CDU müht sich um Schadensbegrenzung
Kramp-Karrenbauer nach Thüringen-Debakel unter Druck – FDP-Chef Lindner gestärkt
(AFP/dpa) - Nach dem Thüringen-Debakel mühen sich CDU und FDP im Bund um Schadensbegrenzung. Am Freitag folgte das Bundespräsidium der CDU der von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer vorgegebenen Linie und fällte einstimmig einen Beschluss zum weiteren Vorgehen: Die Parteispitze rief SPD und Grüne in Thüringen dazu auf, die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten mit der Nominierung eines Kompromisskandidaten zu ermöglichen. Ablehnung kam von beiden genannten Parteien sowie von der Linken.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken nannte den Vorschlag „realitätsfern“, Thüringens SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee twitterte, dies sei „der untaugliche Versuch“, RotRot-Grün zu spalten. „Ich glaube nicht, dass Frau Kramp-Karrenbauer in der Position ist, Vorschläge oder Aufträge zu erteilen“, erklärte Dirk Adams, Fraktionschef der Grünen in Thüringen, am Freitag.
Kramp-Karrenbauer hatte zuvor in Berlin gefordert, schnell für stabile und klare Verhältnisse in Erfurt zu sorgen. Wenn der Versuch scheitere, dies innerhalb des Parlaments zu erreichen, seien Neuwahlen unausweichlich. „Wir sind nach wie vor im Präsidium der Meinung, dass Neuwahlen dafür der klarste Weg sind“, hieß es in dem Beschluss der Parteispitze. Der schwer unter Druck geratene FDP-Parteichef Christian Lindner überstand derweil am Freitag in Berlin eine Vertrauensfrage im Bundesvorstand – bei nur einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen.
Auslöser der Krise war die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten.
Er hatte sich am Mittwoch überraschend gegen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durchgesetzt – mit Stimmen der AfD sowie der CDU. Dies hatte ein politisches Beben ausgelöst. Am Donnerstag hatte Kemmerich seinen Rücktritt angekündigt, aus formellen Gründen ist er jedoch noch im Amt. Lindner erklärte nun am Freitag, er bedauere zutiefst, dass die Vorgänge bei vielen Zweifel „an der Grundhaltung der FDP ausgelöst“hätten. Die FDP habe im Bundestag immer eine klare Grenze gezogen zur AfD.
Schwierig ist die Lage für CDUChefin Kramp-Karrenbauer. Sie hatte sich in der Nacht zu Freitag mit ihrer Forderung nach Neuwahlen in Thüringen in der dortigen Landtagsfraktion nicht durchsetzen können. Die Thüringer CDU blieb auch am Freitag bei ihrer Haltung. Fraktionschef
Mike Mohring kündigte allerdings seinen Rückzug an.
In der Wählerschaft hat das Debakel offenbar vor allem der CDU geschadet. Nach einer Forsa-Umfrage vom Freitag liegt die CDU in Thüringen nur noch bei 12 Prozent und verliert fast die Hälfte ihrer bisherigen Wähler (21,7 Prozent). Die FDP würde es mit nur noch 4 Prozent nicht mehr in den Erfurter Landtag schaffen. Rot-Rot-Grün könnte derweil bei einer Neuwahl wieder auf eine Mehrheit hoffen: Die Linke des bisherigen Ministerpräsidenten Ramelow könnte sich auf 37 Prozent (31) verbessern. SPD (9 Prozent statt 8,2) und Grüne (7 Prozent statt 5,2) würden ebenfalls leicht zulegen. Gleiches gilt für die AfD (24 Prozent statt 23,1). Trotz dieser Zahlen sprach sich Ramelow am Abend gegen eine Neuwahl aus.
Die umstrittene Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD kam für CDU und FDP alles andere als überraschend, sagt der angeschlagene Noch-Chef der Thüringer CDU-Fraktion, Mike Mohring, am Freitagmorgen um kurz vor 10 Uhr in Berlin. „Ich habe vor diesem Tsunami gewarnt, ausdrücklich und ausführlich“, betont er vor der Präsidiumssitzung der BundesCDU. Die Fraktion habe aber nicht auf ihn gehört, und er habe dann mit seinen Leuten (und der AfD) für Kemmerich gestimmt. „Das ist die Verantwortung von Chefs“, sagt er. Er selbst habe extra nicht kandidiert: „Ich wollte nicht Ministerpräsident werden mithilfe von AfDStimmen“.
