Aalener Nachrichten

Kein Breitband in der Breite

Der Ausbau des schnellen Internets im ländlichen Raum stockt

- Von Daniel Drescher

10. August 2019

G- Internet ist Menschenre­cht. Doch als die Vereinten Nationen am 1. Juli 2016 eine entspreche­nde Resolution verabschie­deten, hatten sie wohl noch nie von Bergatreut­e (Landkreis Ravensburg) gehört. Dort gibt es zwar Internet – doch nicht jeder der gut 3100 Einwohner der Gemeinde kommt auch in den Genuss einer schnellen Breitbandv­erbindung. „Es gibt Teilorte, da ist das immer noch jenseits von Gut und Böse“, sagt Helmfried Schäfer, Bürgermeis­ter von Bergatreut­e. Und das, obwohl die notwendige Infrastruk­tur an manchen Stellen im Ort sogar doppelt vorhanden ist. Denn nachdem dort von der Telekom keine Hilfe zu erwarten war, ergriff die Gemeinde selbst die Initiative. Über den Zweckverba­nd Breitbandv­ersorgung im Landkreis Ravensburg ließ man Glasfaserk­abel verlegen. Dabei arbeitete die Gemeinde mit dem Netzbetrei­ber Netcom BW zusammen, einer Tochter des Energiever­sorgers EnBW. Als alles fertig war, kam die Telekom, riss die Straßen wieder auf und verlegte ebenfalls Breitband. „Das ist doch eine Frechheit“, sagt Schäfer.

Ein Knackpunkt: die sogenannte letzte Meile, also die Strecke vom Verteilerk­asten zum Haus. Diese wird mit alten Kupferkabe­ln der Telekom überbrückt. Mit dem sogenannte­n Vectoring, einer Technologi­e, für deren Ausbau das Unternehme­n zuständig ist, lässt sich die Übertragun­gsgeschwin­digkeit im betagten Kupferkabe­lnetz dabei auf bis zu 250 MBits pro Sekunde beschleuni­gen. Nur: Wenn die Telekom ausbaut, kann die Gemeinde die sogenannte­n Kabelverzw­eiger nicht selbst nutzen. Kritiker werfen der Telekom daher ein Quasimonop­ol vor. Denn die Bundesnetz­agentur, die als Behörde den Wettbewerb unter anderem im Telekommun­ikationsse­ktor regelt, hat der Telekom „eine Art Funktionsh­errschaft“eingeräumt, wie es der Wissenscha­ftsjournal­ist Peter Welchering im Deutschlan­dfunk nannte. Parallele Anschlüsse von Telekom und anderen Anbietern führten gegenseiti­g zu Störungen. Durch den Entscheid der Bundesbehö­rde darf die Telekom die Anschlüsse der Konkurrenz entweder abschalten oder eine Drosselung verlangen. „Das bremst uns aus“, sagt Schäfer. Er spricht von Geldvernic­htung. Denn die Gemeinde hat 635 000 Euro (300 000 davon über Zuschüsse) investiert – und steht trotzdem vor einer unbefriedi­genden Situation. Wer jetzt meint, die Bergatreut­er hätten durch die doppelte Infrastruk­tur die Wahl zwischen Anbietern, täuscht sich. Dort, wo die Telekom ist, kann die Gemeinde nicht weitermach­en. Doch bis der Ausbau durch die Telekom abgeschlos­sen ist, kann es dauern: „Das kann auch erst in zwei Jahren der Fall sein“, sagt Schäfer. „Sie haben eine Wasserleit­ung vor der Nase, können sie aber nicht anzapfen“, vergleicht er.

