IG Metall kritisiert Industrie
Südwest-Chef hält Wandel für Vorwand zum Jobabbau
(ben/mh) - Die IG Metall Baden-Württemberg wirft Unternehmen der Automobilindustrie vor, den anstehenden Wandel hin zur Elektromobilität als Vorwand zu einem Abbau von Arbeitsplätzen zu nutzen. „Wir erkennen klar, dass der überwiegende Teil der Unternehmen mit Personalabbau hausgemachte Probleme lösen will“, sagte Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, im Interview mit der „Schwäbischen
Zeitung“. „Die Transformation wird als Grund angeführt, die wenigsten sind von dem Wandel aber bereits wirklich betroffen.“Der eigentliche Grund sei ein struktureller Personalabbau und eine Verlagerung der Arbeit nach Osteuropa, um die Kosten zu optimieren. Zudem rede man bei der Autoindustrie nicht wie im Maschinenbau über Auftragseinbrüche von bis zu 40 Prozent, sondern von Rückgängen zwischen fünf und zehn Prozent.
- Roman Zitzelsberger ist Comic-Fan. Wenn der Chef der IG Metall Baden-Württemberg den Streit in einem Betriebsrat genauer beschreibt, bei dem eigentlich keiner mehr genau weiß, was eigentlich der Grund für den Unmut gewesen ist, wählt der 53-Jährige diesen Vergleich: Das sei wie mit den alten Familienfehden in „Asterix auf Korsika“. Weil der Onkel des Bruders irgendwann mal einen lahmen Esel an die einen verkauft hat, sind die anderen sauer – „es ist also unheimlich ernst.“Und wenn der gebürtige Ettlinger einmal eine Frage von Benjamin Wagener und Martin Hennings nicht beantworten will, blickt er aus dem Fenster seines Büros und redet über Tauben. Bei Themen wie der nächsten Tarifrunde, den Herausforderungen für die Autoindustrie und den Einbrüchen im Maschinenbau ist der Gewerkschafter dagegen klar in seiner Ansage.
Mit Blick auf die anstehende Tarifauseinandersetzung hat die IG Metall den Arbeitgebern vor wenigen Tagen überraschend das Angebot gemacht, schnell, unbürokratisch und ohne die üblichen Rituale zu verhandeln. Was war der Grund? Die wirtschaftliche Situation in der Metall- und Elektroindustrie ist sehr ausdifferenziert, insgesamt läuft es aber nicht rund. Wir sehen das an den Auftragseingängen, an der Produktion, am Rückgang der Leiharbeiter. Die Frage war, wie man in so einer Situation gut durch eine Tarifrunde kommt.
Worum geht es Ihnen?
Die Forderung der Beschäftigten nach Sicherheit im Wandel spielt eine zentrale Rolle. Wir sind aber nicht in der Situation, in der wir über irgendwelche Nullrunden sprechen, sondern wir müssen das Thema Stärkung von Kaufkraft auf der einen und das Thema Zukunftssicherung auf der anderen Seite unter einen Hut bekommen.
Die Arbeitgeber sind auf Ihr Gesprächsangebot eingegangen. Wie geht es nun weiter? Wie laufen die Verhandlungen?
In Baden-Württemberg treffen wir uns demnächst zu einem ersten Sondierungsgespräch, um auszuloten, unter welchen Voraussetzungen vorgezogene Verhandlungen möglich sind. Am 20. Februar entscheidet dann unsere Tarifkommission, wie es weitergeht.
Wenn die Arbeitgeber Ihnen anbieten, keinen einzigen Arbeitsplatz abzubauen, würden Sie dann eine Nullrunde akzeptieren? Nein, es geht eindeutig nicht um ein Geschäft „Entgelterhöhung gegen Beschäftigungssicherung“. Wir wollen erreichen, dass die Arbeitgeber keine weiteren Streichungen von Arbeitsplätzen, Betriebsschließungen und Verlagerungen verkünden. Wir verpflichten uns im Gegenzug, uns schnell an den Tisch zu setzen und ein Zukunftspaket zu vereinbaren.
Wie könnte so ein Zukunftspaket aussehen?
Kernbestandteil soll eine Verpflichtung zu Verhandlungen im Flächentarifvertrag sein. Nach dem Motto: Wenn die Arbeitnehmerseite den dringenden Bedarf für eine Zukunftssicherung sieht, die zum Beispiel Zusagen zu Produkten und Investitionen sowie zur Sicherung von Beschäftigung und Qualifizierung vorsieht, dann verhandeln die Arbeitgeber darüber mit uns. Geregelt wird das dann über betriebliche Vereinbarungen.
