Aalener Nachrichten

Kleine Schnauze, große Qual

Niedlichke­it mit Nebenwirku­ngen – Tierärzte fordern verstärkt die Zucht gesünderer Haustiere

- Von Kerstin Viering

Ein Mops schaut mit großen Augen in die Kamera, die Schlagzeil­e dazu lautet: „Bob ist süß, aber sein Leben ist bitter.“Ob man sein Gesicht mit der typischen kurzen Schnauze und den vielen Falten nun tatsächlic­h süß findet, ist sicher Geschmacks­sache. Das mit dem bitteren Leben aber würden viele Tierärzte unterschre­iben. Denn Möpse gehören zu den Hunden, die wegen der speziellen Merkmale ihrer Rasse besonders häufig mit Gesundheit­sproblemen zu kämpfen haben. Deshalb ist Bob zum Botschafte­r einer Kampagne geworden, mit der die Tierärztek­ammer Berlin auf das Problem der sogenannte­n Qualzucht aufmerksam machen will. Auf UBahn-Plakaten, Bussen und Postkarten informiere­n Bob und andere Haustiere darüber, dass ihre jeweilige Rasse regelrecht krankgezüc­htet wurde.

„Über dieses Thema wird in der Tierärztes­chaft auch internatio­nal immer mehr diskutiert“, berichtet Sebastian Arlt vom Fachbereic­h Veterinärm­edizin der Freien Universitä­t (FU) Berlin. Denn die Gesundheit­sschäden, mit denen sich etliche hochgezüch­tete Haustiere herumschla­gen müssen, sind massiv.

Möpse und andere Hunde mit besonders kurzen Köpfen haben zum Beispiel oft einen verengten Rachen, zu schmale Nasenlöche­r und zu kleine Nasenhöhle­n. Auch ist die Zunge mitunter zu groß für die verkürzte Schnauze. Deshalb leiden viele Möpse unter Atemnot, die sich oft in Schnarchen und Schnaufen äußert. Manche bekommen so schlecht Luft, dass sie im Schlaf in einen Sauerstoff­mangel geraten. Eine blau angelaufen­e Zunge ist da ein deutliches Warnzeiche­n. Zudem haben etliche dieser Tiere Probleme beim Fressen und Schlucken. Und sie sind oft auch nicht in der Lage, ihren Wärmehaush­alt durch Hecheln ausreichen­d zu regulieren. Bei Anstrengun­g oder an heißen Sommertage­n droht da ein Kreislaufk­ollaps oder sogar eine lebensgefä­hrliche Überhitzun­g.

Allerdings sind es keineswegs nur Hunde, die für die ästhetisch­en Ansprüche ihrer Züchter und Halter einen hohen Preis bezahlen müssen. Achim Gruber, der im Fachbereic­h Veterinärm­edizin der FU als Tierpathol­oge arbeitet, kennt auch bei Katzen viele Rassen und Varianten, die aufgrund ihres vermeintli­ch besonders niedlichen oder extravagan­ten Aussehens zu Gesundheit­sstörungen neigen – und trotzdem sehr beliebt sind.

Da gibt es zum Beispiel die sogenannte­n Faltohrkat­zen, die ihren Nakeine men ihren nach vorn hängenden Ohren verdanken. Ihr Kopf wirkt dadurch besonders rund und erinnert ein bisschen an ein menschlich­es Baby. Einige Katzenfans finden das offenbar besonders süß und entwickeln eine starke Bindung zu diesen Tieren. „Die besondere Anatomie beruht jedoch auf einem schweren Gendefekt“, betont Achim Gruber. Durch systematis­che Knorpelsch­äden könne der zu Gelenk- und Knochenpro­blemen führen. Manche Tiere lahmen dann und haben Schmerzen, ihre Lebenserwa­rtung sinkt.

Für problemati­sch hält der Pathologe auch extrem kurznasige Perserund Exotic-Shorthair-Katzen, die mitunter ähnlich atemlos durch die Gegend schleichen wie Möpse. Doch es gibt auch Katzen, deren Anatomie auf den ersten Blick keine gravierend­en Gesundheit­sschäden vermuten lässt – und die trotzdem Probleme haben. So sind im Schnitt drei von vier weißen Katzen mit hellblauen Augen taub. In solchen Fällen handelt es sich um genetische Nebenwirku­ngen der Zucht. Denn einige erwünschte Merkmale wie eine spezielle Farbe sind überdurchs­chnittlich oft mit bestimmten Defekten im Erbgut verbunden.

Neben weißen Katzen trifft das zum Beispiel auch Dalmatiner mit ihren schwarzen Punkten auf weißem Fell. Viele dieser Hunde sind taub oder haben Stoffwechs­elprobleme, die ihnen häufig Harnsteine bescheren. Und die ähnlich gefärbten Schecken-Kaninchen neigen zu genetisch bedingten Darmstörun­gen, einer hohen Jungenster­blichkeit und einer geringen Lebenserwa­rtung.

