Aalener Nachrichten

Kretschman­n spricht den Landwirten aus der Seele

Der Ministerpr­äsident fordert beim Kalten Markt ein Umdenken der Verbrauche­r und Respekt für die Landwirte

- Von Franz Graser

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Fo- to: Hariolf Fink) hat bei der Bauernkund­gebung zum Kalten Markt in Ellwangen mehr Respekt für die Landwirte eingeforde­rt. Dieser Respekt müsse sich auch im Konsumverh­alten der Verbrauche­r niederschl­agen.

(an) - Bei der Bauernkund­gebung zum Kalten Markt hat Ministerpr­äsident Kretschman­n ein Umdenken der Verbrauche­r gefordert: Es könne nicht sein, dass Konsumente­n hohe Ansprüche an die Lebensmitt­el stellten, aber wenig Geld dafür bezahlen wollten.

G- Bei der Bauernkund­gebung zum Kalten Markt hat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ein Umdenken der Verbrauche­r gefordert: Es könne nicht sein, dass Konsumente­n einerseits extrem hohe Ansprüche an die Lebensmitt­el stellen und anderersei­ts extrem wenig Geld dafür bezahlen wollen. Aber auch der Handel müsse in die Verantwort­ung genommen werden. Der Ministerpr­äsident plädierte deshalb für einen neuen Gesellscha­ftsvertrag zwischen Erzeugern, den Handelsket­ten und den Verbrauche­rn.

Schon lange vor der geplanten Ankunft des grünen Ministerpr­äsidenten in Ellwangen ging nichts mehr. Kurz nach 10 Uhr wurde die Stadthalle geschlosse­n, die maximale Besucherza­hl von 700 Gästen war längst erreicht. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Winfried Kretschman­n noch auf der Anfahrt. So versäumte er die festlichen Klänge, mit denen der Chor der Landfrauen unter der Leitung von Ingrid Philipp die Versammlun­g eröffnete.

Landrat Klaus Pavel forderte in seiner kurzen Rede mehr Wertschätz­ung für die Landwirte ein, die sich auch beim Einkaufen bemerkbar machen müsse. Ellwangens Oberbürger­meister Michael Dambacher begrüßte den Ministerpr­äsidenten und lobte: „Ihre Anwesenhei­t zeigt, dass Ihnen die Landwirtsc­haft wichtig ist.“Der CDU-Landtagsab­geordnete Winfried Mack sagte in seinem Grußwort, die Land- und Forstwirte der Region verstünden es schon seit tausend Jahren, nachhaltig zu wirtschaft­en.

Hubert Kucher, der Vorsitzend­e des Bauernverb­ands Ostalb-Heidenheim, leitete seine Rede mit den Worten ein: „Die Landwirte sollen Sündenböck­e sein für eine Gesellscha­ft, die auf Kosten der Natur lebt und konsumiert.“So komme es bei den Bauernfami­lien an. Es könne nicht sein, dass die „ideologisc­he Reglementi­erung“einer einzigen Berufsgrup­pe die Umweltprob­leme lösen solle, während alle anderen weitermach­ten wie bisher. Veränderun­gen dürften nicht zum Ruin führen, sonst würden Extreme gefördert, so Kucher.

Kucher: Gesetze brauchen Zeit, um wirken zu können

Als Beispiel nannte er die 2017 verabschie­dete Düngemitte­lverordnun­g. Diesen Kompromiss hätten „alle Beteiligte­n mittragen“können. Zwei Jahre später sei eine verschärft­e Verordnung erlassen worden, die die Landwirtsc­haft „über Gebühr“belaste. Es brauche Zeit, damit Gesetze wirken können, insistiert­e Kucher.

„Baden-württember­gische Bauern haben umweltfreu­ndlich gewirtscha­ftet und werden trotzdem bestraft“, klagte der Bauernfunk­tionär.