Mohring, der noch bis halb 3 Uhr in der Nacht in Erfurt mit seiner Fraktion in einer Krisensitzung war, rechnet an diesem Morgen in der Hauptstadt ab: mit Kemmerich, dem Berliner Politbetrieb, der eigenen Bundespartei und deren Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dass die ihn vor der Wahl Kemmerichs gewarnt habe? „Glauben Sie mir: Die Gespräche sind von mir ausgegangen.“Dass Kemmerich angeblich unfallweise zum Ministerpräsidenten gewählt wurde? „Jeder, der in den Wahlgang gegangen ist, musste damit rechnen, dass so eine Situation entstehen konnte.“Die Kritik an der Wahl? „Ich kann ja verstehen, dass in Berlin Dinge anders betrachtet werden als in Thüringen. Aber an der Basis in Thüringen hat die Entscheidung eine große Zustimmung“.
Die Forderung nach einer neuen Landtagswahl? „Die Lösung liegt definitiv nicht in Neuwahlen.“
Und: „Kein Wähler und keine Wählerin in Thüringen würde verstehen, wenn die Politik nicht in der Lage wäre, Neuwahlen zu verhindern.“Die Drohungen der Bundespartei gegen die Thüringer CDU-Abgeordneten? „Die unmittelbare Forderung nach Neuwahlen hat viele Leute irritiert. Die angedrohten Zwangsmaßnahmen haben noch mehr irritiert.“
Sowieso: Die ganzen Probleme seien dem Nichtstun geschuldet. „Ich habe seit Monaten darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe ist, auch bei komplizierten Wahlergebnissen Lösungen zu finden.“Nun habe „man“Monate ins Land gehen lassen und sei „wieder am Ausgangspunkt angekommen“.
Als Kramp-Karrenbauer knapp dreieinhalb Stunden später im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse tritt, ist davon nichts und von Selbstkritik wenig zu hören. Zwar räumt die Parteichefin angesichts der Kemmerich-Wahl eine „Reihe von Fehlern“ein. Doch nicht bei sich: Die
Thüringer CDU habe nicht auf die „klare Empfehlung“der Bundespartei gehört, Kemmerich nicht zu stützen. Der vorherige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) habe erst den Raum für die taktischen Fehler geöffnet. Und die FDP sei schließlich in die Falle der AfD getappt.
Bei der Bundes-CDU bleibe hingegen alles beim bisherigen Unvereinbarkeitsbeschluss:
„Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD, weder in direkter noch in indirekter Form“, sagt die CDU-Chefin. Das habe das Präsidium einstimmig – auch mit Mohrings Stimme – beschlossen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die CDU-Fraktion bei inhaltlichen Anträgen auf Stimmen der AfD (oder der Linkspartei) verzichtet. Anders als Mohring setzt die Parteichefin immer noch auf Neuwahlen – zumindest theoretisch.
Da von SPD, Grünen und Linken im Landtag „keine Neuwahlen gewünscht sind“, könne sich die CDU auch vorstellen, einen Kandidaten von SPD oder Grünen zu wählen, „der das Land nicht spaltet, sondern das Land eint“.
Für den Koalitionsausschuss am Samstag erwarte Kramp-Karrenbauer einen Vorschlag der Sozialdemokraten, die in Thüringen 8,2 Prozent geholt haben. Einen eigenen Kandidaten will die CDU nicht benennen, zudem gebe es „keine Stimmen für einen Kandidaten der AfD oder der Linkspartei“. Also auch nicht für den früheren Regierungschef Bodo Ramelow.
Es kursiert bei der CDU auch bereits ein Name: Der Thüringer SPDChef Wolfgang Tiefensee. Sollte der Versuch eines gemeinsamen Kandidaten scheitern, seien Neuwahlen „unausweichlich“. Tiefensee erteilt dem Vorschlag umgehend eine Absage.
Mohring-Rücktritt bis Mai
Andere in der Partei fordern einen parteiunabhängigen Kandidaten: Wie Gesundheitsminister Jens Spahn, der eine „Operation Mitte“der demokratischen Parteien Thüringens anregt. Oder JU-Chef Tilman Kuban, der eine Expertenregierung nach österreichischem Vorbild ins Spiel bringt. „Statt Neuwahlen“, wie Kuban zusammen mit dem Mittelstandpolitiker Carsten Linnemann feststellt. Beide attackieren gemeinsam Kramp-Karrenbauer: Sie habe die Dinge zu lange laufen zu lassen. Die Forderung nach einer Expertenregierung bringt Juso-Chef Kevin Kühnert ebenso auf die Palme („ein alter Vorschlag von Höcke“) wie Kramp-Karrenbauers Zuweisung von Mitschuld an SPD und Linke an dem Thüringer Desaster. „Checkt ihr in der CDU eigentlich gar nicht, was ihr gerade anrichtet?“, twittert er am Freitagnachmittag.
Ebenfalls am Nachmittag revoltiert Thüringens CDU-Fraktion gegen Mohring, der seinen Rücktritt bis Mai in Aussicht stellt.