Hermann kritisiert Schienenkonzerne
Grüner Verkehrsminister Winfried Hermann über die Probleme im Schienennahverkehr
(ume) - Landesverkehrsminister Winfried Hermann übt schwere Kritik an den chaotischen Zuständen im Schienennahverkehr. Die Verspätungen, Ausfälle und überfüllten Züge seien „eine Zumutung für die Fahrgäste“, sagte der Grünen-Politiker im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die chaotische Lage im Schienennahverkehr ist am Donnerstag Thema im Landtag. Die Opposition kritisiert, Hermann reagiere nicht entschieden genug auf die Missstände.
- Die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr in BadenWürttemberg sollen sich bis 2030 verdoppeln. Das ist nötig, um die Klimaziele zu erreichen, hat das Verkehrsministerium gerade erst wieder betont. Wer schon heute mit Nahverkehrszügen durch BadenWürttemberg reist, erlebt hingegen oft ein tristes Angebot: Züge sind überfüllt, kommen zu spät oder gar nicht. In der Region sind unter anderem die Remsbahn Stuttgart-Aalen und die Filstalbahn Stuttgart-Ulm betroffen, wo kürzlich das Unternehmen Go Ahead den Betrieb von der DB Regio übernommen hat. Auch der im Raum Nordbaden tätige Bahn-Konkurrent Abellio hat Probleme. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bezeichnet die Leistung als „nicht akzeptabel“– und sieht die Schuld vor allem bei den Zugherstellern Bombardier und Stadler. „Seit Monaten liefert Bombardier an Abellio nur einen Bruchteil der rechtzeitig bestellten Züge“, beklagt Hermann im Gespräch mit Hendrik Groth und Ulrich Mendelin.
Herr Hermann, auf der Filstalbahn herrscht Chaos, auf der Remsbahn fallen Züge aus – überall dort, wo die DB Regio den Betrieb an Konkurrenten übergeben hat, läuft es schief. Bedauern Sie schon das Ergebnis der Ausschreibung?
Nein! Auch zwischen Stuttgart und Tübingen läuft es schlecht und es gab chaotische Zustände bei der Breisgau-S-Bahn – beides wird von der DB Regio bedient. Wir haben an verschiedenen Stellen mit verschiedenen Betreibern Probleme. Und alles ärgert mich ziemlich. Eine Zumutung für die Fahrgäste!
Dass auch die DB Regio Probleme hat, macht die Leistung von Go Ahead im Filstal nicht besser.
Die Leistung von Go Ahead im Filstal ist nicht akzeptabel. Ein Hauptgrund ist, dass die neuen Betreiber neue Fahrzeuge bestellt haben. Die Deutsche Bahn hatte Baden-Württemberg über viele Jahre zur Altmaterialsenke gemacht. Das Problem ist jetzt: Seit Monaten liefert Bombardier an Abellio nur einen Bruchteil der rechtzeitig bestellten Züge, viele Stadler-Züge für Go Ahead funktionieren nicht richtig, obwohl sie neu sind.
Hätten Sie früher eingreifen müssen, als sich das abzeichnete?
Bombardier hat seinen Vertragspartner Abellio und uns hinters Licht geführt! Liefertermine wurden vielfach versprochen und nicht eingehalten, sie waren bislang absolut unzuverlässig. Bombardier hat beispielsweise bei einem Netz mehrfach gesagt: Wir können zum geplanten Termin nicht liefern – aber eine Woche später ganz bestimmt. Dann hieß es: übernächste Woche. Und dann: Wir können zwar nicht alle sechzehn Fahrzeuge liefern. aber vierzehn. Dann: Wahrscheinlich werden es nur zwölf. Und am Ende waren es zwei. Das ist unglaublich!
Go Ahead nutzt im Filstal aber keine Züge von Bombardier, sondern von Stadler. Trotzdem gibt es Probleme.
