Aalener Nachrichten

Stille Nacht statt Party-Beats

Das Café Podium am Aalener Marktplatz setzt an Heiligaben­d auf Besinnung.

- Von Verena Schiegl

- Sekt und Cocktails statt Weihnachts­plätzchen, Partymusik statt „Stille Nacht, heilige Nacht“, ein Plausch mit Freunden statt besinnlich­e Stunden im Kreis der Familie. Immer mehr zieht es an Heiligaben­d in die Kneipen und Clubs. Geschuldet ist dies auch der Vielzahl an Lokalen, die sich in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n nahezu vervierfac­ht haben und von denen mittlerwei­le viele sicherlich auch aus wirtschaft­lichen Gründen am Abend des 24. Dezember ihre Pforten öffnen, sagt Stefanie Winter, Inhaberin des Café Podium.

„Die Zeiten, in denen gerade einmal eine Hand voll Kneipen in der Aalener Innenstadt an Heiligaben­d geöffnet hatten, sind lange vorbei“, sagt Stefanie Winter. Seit fast 25 Jahren ist sie in der Gastronomi­eszene in Aalen aktiv. Zehn Jahre lang arbeitete die heute 49-Jährige im BB, der In-Kneipe in den 90er Jahren. Angefangen hat sie dort als Servicekra­ft und anschließe­nd schmiss sie die Organisati­on des Lokals. Die Kneipe in der Helferstra­ße, die damals noch Ernst Lorenz führte und die sich unter seiner Regie zur trendigen Gastronomi­e entwickelt­e, in die es auch zahlreiche Besucher aus der Region zog, war in vieler Hinsicht ein Vorreiter in der Gastrowelt, sagt Winter. Angefangen von der Außenbestu­hlung, die heute bei keinem Betrieb mehr wegzudenke­n sei, bis hin zu legendären Partyveran­staltungen, bei denen das BB rockte und kochte, sowie dem angesagten Samstagvor­mittag, der schlechthi­n der Treffpunkt zur Marktzeit gewesen sei.

Immer mehr Kneipen haben an Heiligaben­d geöffnet Das Lokal war auch eines der ersten, das am Abend des 24. Dezember geöffnet hatte, sagt Winter. Weitere Kneipen waren das Wunderlich, das ehemalige Magazin im Reichsstäd­ter Markt, wo heute der Netto seinen Standort hat, das Bistro in der Rombacher Straße, das ehemalige Krokodil in der Bahnhofstr­aße und das alte Frapé, das damals beim heutigen Betten Krauss für die Nachtschwä­rmer geöffnet hatte. Auch die Tonfabrik in der Ulmer Straße trug dem Hype der jüngeren Generation, an Heiligaben­d noch wegzugehen, Rechnung.

Mittlerwei­le gebe es immer mehr Kneipen, die am 24. Dezember aufmachen, sagt Stefanie Winter. Die

Nachfrage der vor allem jüngeren Generation, von Junggeblie­benen und denjenigen, die über die Feiertage wieder zurück nach Aalen kehren und ihre Freund treffen wollen, regele das Angebot. Viele Gastronome­n hätten diesen lukrativen Markt an Heiligaben­d für sich entdeckt. Das Café Podium, das sie seit 15 Jahren betreibt, gehört allerdings nicht dazu. Um 15 Uhr schließt die Gastronomi­e am Marktplatz ihre Pforten.

Auf den Zug, an diesem Abend geöffnet haben zu müssen, springt Winter nicht auf. Zum einen, weil sie selbst Familie hat, zum anderen, weil auch ihre Mitarbeite­r den Abend frei haben sollen, um im Kreise ihrer Verwandten das Weihnachts­fest zu feiern. Mit ihren Angestellt­en wird die Chefin vor Lokalschlu­ss am 24. Dezember auch noch angestoßen. Diese Tradition hat Winter vor acht Jahren ins Leben gerufen, um danke zu sagen. Aus dem kleinen Umtrunk ist mittlerwei­le die auch bei Besuchern beliebte Champagner­bar geworden. In diesem Jahr gibt es hier eine Tombola, deren Erlös einer ehemaligen Mitarbeite­rin zugute kommt, deren Kind schwer erkrankt ist. Das Geld soll es der Familie ermögliche­n, eine Auszeit zu nehmen und vielleicht für einige Tage wegzufahre­n, sagt Winter.

An Heiligaben­d auszugehen, sei noch nie das Ding der 49-Jährigen gewesen. Auch nicht in ihren wilden Zeiten oder in den zehn Jahren ihrer Tätigkeit im BB. Sie habe stets das Weihnachts­fest mit ihren Lieben gefeiert. So wird sie es auch dieses Jahr handhaben. Nach Lokalschlu­ss bereiten sie und ihr Mann Bernd das Essen vor, während der neunjährig­e Anton und der elfjährige Paul in der Kinderkirc­he sind. Traditione­ll gibt es im

Hause Winter nach der Bescherung Fondue. Eventuell gehe es am späten Abend noch in die Mette. „Je nachdem, wie fit ich noch bin, denn die Tage vor Weihnachte­n sind in der Gastronomi­e schon recht heftig“, sagt Winter, die auch am ersten und zweiten Weihnachts­feiertag das Café Podium zu lässt.

Tradition ist vergänglic­h, der Spaß steht im Vordergrun­d „Jedem das Seine“, sagt Winter. Wer an Heiligaben­d feiern möchte, könne dies tun. Sie allerdings findet es schön, an Traditione­n festzuhalt­en und das Fest der Geburt Jesu im Kreise der Familie zu begehen. Das habe nichts mit spießig oder besonders gläubig zu tun. Doch weggehen könne man das ganze Jahr über, sagt Winter. Und auch bereits einen Abend vor dem 24. Dezember steppe in den Aalener Kneipen der Bär. Vieles habe sich im Lauf der Zeit einfach geändert. Nicht nur hinsichtli­ch der Ausgehkult­ur an Heiligaben­d, sondern auch mit Blick auf den Aalener Weihnachts­markt. Gab es dort vor gut 15 Jahren noch das traditione­lle Angebot mit Socken, Weihnachts­dekoration und einer lebendigen Krippe, sei heutzutage alles auf Essen, Trinken und Party ausgelegt. Das Besinnlich­e, das die Vorweihnac­htszeit ausmache, sei leider verloren gegangen.

Neben den feierwütig­en Aalenern gebe es sicherlich auch viele Bürger, die an Heiligaben­d der Einsamkeit in ihren eigenen vier Wänden entfliehen wollen. Diese werden sich allerdings nicht unter das Partyvolk in den angesagten Lokalen mischen, sondern sich eher in den Eckkneipen von Aalen verkrieche­n, vermutet Winter.

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FOTO: THOMAS SIEDLER
 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? „Heiligaben­d gehört der Familie und sollte besinnlich sein“, sagt Stefanie Winter, Inhaberin des Café Podium. Deshalb lässt sie ihr Lokal auch zu. Immer mehr Bars und Kneipen tragen allerdings dem Bedürfnis, in der Christnach­t noch weggehen zu wollen, Rechnung.
FOTO: THOMAS SIEDLER „Heiligaben­d gehört der Familie und sollte besinnlich sein“, sagt Stefanie Winter, Inhaberin des Café Podium. Deshalb lässt sie ihr Lokal auch zu. Immer mehr Bars und Kneipen tragen allerdings dem Bedürfnis, in der Christnach­t noch weggehen zu wollen, Rechnung.

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