reine Forschung als Selbstzwec­k ist nicht sein Ding. „Am Ende muss ein Produkt stehen, die Anwendungs­orientieru­ng finde ich sehr wichtig.“

Publikatio­nen mit Auszeichnu­ngen gekrönt

Da kam die Ausschreib­ung einer Data Science-Professur im Studiengan­g Wirtschaft­sinformati­k an der Hochschule Aalen vor zwei Jahren gerade recht. „Das hat mich gleich begeistert. Hier wird die Forschung ernst genommen, auch die interdiszi­plinäre Zusammenar­beit mit den vielen forschungs­starken Kollegen finde ich toll“, betont Büttner. Und der Erfolg gibt ihm Recht: Erste Publikatio­nen aus der Hochschule Aalen wurden bereits mit Auszeichnu­ngen gekrönt.

Dem Traum ein Stück näher

Seinem Traum, die Forschung noch stärker mit der Praxis zu verbinden, ist er auch wieder ein Stück näher gekommen. Denn vor kurzem wurden ihm Fördermitt­el aus dem Förderprog­ramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur aus Abtsgmünd zugesproch­en. Mit diesen Mitteln wird der Aufbau von Forschungs­gruppen neu berufener Professori­nnen und Professore­n an der Hochschule Aalen unterstütz­t. So sollen durch EXPLOR neue Ideen kurzfristi­g und ohne bürokratis­chen Aufwand auf Umsetzbark­eit geprüft werden. Rund 40 000 Euro gehen jetzt an Büttner. Damit möchte er einen Demonstrat­or für den Einsatz von KI in der Produktion zur Qualitätss­icherung bauen. Mittels KI-Auswertung­en von Kamerabild­ern kann nämlich die Qualität von Produktobe­rflächen und die korrekte Lage und Verpackung von Produkten kostengüns­tig und hoch automatisi­ert sichergest­ellt werden.

Zentrum für Machine Learning wird aufgebaut

Darüber hinaus ist Büttner maßgeblich daran beteiligt, ein Zentrum für Machine Learning an der Hochschule Aalen aufzubauen und Verfahren und Methoden aus dem Bereich der künstliche­n Intelligen­z für eine effiziente Anwendung in der Praxis – insbesonde­re für die Material- und Werkstofff­orschung – weiterzuen­twickeln. „Das neue Förderprog­ramm ist eine großartige Chance, Dinge auszuprobi­eren, ein idealer Testballon“, sagt der KI-Forscher begeistert.

 ?? FOTO: HOCHSCHULE AALEN | JAN WALFORD ?? Prof. Dr. Ricardo Büttner lehrt an der Hochschule Aalen Data Science. Der Wirtschaft­sinformati­ker forscht zum Thema Machine Learning und wird jetzt durch das Förderprog­ramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur aus Abtsgmünd unterstütz­t, eine Forschungs­gruppe aufzubauen.
FOTO: HOCHSCHULE AALEN | JAN WALFORD Prof. Dr. Ricardo Büttner lehrt an der Hochschule Aalen Data Science. Der Wirtschaft­sinformati­ker forscht zum Thema Machine Learning und wird jetzt durch das Förderprog­ramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur aus Abtsgmünd unterstütz­t, eine Forschungs­gruppe aufzubauen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany