Kretschmann spricht den Landwirten aus der Seele
Der Ministerpräsident fordert beim Kalten Markt ein Umdenken der Verbraucher und Respekt für die Landwirte
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Fo- to: Hariolf Fink) hat bei der Bauernkundgebung zum Kalten Markt in Ellwangen mehr Respekt für die Landwirte eingefordert. Dieser Respekt müsse sich auch im Konsumverhalten der Verbraucher niederschlagen.
(an) - Bei der Bauernkundgebung zum Kalten Markt hat Ministerpräsident Kretschmann ein Umdenken der Verbraucher gefordert: Es könne nicht sein, dass Konsumenten hohe Ansprüche an die Lebensmittel stellten, aber wenig Geld dafür bezahlen wollten.
G- Bei der Bauernkundgebung zum Kalten Markt hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein Umdenken der Verbraucher gefordert: Es könne nicht sein, dass Konsumenten einerseits extrem hohe Ansprüche an die Lebensmittel stellen und andererseits extrem wenig Geld dafür bezahlen wollen. Aber auch der Handel müsse in die Verantwortung genommen werden. Der Ministerpräsident plädierte deshalb für einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Erzeugern, den Handelsketten und den Verbrauchern.
Schon lange vor der geplanten Ankunft des grünen Ministerpräsidenten in Ellwangen ging nichts mehr. Kurz nach 10 Uhr wurde die Stadthalle geschlossen, die maximale Besucherzahl von 700 Gästen war längst erreicht. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Winfried Kretschmann noch auf der Anfahrt. So versäumte er die festlichen Klänge, mit denen der Chor der Landfrauen unter der Leitung von Ingrid Philipp die Versammlung eröffnete.
Landrat Klaus Pavel forderte in seiner kurzen Rede mehr Wertschätzung für die Landwirte ein, die sich auch beim Einkaufen bemerkbar machen müsse. Ellwangens Oberbürgermeister Michael Dambacher begrüßte den Ministerpräsidenten und lobte: „Ihre Anwesenheit zeigt, dass Ihnen die Landwirtschaft wichtig ist.“Der CDU-Landtagsabgeordnete Winfried Mack sagte in seinem Grußwort, die Land- und Forstwirte der Region verstünden es schon seit tausend Jahren, nachhaltig zu wirtschaften.
Hubert Kucher, der Vorsitzende des Bauernverbands Ostalb-Heidenheim, leitete seine Rede mit den Worten ein: „Die Landwirte sollen Sündenböcke sein für eine Gesellschaft, die auf Kosten der Natur lebt und konsumiert.“So komme es bei den Bauernfamilien an. Es könne nicht sein, dass die „ideologische Reglementierung“einer einzigen Berufsgruppe die Umweltprobleme lösen solle, während alle anderen weitermachten wie bisher. Veränderungen dürften nicht zum Ruin führen, sonst würden Extreme gefördert, so Kucher.
Kucher: Gesetze brauchen Zeit, um wirken zu können
Als Beispiel nannte er die 2017 verabschiedete Düngemittelverordnung. Diesen Kompromiss hätten „alle Beteiligten mittragen“können. Zwei Jahre später sei eine verschärfte Verordnung erlassen worden, die die Landwirtschaft „über Gebühr“belaste. Es brauche Zeit, damit Gesetze wirken können, insistierte Kucher.
„Baden-württembergische Bauern haben umweltfreundlich gewirtschaftet und werden trotzdem bestraft“, klagte der Bauernfunktionär.
Kucher wehrte sich auch gegen den Vorwurf, dass allein die Landwirtschaft für das Arten- und Insektensterben verantwortlich sei. „Auf versiegelten Flächen finden Insekten keine Pollen“, so der Verbandsvorsitzende. Er forderte, dass Bauern ihre Betriebe weiter „nach guter fachlicher Praxis“bewirtschaften dürfen, ohne durch ständige Reglementierungen behindert zu werden. Er appellierte auch an die Verbraucher: „Wer Tierwohl einfordert, darf sein Gewissen beim Einkaufen nicht zuhause vergessen.“
Kretschmann: „Billig“muss durch „preiswert“ersetzt werden
Winfried Kretschmann erwiderte: „Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der der Wert der Lebensmittel noch geschätzt wurde.“Die Bauern leisteten die Arbeit, von der alle lebten und ohne die es die „wunderbaren Kulturlandschaften“BadenWürttembergs nicht gäbe. Viele Menschen seien heute lediglich bereit, einen „gnädigen Kostenausgleich“für die Arbeit der Bauern zu entrichten. „Das ist definitiv zu wenig und das müssen wir ändern“, sagte Kretschmann. Das sei seine Hauptbotschaft: „Billig“müsse durch „preiswert“ersetzt werden. Das Dreieck zwischen Produzenten, Natur und Gesellschaft müsse wieder in Einklang kommen. „Dafür setze ich mich auch in Berlin und Brüssel für Sie ein“, so der 71-Jährige.
Zugleich betonte Kretschmann, dass die Welt mit dem größten Artenschwund seit dem Aussterben der Dinosaurier konfrontiert sei. Das ökologische Netz, von dem auch der
Mensch lebe, bekomme immer mehr Risse. Irgendwann komme der Punkt, an dem das Netz nicht mehr trage. „Pestizide und Nitrate haben im Grundwasser nichts verloren!“, rief der Ministerpräsident den Zuhörern zu – unter dem Beifall der Bauern. Der Regierungschef vermied Schuldzuweisungen, forderte die Landwirte aber zur Mitarbeit am Sonderprogramm des Landes zur Erhaltung der Artenvielfalt auf.
Das Bienenvolksbegehren bezeichnete Kretschmann als „gut gemeint“, aber nicht gut gemacht. Die Forderungen seiner Initiatoren hätten viele Betriebe die Existenz gekostet. Man habe deshalb alle an einen Tisch geholt, auch die Bauernverbände, und besonders kritische Punkte entschärft, um beiden Seiten gerecht zu werden. „Ich glaube, es ist ein guter Kompromiss“, sagte Kretschmann zum Eckpunktepapier zum Insektenschutz und dankte Umweltschützern und Bauernverbänden für die Bereitschaft zum Dialog.
Angesichts der Erlössituation bei den Landwirten forderte der Ministerpräsident die Verbraucher zum Umdenken auf. „Die Deutschen geben am meisten für Kücheneinrichtungen aus und dann sparen sie beim Essen, damit sie sie bezahlen können“, wunderte er sich. Aber auch den Handel sieht der Regierungschef in der Verantwortung. Er plädierte für einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Landwirtschaft, Handel und Konsumenten.
Zu den Bauernprotesten der letzten Wochen sagte Kretschmann, er wünsche sich eine gesellschaftliche Diskussion, die den Respekt vor der Arbeit der Landwirte in den Mittelpunkt stelle. Ein gutes Zieldatum dafür sei Erntedank – dann könne man nicht nur Gott danken, sondern auch allen, die Hand anlegten. Dann könnten die Bauern auch ihre grünen Kreuze wieder einsammeln. „Halten Sie zusammen!“, rief er den Gästen zum Ende seiner Rede zu. Dafür gab es zwar keine stehenden Ovationen, aber respektvollen Applaus.
„Die Deutschen geben am meisten für Kücheneinrichtungen aus – und dann sparen sie beim Essen.“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
„Pestizide und Nitrate haben im Grundwasser nichts verloren.“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann.