Gespiegelte Realität
Jan van Eycks spektakuläre Bilder erzählen von seinem großen Talent – Gent und Brügge feiern jetzt den Künstler
– Es ist so eine Sache mit den Zeitreisen. Allzu oft will sich das Gefühl, der Vergangenheit näherzukommen, heutzutage nicht einstellen. In Gent gibt es nur noch wenige Gebäude, die bereits zu Lebzeiten von Jan van Eyck (ca. 1390-1441) existierten. Da wäre etwa der gotische Belfried mit der Tuchhalle mitten im Zentrum. Doch wo einst die Wächter über den Dächern der Stadt patroullierten und die Bevölkerung per Glockenschlag vor Gefahren warnten, tummeln sich heute die Touristen. Auch die Fleischerhalle ums Eck hat sich verändert. Vor allem der Blick ins Innere ist irritierend. Wo früher die Metzger das Vieh schlachteten und das Blut in Strömen floss, befinden sich jetzt Bistros und Delikatessengeschäfte. Nur die von der Holzdecke baumelnden Schinken erinnern noch an alte Zeiten. Unter dem etwas anmaßenden Motto „Oh my god – Jan van Eyck was here“feiert Gent das ganze Jahr über den berühmten flämischen Künstler: von der Themenstadtführung bis zum Konzert. Den Auftakt macht eine zehn Millionen Euro teure Ausstellung zu van Eyck im Museum der Schönen Künste (MSK). Anlass dafür ist die weitgehend abgeschlossene Restaurierung des Genter Altars, dem größten Werk des spätmittelalterlichen Malers.
Acht Jahre haben die Arbeiten an den Tafeln des Klappaltars von 1432 gedauert. Einige von ihnen sind vor Kurzem zurück in ihren Glaskäfig in der Kathedrale gebracht worden, darunter das zentrale Motiv des Lamm Gottes. Die Bilder der weniger farbenprächtigen Alltagsaußenseite sind noch dort, wo sie vor den Augen der Öffentlichkeit von vergilbten Firnisschichten und alten Übermalungen befreit wurden: im MSK in Gent. Hier bilden der Verkündigungsengel und neun weitere Tafeln den Kern einer Ausstellung, wie es sie vielleicht nie wieder geben wird. Neben den Altartafeln sind 13 der rund 20 bekannten Gemälde Jan van Eycks zu sehen. 100 weitere Exponate, darunter Bilder aus seinem Atelier, Kopien verlorener Arbeiten und Werke italienischer Zeitgenossen, sollen die Welt heraufbeschwören, in die van Eyck mit seiner Art zu malen wohl wie ein Blitz eingeschlagen haben muss. Schon zu Lebzeiten war er berühmt für seine Detailtreue und seinen obsessiven Realismus. In den 13 effektvoll ausgeleuchteten Räumen wirken selbst Italiener wie Masaccio oder Fra Angelico wie Anfänger, während der flämische Kollege Wesen aus Fleisch und Blut schafft.
Van Eycks „optische Revolution“ist denn auch das zentrale Thema der Schau. Drei große Neuerungen schreibt Maximilian Martens, einer der Kuratoren der Ausstellung, dem Künstler zu: Zum einen fand van Eyck einen Weg, durch die Zumischung von sogenannten Sikkativen die Trocknungszeit der Ölfarben zu verkürzen. So konnte er in rascher Folge mehrere transparente Schichten übereinander malen, was den Bildern Tiefe und Leuchtkraft verleiht. Zum anderen entfaltete er in seinen Porträts einen einzigartigen Detailreichtum. Man muss nur nahe genug an die Gemälde herantreten, um zu erkennen, wie hyperrealistisch die Stoppeln an den Beinen des Adams, die kleine blaue Ader auf Evas Fuß, die Warze auf der Wange des Freundes Baudouin de Lannoy oder die Tropfen am Springbrunnen sind. Fantastisch, wie er die Realität gespiegelt hat – auf Holztafeln, die oftmals kleiner als ein DIN-A4-Blatt sind!
Und zum dritten hebt Kurator Martens die kenntnisreiche und bedeutungsvolle Darstellung des Lichts in van Eycks Werken hervor. Tatsächlich gibt es ein Funkeln in Perlen, eine Reflexion auf Rüstungen und Wasserkesseln, eine Brechung in Edelsteinen. „Die Reflexion auf den Perlen des Genter Altars zum Beispiel sind genau auf die Lichtverhältnisse in der Seitenkapelle abgestimmt, die als Standort vorgesehen war“, erklärt Till-Holger Borchert, ein weiterer Kurator der Ausstellung. „Dafür muss van Eyck über Monate zur selben Tageszeit in die Kapelle gekommen sein.“Zuweilen hat sich der Künstler in einer Spiegelung sogar selbst ins Bild gerückt. Am bekanntesten ist sein Auftritt im Konvexspiegel des Arnolfini-Doppelporträts, das leider nicht aus London ausgeliehen werden konnte.