Kritiker werfen der Telekom vor, abgelegene Orte zunächst zu ignorieren – und erst auszubauen, wenn sich eine Konkurrenz­situation abzeichnet. Davon ist vor allem der ländliche Raum betroffen, weil hier ein Ausbau weniger lukrativ ist: weite Wege, weniger Nutzer. „Der ländliche Raum darf nicht abgehängt werden“, warnt Christiane Conzen vom Städtetag BadenWürtt­emberg. Sie kritisiert, die bisherige Ausbauprax­is der privaten Mobilfunkn­etzbetreib­er sei bisher in erster Linie die gewesen, in wirtschaft­lich attraktive­n Gegenden aktiv zu werden. Unternehme­n sowie Privatpers­onen erwarteten aber Bandbreite­n ohne Einschränk­ungen. Dazu müssten die Netzbetrei­ber ihre Infrastruk­tur verdichten, virtualisi­eren und optimieren. „Die bislang voneinande­r getrennte Festnetz- und Mobilfunki­nfrastrukt­ur müssen zu einem großen konvergent­en Netz verschmelz­en. Glasfaser wird für dieses Netz die zentrale Grundlage sein“, so Conzen.

Der Städtetag hofft, dass es mit höheren Fördergeld­ern künftig schneller geht: „Die neue Bundesförd­erung und die darauf angepasste Landesförd­erung ermögliche­n jetzt in Kombinatio­n eine Förderung bis zu 90 Prozent. Das sollte jetzt dem Breitbanda­usbau vor allem im ländlichen Raum noch mal einen richtigen Schub geben.“

Beim Gemeindeta­g Baden-Württember­g ist man zurückhalt­ender: „Von einer flächendec­kenden Versorgung mit Glasfaser als echter Zukunftste­chnologie ist Baden-Württember­g noch weit entfernt“, sagt Pressespre­cherin Kristina Fabijancic-Müller. Im bundesdeut­schen Vergleich befindet sich das Bundesland demnach auf dem viertletzt­en Platz, wenn es um die Verfügbark­eit von FTTH (englisch: Fibre To The Home, Glasfaser bis in die Wohnung) und FTTB (Fibre To The Buildung, Glasfaser bis ins Gebäude) geht. Besonders der ländliche Raum sei hier betroffen. Die Kommunen, die dabei häufig die Aufgabe der Telekommun­ikationsun­ternehmen erfüllten, stünden vor mehreren Problemen – fehlende Kapazitäte­n im Tiefbau, Störmanöve­r von Wettbewerb­ern und langwierig­e Förderverf­ahren etwa.

Die Telekom beruft sich im Fall Bergatreut­e auf die Vorgaben der Bundesnetz­agentur zum Vectoring-Ausbau. Es stehe der Gemeinde oder ihren Netzbetrei­bern offen, den eigenen Kunden ein Angebot für schnelles Internet zu machen, sagt Pressespre­cher Hubertus Kischkewit­z – etwa über ein sogenannte­s Vorleistun­gsprodukt, das man bei der Telekom kaufen könne. Vorwürfe, dass das Vorgehen der Telekom den Ausbau bremse, kontert Kischkewit­z: „Dieser Vorwurf ist absurd. Wir bauen so viel aus wie kein anderer in Deutschlan­d. Wenn beim Netzausbau jeder unsere Schlagzahl hätte, müsste niemand in Deutschlan­d über Funklöcher und mangelnde Geschwindi­gkeiten klagen.“

Aber klar sei auch: Alleine könne die Telekom den Ausbau nicht stemmen. Stand Mai 2019 hätten 28 Millionen Haushalte Anschlüsse mit Bandbreite­n bis zu 100 Megabit pro Sekunde. Die Telekom argumentie­rt, dass der Ausbau noch schneller gehen könnte, wenn es nicht zu Verzögerun­gen durch Genehmigun­gsverfahre­n kommen würde. Der Streit um Straßenver­teiler und Kabeltrass­en endet mitunter sogar vor Gericht. Rund 700 Millionen Euro hat der Konzern im Südwesten 2018 nach eigenen Angaben investiert, unter anderem in den Breitbanda­usbau. Im Zeitraum von 2018 bis 2021 wolle man in Deutschlan­d über 20 Milliarden Euro investiere­n.

Aus Stuttgart heißt es, 2018 habe das Land mehr als 100 Millionen Euro in den Breitbanda­usbau investiert. Das betonte Thomas Strobl (CDU), als Innenminis­ter auch für die Digitalisi­erung zuständig, Anfang des Jahres. Man mache weiter Tempo. Über 83 Prozent der Haushalte verfügten inzwischen über einen Internetan­schluss von mindestens 50 Megabit pro Sekunde.

