Kleine Schnauze, große Qual
Niedlichkeit mit Nebenwirkungen – Tierärzte fordern verstärkt die Zucht gesünderer Haustiere
Ein Mops schaut mit großen Augen in die Kamera, die Schlagzeile dazu lautet: „Bob ist süß, aber sein Leben ist bitter.“Ob man sein Gesicht mit der typischen kurzen Schnauze und den vielen Falten nun tatsächlich süß findet, ist sicher Geschmackssache. Das mit dem bitteren Leben aber würden viele Tierärzte unterschreiben. Denn Möpse gehören zu den Hunden, die wegen der speziellen Merkmale ihrer Rasse besonders häufig mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben. Deshalb ist Bob zum Botschafter einer Kampagne geworden, mit der die Tierärztekammer Berlin auf das Problem der sogenannten Qualzucht aufmerksam machen will. Auf UBahn-Plakaten, Bussen und Postkarten informieren Bob und andere Haustiere darüber, dass ihre jeweilige Rasse regelrecht krankgezüchtet wurde.
„Über dieses Thema wird in der Tierärzteschaft auch international immer mehr diskutiert“, berichtet Sebastian Arlt vom Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität (FU) Berlin. Denn die Gesundheitsschäden, mit denen sich etliche hochgezüchtete Haustiere herumschlagen müssen, sind massiv.
Möpse und andere Hunde mit besonders kurzen Köpfen haben zum Beispiel oft einen verengten Rachen, zu schmale Nasenlöcher und zu kleine Nasenhöhlen. Auch ist die Zunge mitunter zu groß für die verkürzte Schnauze. Deshalb leiden viele Möpse unter Atemnot, die sich oft in Schnarchen und Schnaufen äußert. Manche bekommen so schlecht Luft, dass sie im Schlaf in einen Sauerstoffmangel geraten. Eine blau angelaufene Zunge ist da ein deutliches Warnzeichen. Zudem haben etliche dieser Tiere Probleme beim Fressen und Schlucken. Und sie sind oft auch nicht in der Lage, ihren Wärmehaushalt durch Hecheln ausreichend zu regulieren. Bei Anstrengung oder an heißen Sommertagen droht da ein Kreislaufkollaps oder sogar eine lebensgefährliche Überhitzung.
Allerdings sind es keineswegs nur Hunde, die für die ästhetischen Ansprüche ihrer Züchter und Halter einen hohen Preis bezahlen müssen. Achim Gruber, der im Fachbereich Veterinärmedizin der FU als Tierpathologe arbeitet, kennt auch bei Katzen viele Rassen und Varianten, die aufgrund ihres vermeintlich besonders niedlichen oder extravaganten Aussehens zu Gesundheitsstörungen neigen – und trotzdem sehr beliebt sind.
Da gibt es zum Beispiel die sogenannten Faltohrkatzen, die ihren Nakeine men ihren nach vorn hängenden Ohren verdanken. Ihr Kopf wirkt dadurch besonders rund und erinnert ein bisschen an ein menschliches Baby. Einige Katzenfans finden das offenbar besonders süß und entwickeln eine starke Bindung zu diesen Tieren. „Die besondere Anatomie beruht jedoch auf einem schweren Gendefekt“, betont Achim Gruber. Durch systematische Knorpelschäden könne der zu Gelenk- und Knochenproblemen führen. Manche Tiere lahmen dann und haben Schmerzen, ihre Lebenserwartung sinkt.
Für problematisch hält der Pathologe auch extrem kurznasige Perserund Exotic-Shorthair-Katzen, die mitunter ähnlich atemlos durch die Gegend schleichen wie Möpse. Doch es gibt auch Katzen, deren Anatomie auf den ersten Blick keine gravierenden Gesundheitsschäden vermuten lässt – und die trotzdem Probleme haben. So sind im Schnitt drei von vier weißen Katzen mit hellblauen Augen taub. In solchen Fällen handelt es sich um genetische Nebenwirkungen der Zucht. Denn einige erwünschte Merkmale wie eine spezielle Farbe sind überdurchschnittlich oft mit bestimmten Defekten im Erbgut verbunden.
