„Leipzig könnte national innerhalb von fünf Tagen alles verlieren“
Bayern und RB vor dem Duell im Wolff-Fuss-Vergleich
MÜNCHEN Diese Bilanz könnte schwere Beine machen und beim Gegner zu Leichtfüßigkeit führen: Alle bisherigen drei Liga-Gastspiele in München verloren die Leipziger zu Null, dabei gab's jedes Mal eine Rote Karte. Keine Mutmacher für RB vor dem Showdown am Sonntag (18 Uhr/Sky) zwischen dem Meister und Tabellenführer auf der einen sowie dem Herausforderer, der letztes Wochenende seine Spitzenposition abgeben musste, auf der anderen Seite. „Leipzig könnte national innerhalb von fünf Tagen alles verlieren“, sagt Wolff-Christoph Fuss (43), der die Partie aus der Allianz Arena für Sky kommentiert. Für die „Schwäbische Zeitung“vergleicht Fuss die beiden Teams nach Mannschaftsteilen, stellt die Trainer und die Sportdirektoren gegenüber:
Die Trainer: „Dass Julian Nagelsmann im Pokal in Frankfurt Timo Werner, Emil Forsberg und Torhüter Gulácsi draußen gelassen hat, war in meinen Augen kein optimales Signal an die Mannschaft. Dass er es mit Belastungssteuerung verargumentiert hat, erschließt sich nur bedingt. Zwischen den Spielen liegen fünf Tage. Wenn man auf Biegen und Brechen gewinnen will, muss man das durch die Aufstellung dokumentieren. Vielleicht fehlen Julian Nagelsmann noch die Erfahrungswerte für derartige Spiele und Wochen. Dafür braucht es auch ein ‚Händchen‘.
Das hat Hansi Flick unbestritten und dazu die größere individuelle Qualität im Kader und diese mit seiner Expertise verfeinert. Nagelsmann muss in einem solchen Spiel fehlende Klasse der Einzelspieler durch Taktik kompensieren, und es braucht Glaube und Form. Ihm und RB fehlt in der Rückrunde noch das Aha-Erlebnis.“
Die Torhüter: „Péter Gulácsi ist ein ruhiger, sachlicher Vertreter seines Fachs, der Buchhalter unter den Torhütern – ganz ohne Reklamierarm. Er liefert kontinuierlich ab, hält auch mal Unhaltbare. Aber Manuel Neuer ist Manuel Neuer, einfach Weltklasse. Durch die Verpflichtung von Schalkes Alexander Nübel oder durch die Geschichten über sein Privatleben lässt er sich nicht aus der Fassung bringen – nullkommanull. Im Gegenteil: Der Nübel-Transfer hat nochmal ein paar Promille mehr an Leistung aus ihm herausgekitzelt. Wenn das der erste Sinn der NübelVerpflichtung war, dann: Gratulation, FC Bayern!“
Die Abwehr: „In Willi Orban und Ibrahima Konaté fehlen RB verletzungsbedingt zwei Eckpfeiler. Aktuell verteidigt also nicht die erste Reihe, auch wenn Dayot Upamecano eines der größten Abwehrtalente Europas ist und das Interesse der Bayern geweckt haben soll. Mit Lukas Klostermann als Innenverteidiger muss Nagelsmann eine Improvisationslösung aufbieten.
Bei Bayern ging Trainer Hansi Flick ein hohes Risiko mit der Variante um Abwehrchef David Alaba und Linksverteidiger Alphonso Davies
– und hat vollumfänglich gewonnen. Auch Jérôme Boateng hat wieder an Form und Schnelligkeit zugelegt. Im Verbund mit Sechser Joshua Kimmich ist sich keiner zu schade für Defensivarbeit. Die Bayern sind trotz der späten Nachlässigkeiten beim 4:3 Pokal gegen Hoffenheim gut austariert, daher defensiv stärker als Leipzig.“
Das Mittelfeld: „Ich erwarte Leipzig mit Konrad Laimer und Tyler Adams als doppelte Absicherung vor der Abwehr, offensiv sollen Marcel Sabitzer und Emil Forsberg das Spiel gestalten. Bei Bayern performen aktuell Kimmich, der einen souveränen Sechser gibt, und davor als Achter Thiago sowie Leon Goretzka, beide gegen Hoffenheim geschont. Thiago ist aktuell in einer Verfassung wie vielleicht noch nie in München. Goretzka ist auch überragend gut drauf. Dass ein Fußballer wie Coutinho aktuell eher ausgesucht zum Einsatz kommt, sagt alles. Wieder ein Vorteil für die Bayern.“
Der Angriff: „Timo Werner ist der beste und treffsicherste deutsche
Stürmer und der einzige, der in der Bundesliga dem Phänomen Robert Lewandowski, dem Ausnahmestürmer hierzulande, die Torjägerkanone streitig machen kann. Mit Yussuf Poulsen oder Patrik Schick bildet Werner einen herausragenden ZweiMann-Sturm, der sich in einen Rausch spielen kann, der diese Bayern-Defensive an Grenzen führen kann. Für Bayern aber sprechen die individuelle Klasse von Lewandowski plus Thomas Müller und Serge Gnabry in Top-Verfassung.“
Die Sportdirektoren: „In meinen Augen kommt Bayerns Hasan Salihamidzic in der Gesamtbeurteilung zu schlecht weg. Er hat sich im Spannungsfeld zwischen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge behauptet. Der Transfer von Alvaro Odriozola als Backup-Verteidiger für die Rückrunde macht total Sinn. In Sachen Transfers haben sie die internationale Spitze im Visier. Unter Sportdirektor Markus Krösche will Leipzig weiter wachsen, an die nationale Spitze. Für mich ist das RB-Konzept mit den Partnervereinen und dem daraus resultierenden globalen Netzwerk ein kreatives wie spannendes, weil Spieler woanders wachsen und dann ohne taktische Anpassungsprobleme in Leipzig eingepflanzt werden können. Krösche hat RB-Urgesteine wie Diego Demme und Stefan Ilsanker abgegeben. Zwei derart starke Persönlichkeiten fehlen aktuell in der Leipziger Kabine. Aber ein international begehrtes Talent wie Dani Olmo zu bekommen, spricht für Leipzigs gewachsene Reputation. Olmo wird noch richtig steilgehen.“
Das Fuss-Fazit: „Für Bayern sprechen aktuell Klasse, Form und das Momentum – wenn sie nicht leichtsinnig werden wie am Ende gegen Hoffenheim. RB fehlen im Moment Form und Ergebnisse. Sie bringen 2020 ihre unbestritten große Qualität noch nicht auf den Platz. Nebengeräusche (der eingeflogene Frisör!) stören, deren erfolgreiche Bewältigung gehört dazu, wenn man Titel gewinnen will. Alle Parameter sprechen vor der Partie für die Bayern. Für RB spricht im Moment allein das Wissen um die Tatsache, dass sie bei optimalem Verlauf jeder Mannschaft gefährlich werden können. Ich tippe auf ein 3:1.“