Die Reform ist da, viele Probleme bleiben
Seit Januar werden Pflegekräfte anders ausgebildet – Was das für Angestellte bedeutet
- Eifrig läuft eine alte Dame mit kleinen Schritten den Flur entlang. „Wir gehen zu den Hunden“, verkündet sie freudestrahlend. Die Seniorin ist dement, wie viele der Bewohner im Elias-SchrenkHaus in Tuttlingen, doch an den Besuchshundetag kann sie sich offenbar gut erinnern. Ein alter Mann im Rollstuhl begleitet sie. Auch er will den tierischen Besuch nicht verpassen. Sie gehen vorbei an einer Mitarbeiterin, die gerade aus Papier gebastelte Deko aufhängt. Einer der Bewohner hilft ihr dabei. „So geht es viel schneller“, sagt sie lächelnd. Andere Senioren der Wohngruppe sitzen an großen Tischen im hellen Gemeinschaftsraum. Sie unterhalten sich, oder sie schauen den anderen bei ihren Unterhaltungen zu. Ein Betreuer hilft einer Frau dabei, etwas zu trinken und wischt ihr danach vorsichtig den Mund ab.
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt seit Jahren deutlich an – auch im Südwesten. Während 2009 noch rund 246 000 Menschen in Baden-Württemberg pflegebedürftig waren, waren es 2017 bereits knapp unter 400 000. Das geht aus Zahlen des Statistischen Landesamts hervor. Weil die Lebenserwartung der Menschen immer höher wird, gehen Experten außerdem davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren weiter massiv steigt. Der ohnehin schon bestehende Fachkräftemangel in Pflegeberufen dürfte sich daher verschärfen. Mit der Pflegeberufereform will die Bundesregierung entgegenwirken – zum Jahreswechsel trat sie auch in BadenWürttemberg in Kraft.
Nun wird es in der Pflege keine getrennte Ausbildung für Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege mehr geben. In den ersten beiden Ausbildungsjahren lernen alle die gleichen Inhalte in Theorie und Praxis. Erst im dritten Jahr können die Auszubildenden entscheiden, ob sie ihre Lehre generalistisch abschließen oder sich auf Alten- oder Kinderkrankenpflege
spezialisieren wollen. Ziel der Refrom sei es, die Ausbildung breiter aufzustellen und damit mehr Auszubildende zu gewinnen, heißt es etwa auf der Webseite der Bundesregierung.
„Der Grundgedanke der neuen Ausbildung ist super“, sagt Sabrina Hägert. Die Wohnbereichsleiterin ist im Tuttlinger Elias-Schrenk-Haus auch für die Praxisanleitung der Auszubildenden zuständig. Im September beginnen dort die ersten Auszubildenden in dem neuen System. Die generalistische Ausbildung ermögliche den Fachkräften, in allen Bereichen der Pflege zu arbeiten – außerdem sei die Ausbildung dann in ganz Europa anerkannt. Trotzdem bestehen laut Hägert viele Probleme der Branche weiterhin: „Die Diskussion steht schon immer im Raum: Was können wir machen, dass der Beruf attraktiver wird? Wie genau bin ich auch überfragt.“
Insgesamt 120 Mitarbeiter, darunter elf Auszubildende, kümmern sich im Elias-Schrenk-Haus um 97 Bewohner in der stationären Pflege und um 22 Tagespflegegäste. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter arbeitet in Teilzeit. „Von den Stellen her sind wir gut aufgestellt, aber Pflegefachkräfte suchen wir trotzdem immer“, sagt die stellvertretende Pflegedienstleiterin Marina Matuttis. Viele Mitarbeiter sind Helfer und keine ausgebildeten Fachkräfte. Schüler für die Ausbildung zu gewinnen sei schwer.
Flexibilität? Schwieriges Thema
Denn gewisse Rahmenbedingungen lassen sich in der Pflege kaum ändern. Bei der Gestaltung der Arbeitszeiten zum Beispiel sei Flexibilität nur in Grenzen möglich, sagt Hägert: „In einer Wohngruppe habe ich 15 Bewohner, die am liebsten alle gleichzeitig um 7 Uhr aufstehen wollen. Ich glaube nicht, dass die Politik da eine Lösung finden kann – und wir auch nicht. Das macht es einem schwer.“Auch Wochenenddienste und Schichtarbeit seien für viele junge Menschen abschreckend. „Die Schüler sagen erst einmal, es ist ihnen bewusst. Aber wenn es dann wirklich drangeht, ist es oft ein Punkt, wegen dem man abbricht“, sagt Hägert.
Hinzu komme, dass die Pflegekräfte sehr nah an den Patienten arbeiten. „Wir gehen direkt in die Intimsphäre der Patienten und sind direkt an den Menschen dran“, sagt Hägert. Das sei zu häufig ein Tabuthema. Auch emotional Abstand zu halten, sei nicht immer leicht. Gerade in der Altenpflege komme es regelmäßig vor, dass Patienten sterben.
Doch Hägert und Matuttis kennen auch die schönen Seiten an ihrem Beruf. Die Erfolgserlebnisse zum Beispiel, wenn ein Bewohner nach einem Schlaganfall wieder gelernt hat, selbstständig zu essen. Oder die vielen Lebensgeschichten, die die Patienten ihren Pflegern erzählen. Und nicht zuletzt auch die Wertschätzung, die die Pflegekräfte von ihren Patienten und deren Angehörigen erfahren. „Ich bin gerade aus dem Urlaub zurückgekommen und die Bewohner freuen sich riesig, dass ich wieder da bin. Da komme ich gerne wieder zur Arbeit“, erzählt Hägert.
Auch mit der Bezahlung ist Hägert nicht unzufrieden – in vielen Handwerksberufen, die ebenfalls händeringend nach Nachwuchskräften suchen, sei diese teilweise deutlich schlechter.
„Was viele frustriert, ist nicht das Geld, sondern dass sie die Versorgung nicht so machen können, wie sie es gerne würden“, sagt auch Matuttis. So verbrächten Fachkräfte etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation und Bürotätigkeiten – Zeit, die am Patienten fehle. „Man sollte mehr Leute haben, damit man die Arbeit auf alle verteilen kann“, findet Mattutis.
Ob die neue Pflegeausbildung dem Fachkräftemangel tatsächlich entgegenwirken kann, dem blicken Hägert und Mattutis nun gespannt entgegen. Fest steht für beide allerdings, dass sich der Mensch in der Pflege nicht ersetzen lässt. „Ich kann mir nicht vorstellen, von einem Roboter gepflegt zu werden“, sagt Hägert. „Man braucht einfach Empathie.“