Als der König von Benin kochte
Erich W. Hacker hat viele Persönlichkeiten auf Schloss Kapfenburg empfangen – Nächstes Jahr geht der Direktor in den Ruhestand
(an) - Einst kam ein westafrikanischer König nach Schloss Kapfenburg und kochte sich sein eigenes Festmahl. Was wie ein Märchen klingt, an dessen Ende eine Lehre auf den Monarchen wartet, hat sich vor einigen Jahren genauso zugetragen.
- Einst kam ein westafrikanischer König nach Schloss Kapfenburg und kochte sich sein eigenes Festmahl. Am kommenden Morgen litt ein Großteil der Gäste unter Übelkeit. Der Magen tat ihnen weh. Was wie ein Märchen klingt, an dessen Ende eine Lehre auf den Monarchen wartet, hat sich vor einigen Jahren genauso zugetragen. Davon zu berichten weiß Erich W. Hacker, seit Ende der 1990-Jahre Direktor der im Schloss beheimateten Internationalen Musikschulakademie. Kommendes Jahr geht der Eisenbahnund Hundefreund Hacker in den Ruhestand. Mit sich nimmt er unzählige Geschichten aus mehr als 20 Jahren, die er hoch oben auf dem ehemaligen Deutschordenschloss zubrachte. Sie handeln von Rekorden, Flashmobs, ungewöhnlichen Praktikanten – und natürlich viel Musik.
Im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist Schloss Kapfenburg wohl hauptsächlich wegen seiner zahlreichen Veranstaltungen präsent, wie beispielsweise den „Begegnungen“, bei denen sich seit 20 Jahren Menschen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zum offenen Austausch treffen. Zu Gast waren unter anderem Erwin Teufel, Roman Herzog und Hartmut Mehdorn. Noch mehr im Geiste der Region verankert ist aber das Festival Schloss Kapfenburg, das jährlich Ende Juli stattfindet. Hier treten regelmäßig internationale Musikgrößen auf, in diesem Jahr sind es Tim Bendzko, Bülent Ceylan, Matthias Reim und der „Tiger“Tom Jones. „Bei uns ist die Festivalzeit ein bisschen wie Fasching. Da machen wir ganz andere Sachen als sonst, Sachen, die Spaß machen, und bei denen tolle Leute da sind“, sagt Erich W. Hacker.
An den rund 50 000 Menschen, die jährlich Schloss Kapfenburg besuchen, reizt den Akademiedirektor vor allem die Vielfalt der Gäste – vom großen Star bis zum Musikschüler, vom Konferenzgast bis zum Praktikanten aus Westafrika. Und ebenjener Praktikant war es, der der Einrichtung vor etwa 15 Jahren zu hochherrschaftlichem Besuch verhalf. „Das Ziel des jungen Mannes war, dass er Kultusminister im Benin werden wollte“, erinnert sich Hacker. Eines Tages schlug er dem Akademiedirektor vor, er wolle den König von Benin, Odoudoua, nach Lauchheim einladen. Hacker hatte von diesem Monarchen allerdings noch nie gehört, war aber durchaus interessiert, den König einmal kennenzulernen.
Benin, das im Westen an Togo und im Norden an Burkina Faso, grenzt, besaß zwar damals schon eine Regierung, aber eben auch einen König. „Es gibt dort einen Volksstamm, die Yoruba, innerhalb der schwarzen Bevölkerung, dem die meisten Bürger angehören. Und mit einem Orakel wird ein König bestimmt“, erläutert Hacker.
Und dieser König musste auch nicht umständlich aus dem Benin eingeflogen werden. „Er war Koch im Stuttgarter Hotel Maritim – und steuerte von dort aus sein Imperium“, schmunzelt Hacker. Anreisen wollte der Regent zudem ganz bodenständig mit dem Zug. Das war Hacker nicht „standesgemäß“genug. Mithilfe eines Autohauses aus der Region organisierte er den königlichen Transport in einem Mercedes Benz. Am Steuer saß, dass weiß der Akademiedirektor noch genau, ein Praktikant namens Nacho Fleischhacker, der eine italienische Mutter und einen österreichischen Vater hatte, aber aus Barcelona stammte. Multikulti eben – ganz nach Hackers Gusto.
Da man als König, aber auch als Koch seiner Profession stets nachkommen sollte, beschloss der König, sein eigenes Festmahl zuzubereiten – auf westafrikanische Art natürlich. Sämtliche Zutaten brachte er im Kofferraum des Mercedes’ mit. Hacker hatte im Vorfeld noch schnell eine Veranstaltung zu Ehren des Regenten organisiert. Zu den Gästen zählte unter anderem der damalige Lauchheimer Bürgermeister Werner Kowarsch. Gemeinsam verbrachte man einen schönen Nachmittag.