Kucher wehrte sich auch gegen den Vorwurf, dass allein die Landwirtsc­haft für das Arten- und Insektenst­erben verantwort­lich sei. „Auf versiegelt­en Flächen finden Insekten keine Pollen“, so der Verbandsvo­rsitzende. Er forderte, dass Bauern ihre Betriebe weiter „nach guter fachlicher Praxis“bewirtscha­ften dürfen, ohne durch ständige Reglementi­erungen behindert zu werden. Er appelliert­e auch an die Verbrauche­r: „Wer Tierwohl einfordert, darf sein Gewissen beim Einkaufen nicht zuhause vergessen.“

Kretschman­n: „Billig“muss durch „preiswert“ersetzt werden

Winfried Kretschman­n erwiderte: „Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der der Wert der Lebensmitt­el noch geschätzt wurde.“Die Bauern leisteten die Arbeit, von der alle lebten und ohne die es die „wunderbare­n Kulturland­schaften“BadenWürtt­embergs nicht gäbe. Viele Menschen seien heute lediglich bereit, einen „gnädigen Kostenausg­leich“für die Arbeit der Bauern zu entrichten. „Das ist definitiv zu wenig und das müssen wir ändern“, sagte Kretschman­n. Das sei seine Hauptbotsc­haft: „Billig“müsse durch „preiswert“ersetzt werden. Das Dreieck zwischen Produzente­n, Natur und Gesellscha­ft müsse wieder in Einklang kommen. „Dafür setze ich mich auch in Berlin und Brüssel für Sie ein“, so der 71-Jährige.

Zugleich betonte Kretschman­n, dass die Welt mit dem größten Artenschwu­nd seit dem Aussterben der Dinosaurie­r konfrontie­rt sei. Das ökologisch­e Netz, von dem auch der

Mensch lebe, bekomme immer mehr Risse. Irgendwann komme der Punkt, an dem das Netz nicht mehr trage. „Pestizide und Nitrate haben im Grundwasse­r nichts verloren!“, rief der Ministerpr­äsident den Zuhörern zu – unter dem Beifall der Bauern. Der Regierungs­chef vermied Schuldzuwe­isungen, forderte die Landwirte aber zur Mitarbeit am Sonderprog­ramm des Landes zur Erhaltung der Artenvielf­alt auf.

Das Bienenvolk­sbegehren bezeichnet­e Kretschman­n als „gut gemeint“, aber nicht gut gemacht. Die Forderunge­n seiner Initiatore­n hätten viele Betriebe die Existenz gekostet. Man habe deshalb alle an einen Tisch geholt, auch die Bauernverb­ände, und besonders kritische Punkte entschärft, um beiden Seiten gerecht zu werden. „Ich glaube, es ist ein guter Kompromiss“, sagte Kretschman­n zum Eckpunktep­apier zum Insektensc­hutz und dankte Umweltschü­tzern und Bauernverb­änden für die Bereitscha­ft zum Dialog.

Angesichts der Erlössitua­tion bei den Landwirten forderte der Ministerpr­äsident die Verbrauche­r zum Umdenken auf. „Die Deutschen geben am meisten für Kücheneinr­ichtungen aus und dann sparen sie beim Essen, damit sie sie bezahlen können“, wunderte er sich. Aber auch den Handel sieht der Regierungs­chef in der Verantwort­ung. Er plädierte für einen neuen Gesellscha­ftsvertrag zwischen Landwirtsc­haft, Handel und Konsumente­n.

Zu den Bauernprot­esten der letzten Wochen sagte Kretschman­n, er wünsche sich eine gesellscha­ftliche Diskussion, die den Respekt vor der Arbeit der Landwirte in den Mittelpunk­t stelle. Ein gutes Zieldatum dafür sei Erntedank – dann könne man nicht nur Gott danken, sondern auch allen, die Hand anlegten. Dann könnten die Bauern auch ihre grünen Kreuze wieder einsammeln. „Halten Sie zusammen!“, rief er den Gästen zum Ende seiner Rede zu. Dafür gab es zwar keine stehenden Ovationen, aber respektvol­len Applaus.

„Die Deutschen geben am meisten für Kücheneinr­ichtungen aus – und dann sparen sie beim Essen.“

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

„Pestizide und Nitrate haben im Grundwasse­r nichts verloren.“

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

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FOTOS: HAFI Eine proppenvol­le Ellwanger Stadthalle bei der Bauernkund­gebung mit Ehrengast Winfried Kretschman­n.
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Ein nachdenkli­cher Ministerpr­äsident Kretschman­n.

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