Stadler hat die Fahrzeuge kurz vor Beginn des neuen Fahrplans geliefert – statt wie vertraglich vereinbart mindestens sechs Wochen vorher, damit die Teams sich einarbeiten können. Türen klemmten, Schiebetritte fuhren nicht heraus. Es gibt eine lange Latte von technischen Problemen, bei Bombardier und vor allem bei Stadler. Die bekommen das nur langsam in den Griff.
Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie hätten zu wenig Platzkapazitäten
bestellt. Warum lassen Sie keine Doppelstockwagen fahren?
Es ist falsch, dass wir nicht genügend Plätze bestellt haben. Aber bei Go Ahead ist von fünf neuen Zügen im Durchschnitt einer in der Werkstatt, weil er nicht richtig funktioniert. Da ist es logisch, dass dann Züge mit zu wenigen Sitzplätzen unterwegs sind. Und die Idee mit den Doppelstockzügen hört sich zwar gut an, wäre aber zum Zeitpunkt der Ausschreibung keine gute Lösung gewesen. Damals gab es eine einzige Firma, die Doppelstockzüge angeboten hat – das war Stadler. Angesichts der Erfahrungen mit Stadler bin ich gottfroh, dass wir seinerzeit Doppelstockwagen nicht zur Bedingung gemacht haben. Bei den nächsten Ausschreibungen ist das anders, schon wegen Stuttgart 21. Sonst reicht dort die Kapazität nicht. Inzwischen bieten nämlich auch Siemens und Alstom Doppelstockzüge an. Damit bestehen eine größere Auswahl und Wettbewerb.
Der Bund hat gerade das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, kurz Bundes-GVFG, geändert – es gibt deutlich mehr Geld für den ÖPNV. Inwiefern profitiert Baden-Württemberg davon?
Schon in den vergangenen Jahren haben wir sehr von den Bundesmitteln profitiert, gut 30 Prozent davon haben wir nach Baden-Württemberg geholt. Denn im Unterschied zu anderen Bundesländern waren wir in der Lage, die notwendige Kofinanzierung aus dem Landesetat zu zahlen. Beim Bundes-GVFG förderte der Bund ja bisher von den Investitionen 60 Prozent, Land und Kommunen je 20 Prozent. Aber wir hatten auch Nachholbedarf. Jetzt haben wir das Personal aufgestockt, damit wir weiter einen hohen Anteil der Mittel nach Baden-Württemberg holen können. Wir haben einen immensen Bedarf bei der Elektrifizierung. Nach der Südbahn wollen wir die Bodenseegürtelbahn elektrifizieren und partiell doppelspurig machen. Die Hochrheinbahn ist am weitesten fortgeschritten in der Planung. Und dann ist da die geplante Regionalstadtbahn Tübingen/Reutlingen, die von der Elektrifizierung her bis nach Sigmaringen reichen wird. Wir haben große Ausbauvorhaben, für die wir das zusätzliche Geld aus diesem Programm und die verbesserten Fördermöglichkeiten benötigen.
Ausgerechnet der ADAC hat sich jüngst offen gezeigt für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Hat Sie das überrascht?
Es hat mich sehr gefreut, aber nicht gewundert. Im Gegensatz zu manchen Vorurteilen bin ich seit vielen Jahren regelmäßig als Gast bei ADAC-Veranstaltungen. Und ich weiß, was beim ADAC seit einigen Jahren diskutiert wird. Der ADAC von heute ist nicht mehr vergleichbar mit dem von früher, der „freie Fahrt für freie Bürger“proklamiert hat. Spätestens seit dem ADACSkandal ist ein Großteil der alten Riege weg, die den ADAC auch politisch verkörpert hatte. Und heute haben dort Jüngere das Sagen. Die wissen, dass man mit den alten Vorstellungen einen modernen Club nicht mehr führen kann.
Wenn nun schon der ADAC dafür offen ist: Glauben Sie, dass es in fünf Jahren ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen geben wird?
Ich habe mir vorgenommen, ich sage nie mehr was dazu, weil es mich schon langweilt. Ich finde, man muss da nicht lange drüber reden, sondern man muss es dann einfach mal machen. Das wird irgendwann mal kommen, wie das Rauchverbot.