Neben weißen Katzen trifft das zum Beispiel auch Dalmatiner mit ihren schwarzen Punkten auf weißem Fell. Viele dieser Hunde sind taub oder haben Stoffwechselprobleme, die ihnen häufig Harnsteine bescheren. Und die ähnlich gefärbten Schecken-Kaninchen neigen zu genetisch bedingten Darmstörungen, einer hohen Jungensterblichkeit und einer geringen Lebenserwartung.
All diese gesundheitlichen Zumutungen sollte es nach dem Tierschutzgesetz in Deutschland eigentlich gar nicht geben. Denn laut Paragraf 11 b sollen Merkmale, die für das Tier mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen verbunden sind, nicht geduldet oder gefördert werden. „Man muss also so züchten, dass bei den Nachkommen
überdurchschnittlichen Gesundheitsrisiken zu erwarten sind“, erklärt Sebastian Arlt von der FU.
Als Fachtierarzt für Reproduktionsmedizin weiß er allerdings, dass die Realität oft anders aussieht. Denn problematische Zuchten juristisch zu unterbinden, ist in Deutschland für die Veterinärämter bisher schwer. „In den Niederlanden ist das neuerdings etwas besser geregelt“, berichtet der Forscher. Dort ist zum Beispiel festgelegt, dass bei einem für die Zucht vorgesehenen Hund die Nase mindestens ein Drittel so lang sein muss wie der Kopf. Ansonsten darf er keinen Nachwuchs in die Welt setzen.
Mangels wirksamer rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten setzen deutsche Veterinärmediziner und Tierschützer bisher vor allem auf Aufklärung. Die Kampagne der Tierärztekammer
Berlin zielt dabei vor allem auf die potenziellen Käufer. Sebastian Arlt und seine Kollegen dagegen haben beruflich mit den Züchtern zu tun.
In ihre Sprechstunden kommen dabei vor allem Leute, denen die Gesundheit ihrer Schützlinge besonders am Herzen liegt und die sie daher vor der Paarung auf gesundheitliche oder genetische Probleme untersuchen lassen wollen. „Doch auch die Durchschnittszüchter haben meist nur Gutes für ihr Tier im Sinn“, weiß der Veterinärmediziner aus eigener Erfahrung. Nur sei gut gemeint eben nicht immer auch gut gemacht. Manche Züchter ignorierten die gesundheitlichen Probleme oder hielten sie für nicht so gravierend. Viele aber wüssten auch gar nicht darüber Bescheid. Da sei eine Menge Aufklärungsarbeit nötig. Zumal zahlreiche Hunde und Katzen von Laien gezüchtet werden, die ihrem Tier einfach mal einen Wurf gönnen wollen.
„Jeder, der das vorhat, sollte vorher mit seinem Tierarzt sprechen“, sagt Sebastian Arlt. Dann könne geklärt werden, ob das Tier körperlich und von seinem Verhalten her überhaupt für eine Zucht geeignet ist. „Wenn es schwere Gesundheitsschäden hat, muss man als Tiermediziner Klartext reden und dringend davon abraten“, betont der Experte. In weniger eindeutigen Fällen lässt sich durch Untersuchungen herausfinden, welche gesundheitlichen Schwachstellen das jeweilige Tier überhaupt hat. So haben Wissenschaftler der University of Cambridge einen ganzen Diagnosekatalog für Möpse und andere kurzköpfige Hunde entworfen. Mit einem eigens entwickelten Messverfahren können sie zum Beispiel feststellen, wie schwer einem Kandidaten das Luftholen fällt. Diese und weitere Untersuchungen setzen sich dann wie Mosaiksteine zu einem Bild vom Gesundheitszustand des Tieres zusammen. Und anhand dessen kann man dann einen geeigneten Zuchtpartner auswählen – für die Möpsin mit leichten Atemproblemen etwa einen Rüden mit möglichst langer Nase.
„Auf diese Weise versuchen wir, die Situation der Tiere Schritt für Schritt und Generation für Generation zu verbessern“, sagt Sebastian Arlt. Längerfristig aber sei auch Forschungsarbeit gefragt: „Wir müssen wissenschaftlich und anatomisch unterfüttern, was ein gesunder Hund ist und was nicht.“Und dann gelte es, die Zuchtziele für die einzelnen Rassen entsprechend zu verändern. Damit vermeintliche Schönheit nicht zur Qual wird.
’’ Man muss so züchten, dass bei den Nachkommen keine überdurchschnittlichen Gesundheitsrisiken zu erwarten sind. Sebastian Arlt, Veterinärmediziner