Erasmus könnte Brexit-Opfer werden
Tausende Studierende gehen nach Großbritannien – Kommt das Schweizer Modell?
- Droht das Erasmus-Programm der Europäischen Union unter die Räder der BrexitVerhandlungen zu kommen? Anfang Januar hat das britische Unterhaus einen Antrag abgelehnt, der die Regierung dazu verpflichtet hätte, das Programm fortzusetzen. Nun ist unklar, ob der rege Austausch zwischen dem Königreich und den anderen EU-Staaten auch künftig fortgesetzt werden kann. Sicher ist bisher: Während der Übergangsphase bis Ende 2020 werden sich keine Veränderungen ergeben. Wie es danach weitergeht, muss im Rahmen der Austrittsverhandlungen ab 1. Februar noch verhandelt werden – Ausgang offen.
Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat dafür geworben, Großbritannien in dem Programm, das seit sechs Jahren offiziell den Namen Erasmus+ trägt, zu halten. „Erasmus+ verbindet Menschen und steht wie kaum ein anderes EU-Programm für europäische Verständigung“, sagte sie der „Schwäbischen Zeitung“. „Deshalb wünschen wir uns, dass Erasmus+ auch nach dem Brexit Brücken zwischen Europa und dem Vereinigten Königreich baut.“Auch die britische Regierung verfolge die weitere Teilnahme an Erasmus, erklärte das Londoner Bildungsministerium.
Erasmus+ ist eine der großen Erfolgsgeschichten der EU. Als das Programm 2017 sein 30-jähriges Bestehen feierte, hatten schon 650 000 Studierende aus Deutschland daran teilgenommen. Insgesamt waren bis vor drei Jahren rund 4,4 Millionen junge Menschen unterstützt worden. Großbritannien ist dabei für deutsche Studierende stets nach Spanien und Frankreich das wichtigste Zielland gewesen. Für Praktikanten, die sich ebenfalls über das Programm fördern lassen können, ist es sogar das wichtigste Land gewesen.
Auch im Süden nehmen jährlich Tausende junger Menschen an Erasmus+ teil. 28 968 Studierende allein von Hochschulen in Baden-Württemberg waren es nach Informationen des Stuttgarter Wissenschaftsministeriums von 2014 bis 2019, davon 23 358 für Studienaufenthalte und 5610 für Praktika. 4444 Personen gingen demnach nach Großbritannien – 1273 davon für ein Praktikum, das ist ein vergleichsweise großer Anteil. Aus Großbritannien in den Südwesten kamen durch Erasmus+ im selben Zeitraum 1335 Personen.
Ähnlich hoch sind die Zahlen für Bayern. Laut der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) haben zwischen 2014 und 2019 28 665 Studierende an Erasmus+ teilgenommen, die Teilnahmezahlen steigen demnach Jahr für Jahr. 4063 Studierende und Lehrkräfte gingen in diesem Zeitraum aus bayerischen Hochschulen nach Großbritannien, 938 aus Großbritannien an bayerische Hochschulen.
Großbritannien könnte indes trotz Brexit an Erasmus+ festhalten. Darauf weist auch die European University Association (EUA) in einem Papier zum Brexit hin. Der zeitliche Rahmen sei aber „sehr eng und könnte durch ein drittes Element komplizierter werden: den Wunsch der EU nach Gegenseitigkeit“, heißt es in dem Briefing. Ähnlich wie Norwegen, Liechtenstein oder Island könnte auch das Vereinigte Königreich ein Programmland außerhalb der EU werden. Dazu sind aber Verhandlungen nötig.
Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, weist darauf hin, dass eine „Schweizer Lösung“denkbar wäre. 2014 stimmten die Schweizer in einer Volksabstimmung gegen eine Teilnahme am Programm. Anstatt Erasmus aber aufzugeben, haben die Schweizer Hochschulen die Kosten für Erasmus-Mobilitäten einfach selbst übernommen.