Erfahren, souverän, charismatisch
Lob für den neuen Handball-Bundestrainer Gislason ist zugleich Kritik an Vorgänger Prokop
HANNOVER (SID/dpa) - Einen Tag nach der Kehrtwende gerieten die Bosse des Deutschen Handballbundes ins Schwitzen. In Mannschaftsstärke stellten sich Bob Hanning und Co. den bohrenden Fragen zum Bundestrainerbeben, mussten wortreich die jähe Entlassung Christian Prokops verteidigen – der prominente Nachfolger ging dabei fast unter. Doch Alfred Gislason gab sich alle Mühe, seine Entschlossenheit zu demonstrieren. „Nach vier Monaten hatte ich von meiner Auszeit die Schnauze voll. Meine Pause war nötig, aber irgendwann auch lang genug“, sagte der Isländer, und seine Augen blitzten kämpferisch.
Der glücklose Prokop ist dagegen Geschichte beim Deutschen Handballbund (DHB) – keine zwei Wochen nach der EM und trotz aller Treueschwüre aus der Verbandsspitze. Dass diese Politik der Bosse hinterfragt wird, konnte sogar DHB-Vizepräsident Hanning verstehen. „Wir haben das definitiv nicht so gelöst, wie es einem solchen Verband gerecht werden sollte“, sagte er.
Von 9. März an muss es nun also der alte Haudegen Gislason richten. Dann wird der 60-Jährige sein neues Team bei einem Lehrgang in Aschersleben kennenlernen, am 13. März steht bereits in Magdeburg ein Länderspiel gegen die Niederlande auf dem Programm.
Noch zu Wochenbeginn hatte Gislason Pläne, ein anderes Nationalteam zu übernehmen („Ich war mir schon mit einem ... Verband über ein langfristiges Projekt einig“), dann rief der DHB an. Mit den Worten „Wir müssen reden“, meldete sich Ligapräsident Uwe Schwenker bei seinem langjährigen Weggefährten aus gemeinsamen Tagen bei Rekordmeister THW Kiel. Und mit dem Gefühl, jetzt schnell handeln zu müssen, gab das DHB-Präsidium Prokop am Donnerstag den Laufpass. „Christian darüber zu informieren, war eines meiner beschissensten Telefonate der vergangenen Jahre. Aber es war notwendig“, erklärte Hanning. Der umtriebige Funktionär hatte sich noch nach der Europameisterschaft hinter den Leipziger gestellt, obwohl die DHB-Auswahl das ausgerufene Ziel Halbfinale verpasst hatte. Hanning rückte damit ins Zentrum der Kritik, der frühere Weltmeister Christian Schwarzer sieht ihn gar gescheitert und forderte den Rücktritt des 51-Jährigen. Uwe Schwenker indes sagt: „Es stimmt nicht, dass Bob sich wesentlich ins Zeug gelegt hat, um diesen Trainerwechsel durchzusetzen. Er hat sich eher zurückgehalten.“
Hanning selbst hat an persönliche Konsequenzen – anders als 2018 – nicht gedacht, sagte er am Freitag. Er werde aber nach dem Ende der aktuellen Wahlperiode 2021 nicht erneut kandidieren: „Auch meine Zeit ist endlich. Ich werde mich freuen, wenn es andere danach besser machen.“
Ungeachtet seiner unbestrittenen Erfolge muss der einstige Bundesligaprofi Gislason indes Vorbehalte aus den Reihen seiner neuen Spieler ausräumen. Kapitän Uwe Gensheimer formulierte am Sky-Mikrofon deutliche Worte: „Ich habe diese Entscheidung aufgrund der Ergebnisse nicht für nötig gehalten. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu Christian und haben seine Arbeit sehr geschätzt.“
Eine solche Wertschätzung genoss Prokop verbandsintern offenkundig nicht mehr. „Es ging auch um einen Philosophie-Wechsel. Alfred ist eine erfahrene, souveräne und charismatische Persönlichkeit“, erläuterte Uwe Schwenker. Heißt im Umkehrschluss: Genau so wird und wurde Prokop wohl nie gesehen.
Doch Alfred Gislasons olympische Mission „Tokio 2020“könnte schon im April enden, wenn sein neues Team vom 17. bis 19. April in Berlin die letzte Qualifikationschance verpassen sollte. In der Max-SchmelingHalle kämpfen die Gastgeber gegen Schweden, Slowenien und Algerien um eines von zwei noch zu vergebenden Tickets. Mit dem Heimvorteil im Rücken eine sportlich machbare Aufgabe. Aber auch kein Selbstläufer.
Ganz egal, wie der Bundestrainer heißt.