Aalener Nachrichten

CDU müht sich um Schadensbe­grenzung

Kramp-Karrenbaue­r nach Thüringen-Debakel unter Druck – FDP-Chef Lindner gestärkt

- Von Klaus Wieschemey­er

(AFP/dpa) - Nach dem Thüringen-Debakel mühen sich CDU und FDP im Bund um Schadensbe­grenzung. Am Freitag folgte das Bundespräs­idium der CDU der von Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r vorgegeben­en Linie und fällte einstimmig einen Beschluss zum weiteren Vorgehen: Die Parteispit­ze rief SPD und Grüne in Thüringen dazu auf, die Wahl eines neuen Ministerpr­äsidenten mit der Nominierun­g eines Kompromiss­kandidaten zu ermögliche­n. Ablehnung kam von beiden genannten Parteien sowie von der Linken.

Die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken nannte den Vorschlag „realitätsf­ern“, Thüringens SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee twitterte, dies sei „der untauglich­e Versuch“, RotRot-Grün zu spalten. „Ich glaube nicht, dass Frau Kramp-Karrenbaue­r in der Position ist, Vorschläge oder Aufträge zu erteilen“, erklärte Dirk Adams, Fraktionsc­hef der Grünen in Thüringen, am Freitag.

Kramp-Karrenbaue­r hatte zuvor in Berlin gefordert, schnell für stabile und klare Verhältnis­se in Erfurt zu sorgen. Wenn der Versuch scheitere, dies innerhalb des Parlaments zu erreichen, seien Neuwahlen unausweich­lich. „Wir sind nach wie vor im Präsidium der Meinung, dass Neuwahlen dafür der klarste Weg sind“, hieß es in dem Beschluss der Parteispit­ze. Der schwer unter Druck geratene FDP-Parteichef Christian Lindner überstand derweil am Freitag in Berlin eine Vertrauens­frage im Bundesvors­tand – bei nur einer Gegenstimm­e und zwei Enthaltung­en.

Auslöser der Krise war die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpr­äsidenten.

Er hatte sich am Mittwoch überrasche­nd gegen Amtsinhabe­r Bodo Ramelow (Linke) durchgeset­zt – mit Stimmen der AfD sowie der CDU. Dies hatte ein politische­s Beben ausgelöst. Am Donnerstag hatte Kemmerich seinen Rücktritt angekündig­t, aus formellen Gründen ist er jedoch noch im Amt. Lindner erklärte nun am Freitag, er bedauere zutiefst, dass die Vorgänge bei vielen Zweifel „an der Grundhaltu­ng der FDP ausgelöst“hätten. Die FDP habe im Bundestag immer eine klare Grenze gezogen zur AfD.

Schwierig ist die Lage für CDUChefin Kramp-Karrenbaue­r. Sie hatte sich in der Nacht zu Freitag mit ihrer Forderung nach Neuwahlen in Thüringen in der dortigen Landtagsfr­aktion nicht durchsetze­n können. Die Thüringer CDU blieb auch am Freitag bei ihrer Haltung. Fraktionsc­hef

Mike Mohring kündigte allerdings seinen Rückzug an.

In der Wählerscha­ft hat das Debakel offenbar vor allem der CDU geschadet. Nach einer Forsa-Umfrage vom Freitag liegt die CDU in Thüringen nur noch bei 12 Prozent und verliert fast die Hälfte ihrer bisherigen Wähler (21,7 Prozent). Die FDP würde es mit nur noch 4 Prozent nicht mehr in den Erfurter Landtag schaffen. Rot-Rot-Grün könnte derweil bei einer Neuwahl wieder auf eine Mehrheit hoffen: Die Linke des bisherigen Ministerpr­äsidenten Ramelow könnte sich auf 37 Prozent (31) verbessern. SPD (9 Prozent statt 8,2) und Grüne (7 Prozent statt 5,2) würden ebenfalls leicht zulegen. Gleiches gilt für die AfD (24 Prozent statt 23,1). Trotz dieser Zahlen sprach sich Ramelow am Abend gegen eine Neuwahl aus.

Die umstritten­e Wahl des Thüringer Ministerpr­äsidenten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD kam für CDU und FDP alles andere als überrasche­nd, sagt der angeschlag­ene Noch-Chef der Thüringer CDU-Fraktion, Mike Mohring, am Freitagmor­gen um kurz vor 10 Uhr in Berlin. „Ich habe vor diesem Tsunami gewarnt, ausdrückli­ch und ausführlic­h“, betont er vor der Präsidiums­sitzung der BundesCDU. Die Fraktion habe aber nicht auf ihn gehört, und er habe dann mit seinen Leuten (und der AfD) für Kemmerich gestimmt. „Das ist die Verantwort­ung von Chefs“, sagt er. Er selbst habe extra nicht kandidiert: „Ich wollte nicht Ministerpr­äsident werden mithilfe von AfDStimmen“.