Am nächsten Tag jedoch waren zahlreiche Mitarbeiter nicht an ihrem Arbeitsplatz. „Die waren auf der Toilette“, lacht Hacker. „Die afrikanischen Speisen waren denen so fremd, dass das Nachwirkungen hatte.“
Immer in Erinnerung bleiben, wird Erich W. Hacker, das W. steht übrigens für Wilhelm, auch der Flashmob 2014 am Stuttgarter Bahnhof, mit dem neue Akademieprojekte beworben werden sollten. Rund ein Dreivierteljahr dauerte die Organisation. Zahlreiche Musiker, unter anderem der Musikverein Hüttlingen, schlossen sich bald der Idee an, doch es fehlte ein Dirigent. Also beschloss Hacker, die Zügel des Flashmobs selbst in die Hand zu nehmen. Als der Auftritt stand, ging es mit fast 100 Teilnehmern an den Bahnhof. Zu „Wir machen Musik“von Ilse Werner stimmten nach und nach sämtliche Musiker mit ein, bis am Ende der Musikverein Hüttlingen in voller Montur über den Bahnhof schritt. „Das war toll“, sagt Hacker.
Toll war aber sicherlich auch das Ereignis, das sich Erich W. Hacker 2000 zur Einweihung der neuen Musikschulakademie einfallen ließ – eine quasi rekordverdächtige Idee. Gemeinsam mit den Künstlern Renate Hoffleit und Michael Bach Bachtischa wurde das gesamte Schloss mit Klaviersaiten bespannt. 98 junge Musiker aus Osteuropa bespielten das selbst konstruierte Instrument, das aus dem gesamten Schloss einen Klangkörper machte, mit einer speziellen Technik. „Wir spielten 20 Minuten lang zeitgenössische Musik darauf. Das waren archaische Klänge aus dem Schloss heraus“, erzählt Hacker. „Nur für das Publikum war das schon fremd und schwer verständlich, was wir da gemacht haben.“Nichtsdestotrotz: Mit diesem Projekt erhielt Schloss Kapfenburg einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde als größtes Saiteninstrument der Welt.
Musikalisch außergewöhnliche Schritte ging Hacker auch zum 125. Geburtstag des Automobils im Jahre 2011. Der Plan: Im Innenhof des Schlosses sollte ein Hupkonzert gespielt werden. Dafür besorgte er aus jedem Jahrzehnt einen Pkw. Die Hupen der Fahrzeuge sollten jeweils einen Halbton unterschiedlich sein, sodass man die chromatische Tonleiter in Form von Autos im Hof stehen hatte und diese bespielen konnte.
Ohnehin ist Hacker für seine teilweise leicht verrückten Auftritte bekannt. 2017 tauschte er beim Stiftungsfest sein buntes Sakko mit Comicmotiven mit Landrat Klaus Pavel, der dieses unbedingt haben wollte. Zwei Jahre später spielte er den Typewriter von Leroy Anderson auf einer Schreibmaschine, ähnlich wie es Jerry Lewis einst tat. Für Hacker sind diese Auftritte eine willkommene Abwechslung zu seinen hauptsächlich aus Verwaltung und Koordination bestehenden Aufgaben. „Wenn du 30 Jahre lang Musik gemacht hast und dann in ein Aufgabenfeld hineinkommst, indem du musikalisch überhaupt nicht mehr aktiv bist, da bekommst du dann immer mal wieder einen Rappel und möchtest zeigen, dass du immer noch Musiker bist“, erzählt er.
Wer Erich W. Hacker nach seinen größten Erfolgen auf Schloss Kapfenburg fragt, dem antwortet er nicht als Einzelperson, sondern bezieht sein ganzes Team mit ein. „Unser größter Erfolg ist, dass sich diese Einrichtung trotz widriger finanzieller Umstände so gut positionieren konnte“, sagt er, „und dass wir unsere Aufgabe als weichen Standortfaktor im kulturellen Bereich bestmöglich erfüllen.“
„Das ist die Aufgabe, die mir auf den Leib geschneidert wurde“, resümiert Erich W. Hacker über seine Zeit auf Schloss Kapfenburg. Dabei zeichnet er nicht nur für die Musikschulakademie und die kulturellen Veranstaltung verantwortlich, sondern auch für den Gastronomiebetrieb. Zudem besitzt das Schloss 130 Betten und ist, wie Hacker betont, während des gesamten Jahres stets gut ausgelastet. Der Akademiedirektor ist übrigens nicht bei der Stiftung, die hinter dem Betrieb steht, angestellt. Als Inhaber einer Dienstleistungsfirma ist er selbstständiger Unternehmer, der alle fünf Jahre erneut beauftragt wird, den Betrieb Schloss Kapfenburg zu leiten.
Das wird bei Hackers Nachfolger, der derzeit gesucht wird, anders sein. Er wird direkter Angestellter der Stiftung sein. Seinen Eintritt in den Ruhestand hat Hacker, er wird im März 68 Jahre alt, für April 2021 geplant. Jedoch möchte er dem neuen Direktor im Teilauftrag noch einige Monate mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Vermissen werde er die Aufgabe an sich, sagt Hacker. