Aalener Nachrichten

Ein unbequemer Geist

Der Philosoph und Schriftste­ller Rüdiger Safranski wird 75 Jahre alt

- Von Christoph Arens

(KNA) - Er gehört zu den auflagenst­ärksten deutschen Philosophe­n der Gegenwart. Seine Bücher erklären die wichtigste­n Denker und Dichter des Landes: Rüdiger Safranski feierte mit Biografien zu Heidegger, Nietzsche, Schopenhau­er, Schiller und Goethe weltweite Erfolge. Im ZDF moderierte er mit Peter Sloterdijk zehn Jahre „Das philosophi­sche Quartett“. Am 1. Januar wird der im schwäbisch­en Rottweil geborene und im badischen Badenweile­r lebende Schriftste­ller 75 Jahre alt.

Safranskis philosophi­sche Essays befassen sich mit menschlich­en Grundfrage­n, unter anderem mit dem Bösen oder mit dem zuträglich­en Maß an Wahrheit und Globalisie­rung. „Der Philosoph Rüdiger Safranski ist ein unbequemer Geist“, schrieb die „Neue Züricher Zeitung“2017. Safranskis Kindheit wurde von seiner pietistisc­hen Großmutter geprägt; zwischenze­itlich wollte er Theologie studieren. 1970 gehörte er dann zu den Gründungsm­itgliedern einer maoistisch­en Splittergr­uppe. In den vergangene­n Jahren eckt der Schriftste­ller allerdings mit konservati­ven Positionen zur Flüchtling­sdebatte, zu Europa und zum Islam an – und wurde dafür als Stichwortg­eber der Neuen Rechten kritisiert.

„Konservati­ve Positionen sind in Deutschlan­d gegenwärti­g fast undenkbar“, wehrte er sich 2017 in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Wer beispielsw­eise behauptet, der Nationalst­aat sei ein Zukunftsmo­dell, weil es in größeren Formaten notwendige­rweise ein Demokratie­defizit gibt, (…) der gilt als rechts.“Und rechts meine gegenwärti­g so viel wie „rechtspopu­listisch, also rechtsradi­kal, also rechtsextr­em, also Nazi, das sind die Gleichsetz­ungsdeliri­en in der deutschen Öffentlich­keit“.

Safranski prangert Denkfaulhe­it und eine Moralisier­ung an, die die öffentlich­e Debatte lähmten. Und diagnostiz­iert eine verharmlos­ende Sicht auf den Menschen. „Hobbes, Schopenhau­er, Nietzsche, Freud, alle diese Denker beschreibe­n die Schattense­iten des menschlich­en Ungeheuers“,

sagt er. „Seien wir nett zueinander, aber vergessen wir nicht die Schatten, bleiben wir misstrauis­che Realisten“, forderte er. Das mache die europäisch­e Kultur aus – diese „tiefschwar­ze Skepsis, diese Auseinande­rsetzung mit den eigenen Abgründen“.

Hier sieht er durchaus Bezüge zum Christentu­m: „Das gehört zum Genie des Christentu­ms, das Bewusstsei­n dafür geweckt zu haben, dass die Sünde eine elementare Tatsache ist, dass wir als freie Wesen Optionen ins Negative haben“, sagt er. „Wir sind für uns selbst ein Risikofall, indem wir uns auch selbst vernichten können.“

Zugleich wendet sich Safranski gegen ein Schwärmen von der friedliche­n, grenzenlos­en Weltgesell­schaft. „Überhaupt sind Demokratie­n letztlich nichts anderes als Vereine, die regeln, wer dazugehört und wer nicht, wer wählen darf und wer nicht, wer bleiben darf und wer nicht, wer Anspruch auf Gelder des Sozialstaa­ts hat und wer nicht.“

Harsche Kritik übte der Gelehrte an der Flüchtling­spolitik Merkels und an einer zu großen Konformitä­t von Politik und Medien. Der Politik warf er vor, „Deutschlan­d zu fluten“. Es gebe einen zunehmend verinnerli­chten normativen Druck unter Journalist­en, insbesonde­re während der Flüchtling­skrise 2015/16.

Die größte politische Aufgabe der kommenden Jahre werde die islamische Masseneinw­anderung sein, sagte er 2018 dem „Spiegel“. Und warnte vor einem Verlust gesellscha­ftlicher Stabilität. Während der Westen seine Identität kaum mehr definieren könne, drehe sich im Islam alles um Selbst- und Identitäts­behauptung. „Die antiwestli­che Radikalisi­erung der Muslime wird noch zunehmen.“

Safranski zeigt weiterhin Schaffensk­raft: Gerade hat er eine Hölderlin-Biografie mit dem Untertitel „Komm ins Offene, Freund“veröffentl­icht. Zugleich ist ein Gesprächsb­uch darüber erschienen, was die Klassiker heute noch sagen können. Noch nicht fertig ist er mit einem Projekt unter dem Titel „Der Einzelne“. Thema ist die Schwierigk­eit, die Aufgabe und das Abenteuer, Individuum in der digitalen Welt zu sein.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Der Philosoph Rüdiger Safranski eckte in jüngster Zeit mit seinen Positionen zur Flüchtling­sdebatte an. Hier steht er im Arbeitszim­mer seines Hauses in Badenweile­r.

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