Die Probleme ziehen sich nicht durch alle Unternehmen – einige spüren bereits einschneidende Einbrüche, bei anderen läuft alles noch relativ normal. Welche Betriebe sind am stärksten betroffen? Ein nicht unwesentlicher Teil des Maschinenbaus ist stark betroffen, weil die Investitionen der Kunden ausbleiben. Zum Teil gibt es Auftragseinbrüche von bis zu 40 Prozent. Spannenderweise gehen die Unternehmen aber davon aus, dass sie die Probleme mit normalem Arbeitszeitmanagement lösen können. Personalabbau gibt es mit wenigen Ausnahmen nicht. Die Maschinenbauer wissen, den Facharbeiter, den sie heute entlassen, bekommen sie so schnell nicht wieder.
Wie sieht es im Autobereich aus?
Auch dort gibt es einen Rückgang, der aber mit dem Maschinenbau nicht im Ansatz zu vergleichen ist. Wir reden da über fünf bis zehn Prozent. Trotzdem wird teilweise bereits Personal abgebaut. Die Ursache dafür liegt aber häufig nicht in Auftragsrückgängen. Die Unternehmen verlagern vielmehr Arbeit nach Osteuropa. Das ist ein struktureller Personalabbau, um die Kosten zu optimieren.
Sie sagen, dass die Unternehmen die Krise nutzen, um unpopuläre Anpassungen durch die Hintertür durchzuziehen?
Eindeutig. Wir erkennen klar, dass der überwiegende Teil der Unternehmen in der hiesigen Automobilindustrie mit Personalabbau hausgemachte Probleme lösen will. Die Transformation wird als ein Grund angeführt, die wenigsten sind von dem Wandel aber bereits tatsächlich betroffen.
Auf der anderen Seite suchen viele Firmen händeringend Leute.
Wir haben zum Teil die Situation, dass Personalabbau und Einstellungen im selben Unternehmen parallel laufen. In einem Bereich werden Überstunden gemacht, andere wissen nicht, wie sie ihre Leute beschäftigen sollen. Auf der einen Seite gibt es Produkte, die auslaufen, auf der anderen Seite werden Programmierer verzweifelt gesucht. Wenn man als Beschäftigter Angst um seinen Arbeitsplatz hat, durch das Werkstor läuft und da steht das Schild „Wir stellen ein“, dann macht das die ganze Widersprüchlichkeit sichtbar.
Wie viele Jobs gefährdet die Transformation im Hinblick auf Digitalisierung, Automatisierung und Elektromobilität?
Der Wandel birgt natürlich Risiken. Künftig werden immer mehr Software-Roboter administrative Arbeit erledigen. Das kennen wir aus der Banken- und Versicherungswirtschaft, und das bedroht auch in unseren Branchen Arbeitsplätze. Die Frage ist, ob es uns schnell genug gelingt, die Beschäftigten über Weiterbildung und Qualifizierung auf neue Aufgaben vorzubereiten.
Wie sieht es beim Übergang vom Verbrenner zum Elektromotor hin aus?
Da haben wir im Moment nicht das Problem, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Zurzeit geht es eher um Perspektiventscheidungen, wo wird was gebaut, wer baut die Batteriesysteme, wer stellt die Leistungssteuerung her, wer kümmert sich um den Antriebsstrang. Der Markt für Elektromobile ist noch viel zu klein, als dass diese Fragen schon die Beschäftigungssituation entscheidend beeinflussen würden.
Irgendwann werden diese Fragen aber auf die Zahl der Beschäftigten durchschlagen.
Wenn alles innerhalb der heutigen Wertschöpfungskette stattfindet, gehen wir davon aus, dass bei allen Herstellern und Zulieferern bundesweit etwas mehr als 100 000 Arbeitsplätze betroffen sein könnten. Da ist aber die Produktivitätssteigerung der kommenden Jahre bereits eingerechnet.
Eine Studie der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität beziffert die Zahl der durch die Elektromobilität gefährdeten Jobs auf rund 400 000.
Das ist eine sehr extreme Studie. Das Szenario geht davon aus, dass entweder alle Komponenten in Osteuropa gemacht werden oder die Autoindustrie in Deutschland die Elektromobilität total verschläft. Beides ist unwahrscheinlich. Es gibt aber auch Alternativen, zum Beispiel die Frage, welche neuen Produkte und Arbeitsplätze im Zuge der Elektromobilität entstehen können.
Woran denken Sie?
An das Thema Konnektivität, an die vielen Dienstleistungen, die rund um das vernetzte Fahrzeug entstehen.
Da gibt es unheimlich viele neue Möglichkeiten, möglicherweise kommt unterm Strich sogar heraus, dass wir gar keine Arbeitsplätze verlieren. Voraussetzung ist allerdings, dass wir auch weiterhin entlang der kompletten Wertschöpfungskette in Deutschland produzieren.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat vor einiger Zeit die Befürchtung geäußert, dass zwar die Autobauer und die großen Zulieferer die Zeichen der Zeit erkannt hätten, kleinere Zulieferer sich aber auf den anstehenden Wandel nicht einstellen würden. Ist das noch so? Leider ist das noch so. Große Konzerne haben die Themen auf dem Schirm, dort werden die richtigen Dinge technologisch angestoßen. Unsere Umfragen unter Betriebsräten ergeben aber, dass immer noch bis zu 40 Prozent der Unternehmen, die am Verbrennungsmotor hängen, keine Idee haben, was sie machen, wenn der Verbrenner wegfällt. Das sind vor allem kleinere Unternehmen. Wir machen uns echte Sorgen um kleine Zulieferer.
Und was ist da zu tun? Vor allem, wer muss vorangehen?
Wir müssen alle etwas machen. Das umfasst die Arbeitnehmerseite mit Gewerkschaften und Betriebsräten genauso wie Unternehmen und ihre Unternehmensverbände. Selbstverständlich benötigen wir auch Unterstützung durch die Politik.
Die Regierungskoalition in Berlin hat nun auf die Strukturprobleme in der Industrie reagiert und hat einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und eine stärkere Förderung der beruflichen Weiterbildung beschlossen. Reicht das aus? Das geht eindeutig in die richtige Richtung und muss jetzt sehr schnell als Gesetz umgesetzt werden. Wir brauchen insbesondere eine umfangreiche Weiterbildungsinitiative, dabei helfen die beschlossenen Instrumente.
Seit Ende November sitzen Sie als stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat von ZF. Der Friedrichshafener Autozulieferer setzt bei der Fahrzeugelektrisierung auf die Hybridtechnik, also auf Fahrzeuge, die für eine Übergangszeit einen Elektro- und auch einen Verbrennungsmotor dabeihaben. Ist das der richtige Weg?
Die Fahrzeugelektrifizierung schreitet mit großen Schritten voran, doch dieser Wandel wird von vielen Faktoren bestimmt. Vom Markt, von den Wünschen der Kunden, von der Ladeinfrastruktur – aber auch von bisher eher unberücksichtigten Faktoren wie der Netzstabilität in Südeuropa. Insofern wird dieser Wandel vom Verbrenner hin zur reinen Batterieelektrik mit Sicherheit auch zu einem relevanten Teil hybride Antriebe enthalten.
Die Zulassungszahlen von Hybridfahrzeugen sind zuletzt gestiegen.
Es kommt jetzt eine Generation von Hybridfahrzeugen auf den Markt, die mit ihrem Elektroantrieb wirklich bis zu 100 Kilometer am Stück fahren können. Damit spielt natürlich das psychologische Moment der Reichweitenangst eine viel geringere Rolle. In urbanen Räumen wie Stuttgart kann ich elektrisch fahren, und wenn ich Oma Erna besuche, nutze ich auf der Langstrecke meinen hocheffizienten Verbrenner.
Albrecht von Brandenstein-Zeppelin versucht zurzeit, auf juristischem Wege Einfluss auf die Zeppelinstiftung und so auch auf ZF zu bekommen. Betriebsrat und IG Metall Friedrichshafen verurteilen den Vorstoß. Wie bewerten Sie das? Das habe ich natürlich mitbekommen und kann mich der Kommentierung des Gesamtbetriebsrats und der Friedrichshafener IG Metall nur anschließen.
ZF ist im Südwesten nicht das einzige große Unternehmen, das im Besitz einer Stiftung ist. Ist diese Konstruktion ein Zukunftsmodell oder eher anachronistisch, wie es zum Beispiel das „Handelsblatt“jüngst bewertet hat?
In Baden-Württemberg, wo viele große Unternehmen in Stiftungsbesitz sind, von Anachronismus zu sprechen, ist geradezu absurd. Ich glaube sogar, dass die Zahl von Unternehmen in Stiftungsbesitz zunehmen wird, schließlich stellt sich bei vielen Familienunternehmen die Nachfolge-Frage.
Sind Stiftungen also die besseren Eigentümer als Aktionäre?
Die Konstruktion hat gegenüber klassischen Kapitalmarktunternehmen große Vorteile, weil man seine „Shareholder“relativ schnell am Tisch hat. Unternehmen, deren Aktien in Streubesitz sind, müssen gegenüber Kapitalmarktanalysten und Investmentfonds einen weitaus größeren Aufwand betreiben, um das Unternehmen zukunftsfest zu machen.
Was Zitzelsberger über das Problem der AfD in Unternehmen und über den Motorenbauer RollsRoyce Power Systems sagt, steht unter www.schwäbische.de/igm