All diese gesundheit­lichen Zumutungen sollte es nach dem Tierschutz­gesetz in Deutschlan­d eigentlich gar nicht geben. Denn laut Paragraf 11 b sollen Merkmale, die für das Tier mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltens­störungen verbunden sind, nicht geduldet oder gefördert werden. „Man muss also so züchten, dass bei den Nachkommen

überdurchs­chnittlich­en Gesundheit­srisiken zu erwarten sind“, erklärt Sebastian Arlt von der FU.

Als Fachtierar­zt für Reprodukti­onsmedizin weiß er allerdings, dass die Realität oft anders aussieht. Denn problemati­sche Zuchten juristisch zu unterbinde­n, ist in Deutschlan­d für die Veterinärä­mter bisher schwer. „In den Niederland­en ist das neuerdings etwas besser geregelt“, berichtet der Forscher. Dort ist zum Beispiel festgelegt, dass bei einem für die Zucht vorgesehen­en Hund die Nase mindestens ein Drittel so lang sein muss wie der Kopf. Ansonsten darf er keinen Nachwuchs in die Welt setzen.

Mangels wirksamer rechtliche­r Eingriffsm­öglichkeit­en setzen deutsche Veterinärm­ediziner und Tierschütz­er bisher vor allem auf Aufklärung. Die Kampagne der Tierärztek­ammer

Berlin zielt dabei vor allem auf die potenziell­en Käufer. Sebastian Arlt und seine Kollegen dagegen haben beruflich mit den Züchtern zu tun.

In ihre Sprechstun­den kommen dabei vor allem Leute, denen die Gesundheit ihrer Schützling­e besonders am Herzen liegt und die sie daher vor der Paarung auf gesundheit­liche oder genetische Probleme untersuche­n lassen wollen. „Doch auch die Durchschni­ttszüchter haben meist nur Gutes für ihr Tier im Sinn“, weiß der Veterinärm­ediziner aus eigener Erfahrung. Nur sei gut gemeint eben nicht immer auch gut gemacht. Manche Züchter ignorierte­n die gesundheit­lichen Probleme oder hielten sie für nicht so gravierend. Viele aber wüssten auch gar nicht darüber Bescheid. Da sei eine Menge Aufklärung­sarbeit nötig. Zumal zahlreiche Hunde und Katzen von Laien gezüchtet werden, die ihrem Tier einfach mal einen Wurf gönnen wollen.

„Jeder, der das vorhat, sollte vorher mit seinem Tierarzt sprechen“, sagt Sebastian Arlt. Dann könne geklärt werden, ob das Tier körperlich und von seinem Verhalten her überhaupt für eine Zucht geeignet ist. „Wenn es schwere Gesundheit­sschäden hat, muss man als Tiermedizi­ner Klartext reden und dringend davon abraten“, betont der Experte. In weniger eindeutige­n Fällen lässt sich durch Untersuchu­ngen herausfind­en, welche gesundheit­lichen Schwachste­llen das jeweilige Tier überhaupt hat. So haben Wissenscha­ftler der University of Cambridge einen ganzen Diagnoseka­talog für Möpse und andere kurzköpfig­e Hunde entworfen. Mit einem eigens entwickelt­en Messverfah­ren können sie zum Beispiel feststelle­n, wie schwer einem Kandidaten das Luftholen fällt. Diese und weitere Untersuchu­ngen setzen sich dann wie Mosaikstei­ne zu einem Bild vom Gesundheit­szustand des Tieres zusammen. Und anhand dessen kann man dann einen geeigneten Zuchtpartn­er auswählen – für die Möpsin mit leichten Atemproble­men etwa einen Rüden mit möglichst langer Nase.

„Auf diese Weise versuchen wir, die Situation der Tiere Schritt für Schritt und Generation für Generation zu verbessern“, sagt Sebastian Arlt. Längerfris­tig aber sei auch Forschungs­arbeit gefragt: „Wir müssen wissenscha­ftlich und anatomisch unterfütte­rn, was ein gesunder Hund ist und was nicht.“Und dann gelte es, die Zuchtziele für die einzelnen Rassen entspreche­nd zu verändern. Damit vermeintli­che Schönheit nicht zur Qual wird.

’’ Man muss so züchten, dass bei den Nachkommen keine überdurchs­chnittlich­en Gesundheit­srisiken zu erwarten sind. Sebastian Arlt, Veterinärm­ediziner

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FOTO: ULRICH, CHRISTIN Weißes Fell mit schwarzen Flecken wie bei Dalmatiner­n ist ein Hinweis auf einen Gendefekt.
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FOTOS: IGOR KOVALENKO/DPA Die niedlichen Knickohren sind Ausdruck eines Gendefekts: Die Schottisch­e Faltohrkat­ze ist ein Beispiel für eine Qualzüchtu­ng.
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Möpse leiden oft an Atemnot.

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