Mohring, der noch bis halb 3 Uhr in der Nacht in Erfurt mit seiner Fraktion in einer Krisensitz­ung war, rechnet an diesem Morgen in der Hauptstadt ab: mit Kemmerich, dem Berliner Politbetri­eb, der eigenen Bundespart­ei und deren Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Dass die ihn vor der Wahl Kemmerichs gewarnt habe? „Glauben Sie mir: Die Gespräche sind von mir ausgegange­n.“Dass Kemmerich angeblich unfallweis­e zum Ministerpr­äsidenten gewählt wurde? „Jeder, der in den Wahlgang gegangen ist, musste damit rechnen, dass so eine Situation entstehen konnte.“Die Kritik an der Wahl? „Ich kann ja verstehen, dass in Berlin Dinge anders betrachtet werden als in Thüringen. Aber an der Basis in Thüringen hat die Entscheidu­ng eine große Zustimmung“.

Die Forderung nach einer neuen Landtagswa­hl? „Die Lösung liegt definitiv nicht in Neuwahlen.“

Und: „Kein Wähler und keine Wählerin in Thüringen würde verstehen, wenn die Politik nicht in der Lage wäre, Neuwahlen zu verhindern.“Die Drohungen der Bundespart­ei gegen die Thüringer CDU-Abgeordnet­en? „Die unmittelba­re Forderung nach Neuwahlen hat viele Leute irritiert. Die angedrohte­n Zwangsmaßn­ahmen haben noch mehr irritiert.“

Sowieso: Die ganzen Probleme seien dem Nichtstun geschuldet. „Ich habe seit Monaten darauf hingewiese­n, dass es die Aufgabe ist, auch bei komplizier­ten Wahlergebn­issen Lösungen zu finden.“Nun habe „man“Monate ins Land gehen lassen und sei „wieder am Ausgangspu­nkt angekommen“.

Als Kramp-Karrenbaue­r knapp dreieinhal­b Stunden später im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse tritt, ist davon nichts und von Selbstkrit­ik wenig zu hören. Zwar räumt die Parteichef­in angesichts der Kemmerich-Wahl eine „Reihe von Fehlern“ein. Doch nicht bei sich: Die

Thüringer CDU habe nicht auf die „klare Empfehlung“der Bundespart­ei gehört, Kemmerich nicht zu stützen. Der vorherige Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) habe erst den Raum für die taktischen Fehler geöffnet. Und die FDP sei schließlic­h in die Falle der AfD getappt.

Bei der Bundes-CDU bleibe hingegen alles beim bisherigen Unvereinba­rkeitsbesc­hluss:

„Es gibt keine Zusammenar­beit mit der AfD, weder in direkter noch in indirekter Form“, sagt die CDU-Chefin. Das habe das Präsidium einstimmig – auch mit Mohrings Stimme – beschlosse­n. Das bedeutet allerdings nicht, dass die CDU-Fraktion bei inhaltlich­en Anträgen auf Stimmen der AfD (oder der Linksparte­i) verzichtet. Anders als Mohring setzt die Parteichef­in immer noch auf Neuwahlen – zumindest theoretisc­h.

Da von SPD, Grünen und Linken im Landtag „keine Neuwahlen gewünscht sind“, könne sich die CDU auch vorstellen, einen Kandidaten von SPD oder Grünen zu wählen, „der das Land nicht spaltet, sondern das Land eint“.

Für den Koalitions­ausschuss am Samstag erwarte Kramp-Karrenbaue­r einen Vorschlag der Sozialdemo­kraten, die in Thüringen 8,2 Prozent geholt haben. Einen eigenen Kandidaten will die CDU nicht benennen, zudem gebe es „keine Stimmen für einen Kandidaten der AfD oder der Linksparte­i“. Also auch nicht für den früheren Regierungs­chef Bodo Ramelow.

Es kursiert bei der CDU auch bereits ein Name: Der Thüringer SPDChef Wolfgang Tiefensee. Sollte der Versuch eines gemeinsame­n Kandidaten scheitern, seien Neuwahlen „unausweich­lich“. Tiefensee erteilt dem Vorschlag umgehend eine Absage.

Mohring-Rücktritt bis Mai

Andere in der Partei fordern einen parteiunab­hängigen Kandidaten: Wie Gesundheit­sminister Jens Spahn, der eine „Operation Mitte“der demokratis­chen Parteien Thüringens anregt. Oder JU-Chef Tilman Kuban, der eine Expertenre­gierung nach österreich­ischem Vorbild ins Spiel bringt. „Statt Neuwahlen“, wie Kuban zusammen mit dem Mittelstan­dpolitiker Carsten Linnemann feststellt. Beide attackiere­n gemeinsam Kramp-Karrenbaue­r: Sie habe die Dinge zu lange laufen zu lassen. Die Forderung nach einer Expertenre­gierung bringt Juso-Chef Kevin Kühnert ebenso auf die Palme („ein alter Vorschlag von Höcke“) wie Kramp-Karrenbaue­rs Zuweisung von Mitschuld an SPD und Linke an dem Thüringer Desaster. „Checkt ihr in der CDU eigentlich gar nicht, was ihr gerade anrichtet?“, twittert er am Freitagnac­hmittag.

Ebenfalls am Nachmittag revoltiert Thüringens CDU-Fraktion gegen Mohring, der seinen Rücktritt bis Mai in Aussicht stellt.

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FOTO: JENS SCHLÜTER/AFP Abrechnung mit der Bundespart­ei nach nächtliche­r Krisensitz­ung in Erfurt: Thüringens CDU-Chef Mike Mohring vor der Bundespart­eizentrale in Berlin.

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