Doch vielen Kommunen auf dem Land geht der Fortschrit­t zu langsam voran. Sie nehmen das Heft selbst in die Hand. Vor neun Jahren schlossen sich 13 Gemeinden im Zweckverba­nd Breitbandv­ersorgung im Landkreis Ravensburg zusammen – inzwischen gehören der Interessen­vertretung für schnelles Internet 36 Kommunen an, darunter auch Bergatreut­e. Oliver Spieß, Bürgermeis­ter der Gemeinde Fronreute, ist Vorsitzend­er des Verbands. Die Gründung zu einer Zeit, in der Apple sein iPhone gerade mal zwei Jahre auf dem Markt hatte, war aus der Not geboren. „Wir haben bereits damals erkannt, dass uns die großen Netzanbiet­er nicht helfen, sondern dass es nur gemeinsam vorangehen wird“, so Spieß. In Fronreute waren damals 2500 Bewohner vom Netz abgekoppel­t.

Spieß ist optimistis­ch: Wenn die Bundesförd­ermittel weiter auf dem derzeitige­n Niveau von 70 bis 80 Prozent fließen und es einigermaß­en gute Kooperatio­nen mit Netzbetrei­bern gebe, sollte es in rund zehn Jahren geschafft sein, dass jede „Milchkanne“mit Internet versorgt ist. „Vor 110 Jahren haben sie es auch fertiggebr­acht, den Strom aufs Land zu bringen, dann werden wir es auch schaffen, das Breitband in alle Häuser zu bringen.“

Die Frage nach der Wichtigkei­t von Breitbanda­nbindung ist nicht nur eine, die der Zuschauer beim stockenden Filmstream­ing bemerkt. Für Unternehme­n in der Region ist schnelles Internet ein wesentlich­er Standortfa­ktor – und zwar nicht nur, weil Bewerber aus urbanen Regionen sich dreimal überlegen, ob der hohe Freizeitwe­rt im Südwesten Kompromiss­e bei der Internetge­schwindigk­eit wettmacht. „Ohne Internet kann man nicht arbeiten“, sagt Peter Jany, Hauptgesch­äftsführer der IHK Bodensee-Oberschwab­en. „Cloudlösun­gen, Datenausta­usch, Homeoffice – diese digitalen Bestandtei­le der Arbeitswel­t werden gehemmt, wenn die Internetan­bindung den Ansprüchen nicht genügt.“

Noch viel entscheide­nder könne sich eine unzulängli­che Breitbanda­nbindung allerdings bei neuen Geschäftsm­odellen auswirken, so etwa bei vernetzten Haushaltsg­eräten oder Maschinen – Stichwort „Internet der Dinge“. Software-Updates könnten durch zu schlechte Leitungen nicht aufgespiel­t werden, zudem geht es um Datenmodel­le und Datenstand­ards, die Verschlüss­elung, mit der global agierende Unternehme­n arbeiten: „Wer die Norm hat, hat den Markt. Wenn deutsche, darunter auch unsere regionalen Unternehme­n dabei nicht mitreden, schreiten die Entwicklun­gen ohne uns voran.“Bei den Defiziten in ländlichen Regionen kämen unterschie­dliche Faktoren zusammen, von den historisch gewachsene­n Telekommun­ikationsne­tzen und dem Problem der „letzten Meile“bis hin zu fehlenden Kapazitäte­n im Tiefbau. „Der Dringlichk­eit und der Rasanz der Weiterentw­icklung wurde lange Zeit nicht genügend Rechnung getragen.“

Dass mittelfris­tig kein Weg am flächendec­kenden Glasfasern­etz vorbeiführ­t, ist für Bergatreut­es Bürgermeis­ter klar: „ Die Menschen produziere­n und konsumiere­n heute ganz andere Datenmenge­n.“Schäfers Vergleich ist anschaulic­h: „Dafür braucht man ein großes Rohr – aber momentan haben wir nur einen kleinen Gartenschl­auch.“

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