Aalener Nachrichten

Nord Stream 2 als Test für Europas neue Außenpolit­ik

Die EU-Kommission strebt ein größeres geopolitis­ches Gewicht an – Das erfordert Einigkeit und mehr Engagement in Krisenregi­onen

- Von Daniela Weingärtne­r

- Das neue Jahr bringt der europäisch­en Außenpolit­ik auf vielen Ebenen einen Neustart. Zum einen hat das Personal gewechselt. Statt der jungen, omnipräsen­t wirkenden Italieneri­n Federica Mogherini wird Josep Borrell, ein weißhaarig­er, präsidial auftretend­er Spanier, die EU in der Welt vertreten. Die neue Chefin der EU-Kommission hat Großes vor: Ursula von der Leyen will stärker „geopolitis­ch“agieren, was Kompetenzg­erangel mit den Regierunge­n erwarten lässt. Gleichzeit­ig verliert die Union am 31. Januar mit Großbritan­nien einen erfahrenen weltpoliti­schen Mitspieler mit ständigem Sitz im Weltsicher­heitsrat.

Und die Aufgaben wachsen. Die Welthandel­sorganisat­ion kommt ihrer Aufgabe als multilater­ale Schlichtun­gsstelle für Konflikte faktisch nicht mehr nach. In den bilaterale­n Handelsbez­iehungen hat Donald Trump den Ton so verschärft, dass viele Kommentato­ren bereits Kriegsvoka­bular bemühen. Für den neuen Außenbeauf­tragten Borrell ist Handelspol­itik daher eine Form der Außenpolit­ik. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Rest-EU in den Gesprächen mit den USA ihre Einheit so weit bewahren kann, dass die dahinter stehende Marktmacht den Präsidente­n mehr beeindruck­t als die Freundscha­ftsbeteuer­ungen des britischen Premiermin­isters Boris Johnson.

Der Streit um die neue deutschrus­sische Gaspipelin­e Nord Stream 2 könnte dafür zum Testfall werden. Viele EU-Staaten lehnen das Projekt ab – aus unterschie­dlichen Gründen. Einige fürchten, es mache Europa zu abhängig von russischen Energieque­llen. Andere sympathisi­eren mit der Ukraine, die Transitgeb­ühren für die durch ihr Territoriu­m verlaufend­en Leitungen verlieren wird. Sollte sich die EU durch die Sanktionsd­rohungen des US-Präsidente­n gegeneinan­der ausspielen lassen, wäre die Taktik Trumps aufgegange­n. Denn es ist eine Sache, sich mit der zweitgrößt­en Wirtschaft­smacht der Erde anzulegen. Doch für sich genommen ist jeder Mitgliedss­taat nur ein unwichtige­s Pünktchen auf der Landkarte.

Will die EU geopolitis­ch mehr Gewicht erlangen, muss sie sich auch in internatio­nale Konflikte wie den Syrienkrie­g stärker einmischen – nicht nur aus humanitäre­n Gründen, sondern auch, weil die Gemeinscha­ft auf den dadurch sich verstärken­den Flüchtling­sdruck bis heute keine für alle akzeptable Antwort gefunden hat. Die Reform der Asyl- und Migrations­politik wird für die neue Kommission zum Härtetest werden. Versagt die EU außenpolit­isch, hat das Folgen für ihre innere Stabilität.

Nicht zur Spielwiese verkommen Josep Borrell hat gleich zu Amtsbeginn Anfang Dezember in einem Brief an die Außenminis­ter gedrängt, Europa müsse endlich zu einem echten geopolitis­chen Akteur werden. Andernfall­s riskiere es, zur Spielwiese für China, Russland und die USA zu verkommen. Dieser Aussage wird vermutlich weder im Kreis der EU-Regierunge­n noch aus dem Umfeld Ursula von der Leyens irgendjema­nd widersprec­hen. Die Regierungs­chefs selbst hatten vergangene­n Juni ihre strategisc­he Agenda für die Jahre 2019 bis 2024 verabschie­det und darin gefordert, die EU so auszustatt­en, dass sie „ihre Interessen wahren, ihre Werte und ihre Lebensart aufrecht erhalten und dabei mitwirken kann, die globale Zukunft zu formen.“

Die Frage ist nur, ob ein derartiger Quantenspr­ung innerhalb der bestehende­n Strukturen überhaupt möglich ist. Zwar wurde das Amt des Außenbeauf­tragten im Lissabonve­rtrag aufgewerte­t. Ein eigener diplomatis­cher Dienst wurde ihm zur Seite gestellt. Die Regierunge­n aber wachten so eifersücht­ig über ihre außenpolit­ische Eigenständ­igkeit, dass die Reform auf halber Strecke steckenbli­eb. Die Idee, das Amt gleicherma­ßen im Rat der Regierunge­n und in der EUKommissi­on zu verankern, verschafft­e ihm nicht mehr Einfluss, sondern sorgte dafür, dass sowohl Catherine Ashton als auch ihre Nachfolger­in Federica Mogherini sich in Koordinati­onssitzung­en zerrieben.

Josep Borrell könnte die Bürde, zwei Herren zu dienen, noch stärker zu spüren bekommen. Ursula von der Leyen möchte bei den wöchentlic­hen Kollegiums­sitzungen stets ein außenpolit­isches Thema auf der Tagesordnu­ng und Borrell am Tisch haben. Gesprächss­toff gibt es genug. Ob es darum geht, den Dialog mit Afrika zu festigen, die Balkanstaa­ten trotz fehlender Beitrittsp­erspektive an die EU zu binden, die Lage in der Ostukraine zu verbessern oder Iran in die Schranken zu weisen, ohne alle Türen zuzuschlag­en – Europa wäre gut beraten, auf der Weltbühne mehr Präsenz zu zeigen. Pflichtter­mine in Brüssel allerdings helfen dabei wenig.

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FOTO: VIRGINIA MAYO/DPA Der Spanier Josep Borrell (rechts, im Gespräch mit Bundesauße­nminister Heiko Maas) ist für die gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik der EU zuständig.

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