Ministerpräsident „von Höckes Gnaden“
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer kritisiert Wahl von FDP-Politiker Kemmerich in Thüringen
Von Mathias Puddig, Dorothee Torebko und dpa
- Wenn die Abstimmung im Thüringer Landtag ein Erdbeben war, so konnte man die Auswirkungen auch noch im etwa 300 Kilometer entfernten Berlin spüren. Sichtlich überrascht, versuchte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer eine offizielle Reaktion zu vermeiden. „Ich möchte das von hier aus nicht kommentieren“, sagte sie in der Bundespressekonferenz, und: „Das betrifft nicht das Handeln der Bundesregierung.“Noch nicht einmal die Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem neuen Ministerpräsidenten von Thüringen gratulieren werde, beantwortete Demmer.
Wenn Ereignisse historisch sind, versagt eben die Routine, und historisch war es, was sich an diesem Mittwoch in Erfurt ereignete. Der Landtag wählte im dritten Wahlgang den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Kemmerich ist erst der zweite FDP-Mann in der Geschichte der Bundesrepublik, der ein Bundesland regiert. Vor ihm gab es noch Reinhold Maier, der acht Jahre lang Ministerpräsident erst von Württemberg-Baden (unter amerikanischer Militärregierung) und dann von Baden-Württemberg war.
Die Koalition in der Bredouille
Vor allem aber ist Kemmerich der erste Ministerpräsident, der mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde – und zwar mit den Stimmen der thüringischen AfD, die besonders weit rechts zu verorten ist und deren Vorsitzenden Björn Höcke man ungestraft einen „Faschisten“nennen darf. Der Tag in Erfurt rüttelt an den Grundfesten der Republik und bringt natürlich auch die in Berlin regierende Koalition in die Bredouille.
Als Kemmerich seinen Amtseid ablegte, rang er sichtlich um Haltung. Die Glückwünsche nahm er mit versteinerter Mine entgegen. Seine frühere Kollegin im Bundestag und FDP-Vorstandsmitglied MarieAgnes Strack-Zimmermann sagte: „Da dreht sich bei mir der Magen um.“Sie kenne Kemmerich und schätze ihn sehr. „Aber als Liberale und als Demokratin ist es für mich unerträglich, dass er mit den Stimmen der AfD gewählt wurde.“Parteichef Christian Lindner meinte etwas abgeschwächter, die FDP könne nichts dafür, dass die AfD-Abgeordneten in geheimer Wahl einen Liberalen wählten.
Björn Höcke grinst nur knapp
Björn Höcke, der Kopf des ultrarechten „Flügel“der AfD, grinste nur knapp, als er Kemmerich zur Wahl gratulierte. Die AfD, so erklärte er, habe ihr Wahlversprechen gehalten: „Wir wollten Rot-Rot-Grün beenden.“Er hoffe, dass von dieser Wahl ein Signal ausgehe.
Thüringens CDU-Landesparteiund Fraktionsvorsitzender Mike Mohring forderte den neuen Ministerpräsidenten auf, sich klar von der AfD abzugrenzen. „Jetzt erwarten wir, dass Thomas Kemmerich als neu gewählter Ministerpräsident dem Land ganz klar erklärt, dass er für eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht zur Verfügung steht.“Das tat Kemmerich kurze Zeit später dann auch. „Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen“, sagte er. Wie es nun weitergeht? Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und andere Sozialdemokraten klingen so, als ob man sich auf das Ende der Großen Koalition einstellen müsse. „Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache“, sagte etwa Finanzminister Scholz. Es handele sich um einen Tabubruch und habe Auswirkungen weit über Thüringen hinaus. „Es stellen sich für uns sehr ernste Fragen an die Spitze der Bundes-CDU.“
Als diese am Abend antwortete, schob sie zum Teil den Liberalen die Verantwortung in die Schuhe: „Die FDP hat heute mit dem Feuer gespielt, und ... das ganze Land in Brand gesetzt“, sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Die CDU jedenfalls lehne jedwede Zusammenarbeit mit der AfD ab, weil das christlich-demokratischen Werten widerspreche. Umso schlimmer sei es, dass Abgeordnete der CDU Kemmerich mit den Stimmen von „Nazis wie Höcke“gewählt hätten.
Auch die Parteichefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, äußerte sich am Abend in Straßburg: „Es ist jetzt auch an dem gewählten Ministerpräsidenten, für sich die Entscheidung zu treffen, ob er ein Ministerpräsident von Höckes Gnaden bleiben will oder nicht“, sagte sie. Das Präsidium der Bundes-CDU habe einstimmig Neuwahlen in Thüringen empfohlen. Selbst der Vorsitzende der Schwesterpartei Markus Söder sprach – ebenso wie Linke und Grüne – von einem „unakzeptablen Dammbruch“. Und: „Der ganze Tag nützt nur der AfD.“