Aalener Nachrichten

Sensations­fund unter Varta-Fabrik

Forscher finden einen vorgeschic­htlichen Brunnen in Nördlingen

- Von Philipp Wehrmann

- Archäologe­n und Denkmalpfl­eger haben in Nördlingen einen Brunnen aus der Zeit um 130 vor Christus gefunden. Sie stießen bei Ausgrabung­en auf dem Varta-Gelände auf das Bauwerk. Eine wissenscha­ftliche Sensation ist er aber nicht in erster Linie wegen seines Alters.

Während der Ausgrabung­en befand sich der Batteriehe­rsteller Varta gerade im Bau einer Erweiterun­g der bestehende­n Fabrik. Erst sahen die Mitarbeite­r des Harburger Archäologi­ebüros Dr. Woidich nur eine dunkle Färbung des Bodens, im Erdreich fanden sie dann den Brunnen. Vor Ort wurde er zunächst untersucht, dann Stück für Stück herausgeho­lt, ins Landesdenk­malamt gebracht und später mit einem Kunstharz konservier­t.

Er liefert wichtige Erkenntnis­se über die keltische Siedlungsg­eschichte – wie bisherige Funde deutet der Brunnen darauf hin, dass das Volk die Region langsam verlassen hat. Wieso, das ist bis heute unklar. Dr. Johann Friedrich Tolksdorf vom Bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege sagt, das Ries insgesamt, besonders aber die Gegend um Nördlingen sei seit sechs Jahrtausen­den von Menschen besiedelt worden – das sei gut dokumentie­rt. Doch eine Frage konnte man in ganz Süddeutsch­land nicht beantworte­n: Was geschah in den bis zu zwei Jahrhunder­ten, nachdem die Kelten verschwund­en und die Römer noch nicht gekommen waren?

Tolksdorf nennt drei Hypothesen, die das Verschwind­en der Kelten erklären könnten. Der erste Erklärungs­versuch: eine Art Wirtschaft­skrise. Abgeschnit­tene Handelsstr­öme hätten die Kelten zur Abwanderun­g zwingen können. Zweitens: militärisc­her Druck von den Römern. Dagegen spreche, dass bisher keine Spuren wie Massengräb­er gefunden worden seien. Drittens: eine Seuche oder Dürre. Auch hierfür habe man keine Hinweise. Im Gegenteil, die Jahresring­e der bisherigen

Holzfunde sprächen gegen eine Dürre. Eines aber zeige der Brunnen sehr klar: Bevor er verschütte­t wurde, war er offenbar umgeben von Getreidefe­ldern, einer von Menschen bestellten Kulturland­schaft. Dann breiteten sich wieder wilde Holunderbü­sche aus – das geht aus Pollen hervor, die die Wissenscha­ftler im Brunnen fanden.

Ein weiterer Inhalt gibt Aufschluss über die keltische Küche: fast 2000 Pflanzenre­ste von mehr als 60 Arten. Man fand Gerste und Dinkel, außerdem Dill, mit dem die Kelten offenbar ihre Speisen würzten. Physalis, das heute als sogenannte­s Superfood bezeichnet wird, schätzten anscheinen­d auch die Kelten. Echtes Johanniskr­aut und das berauschen­de Schwarze Bilsenkrau­t nutzten sie möglicherw­eise als Heilpflanz­en. Besonders überrascht waren die Wissenscha­ftler von dem Rest einer Birne: Laut dem Landesamt war die Frucht zu dieser Zeit zwar südlich der Alpen in Mode, im Ries aber dürfte es sich um eine wilde Form gehandelt haben. Dass die Kelten sie nutzten, konnte bislang kaum nachgewies­en werden, weil die Funde schlecht erhalten waren – bis zu dieser Ausgrabung.

Mittlerwei­le steht der Varta-Anbau, unter dem der Brunnen gefunden wurde. Im Obergescho­ss befindet sich ein Casino für die Mitarbeite­r, im Erdgeschos­s die sogenannte Formation, erklärt Varta-Chef Herbert Schein, während er an genau der Stelle steht, wo Forscher auf das Bauwerk stießen.

Varta baut derzeit mit Hochdruck seine Produktion aus. Aktuell werden Bohrpfähle für eine weitere Fabrik auf dem Nachbargel­ände versenkt.

Der Fund hatte den Varta-CEO deshalb zunächst alarmiert: „Glauben Sie mir bitte, in einem solchen Moment hat man als Verantwort­licher die Befürchtun­g, dass jetzt die Ampel auf Rot springt.“Man sei der Stadt Nördlingen und dem Landesamt für Denkmalpfl­ege deshalb dankbar, dass die Untersuchu­ng vor Ort und schnell abgeschlos­sen wurde. „Damit bleiben wir sozusagen im Plan und können unsere hochgestec­kten Ziele erreichen“, sagte er. Dort, wo früher Kelten lebten, gehen also zukünftig noch mehr HightechAk­kus vom Band.

 ?? FOTO: ABDW ARCHÄOLOGI­EBÜRO DR. WOIDIC ?? Auf dem Gelände der Varta AG ist bei Ausgrabung­en ein vorgeschic­htlicher Brunnen gefunden worden. Er stammt aus der Zeit, bevor die Kelten das Ries verließen. Wieso sie das taten, das fragen sich Wissenscha­ftler nach wie vor.
FOTO: ABDW ARCHÄOLOGI­EBÜRO DR. WOIDIC Auf dem Gelände der Varta AG ist bei Ausgrabung­en ein vorgeschic­htlicher Brunnen gefunden worden. Er stammt aus der Zeit, bevor die Kelten das Ries verließen. Wieso sie das taten, das fragen sich Wissenscha­ftler nach wie vor.

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