Wie, wo und bei wem er all das gelernt hat, ist Gegenstand vieler Spekulationen. Denn über den flämischen Meister ist nicht allzu viel überliefert. Van Eycks Geburtsdatum wird auf zirka 1390 datiert, aber ob er wirklich aus dem Ort Maaseik bei Maastricht kam, kann bis heute niemand mit Sicherheit sagen. Gerade mal 40 Spuren hat er in diversen Archiven hinterlassen; in den Vitrinen der Schau werden einige dieser Dokumente gezeigt. Meistens geht es ums Geld. Jan van Eyck war ein sehr gut bezahlter Hofmaler und verkehrte in höchsten Kreisen. Sein Dienstherr, der burgundische Herzog Philipp der Gute, schickte ihn mehrfach auf geheime diplomatische Missionen. Ende 1428 reist er etwa mit einer Delegation nach Portugal, wo er für die bevorstehende Hochzeit von Philipp dem Guten und Isabel von Portugal zwei Porträts der Braut malt. Eines schickt er auf dem Seeweg, das andere auf dem Landweg seinem daheimgebliebenen Herrn. Erhalten sind beide nicht. 1431 kauft der Künstler in Brügge ein Haus, heiratet dort eine gewisse Margarete, deren Bildnis jetzt auch in Gent hängt und mit der er zwei Kinder bekommt – eine Tochter sowie einen Sohn. Bis zu seinem Tod 1441 lebt van Eyck dann in Brügge. Sein Grab wird später mit der Kirche, in der es lag, abgerissen.
Uns bleiben seine Bilder, die er teilweise sogar signiert, was damals keineswegs üblich war. Mal schreibt er „Jan van Eyck fuit hic“(Jan van Eyck war hier) auf die Leinwand, mal vermerkt er auf dem Bilderrahmen „Als ich can“(So gut ich es vermag). Das zeugt von einem für die damalige Zeit bemerkenswerten Selbstbewusstsein des Künstlers. Zumindest letztere Signatur deutet zugleich auch eine gewisse Demut an.
Eigentlich hatte sein älterer Bruder Hubert 1426 den Auftrag für den Genter Altar erhalten. Doch Hubert starb noch im gleichen Jahr und so vollendete Jan das Werk. Was von Jan stammt, was von Hubert, kann bis heute keiner genau sagen. Als Jan van Eyck 1432 den Altar vollendete, stand er nach wie vor in Philipps Diensten. In den neun Jahren, die ihm blieben, malte er alle seine Hauptwerke, die Arnolfini-Hochzeit, die Rolin-Madonna, das Bildnis eines Mannes mit rotem Turban, das manche Kunsthistoriker für ein Selbstporträt halten, und die Paele-Madonna mit dem Papagei. All diese Bilder durften aus konservatorischen Gründen nicht auf Reisen gehen. Dafür sind andere in Gent zu bewundern, wie etwa die grandiose Verkündigung (1434-36) aus Washington.
Die „Madonna des Kanonikus Joris van der Paele“wiederum wird im wenige Kilometer entfernten Brügge demnächst in einer kleinen Ausstellung präsentiert. Das malerisch anspruchsvolle Werk zählt zu den Highlights im dortigen Groeningemuseum und ist nach dem Genter Altar das größte, das erhalten geblieben ist. Während Gent einen Überblick über van Eyck gewährt, soll es hier in die Tiefe gehen. „Wobei der Papagei auf dem Schoß der Maria nach wie vor ein großes Rätsel ist“, sagt Museumsleiter Till-Holger Borchert. Dafür haben Forscher herausgefunden, an welchen Krankheiten der Stifter gelitten haben muss. Denn der Maler hat ihn mit all seinen Makeln im Bild festgehalten.
Auch in Brügge wird es in diesem Jahr Führungen auf den Spuren des flämischen Meisters geben. Im Gegensatz zu Gent hat sich der alte Stadtkern kaum verändert. Viele Häuser aus dem Spätmittelalter stehen noch. Bestes Beispiel ist die ehemalige Loge von Genua, das älteste Gebäude in Brügge. Die Zeiten des großen Handels sind längst vorüber, das Eckhaus hat als Pommes-Museum eine neue Bestimmung gefunden. Es ist eben so eine Sache mit den Zeitreisen.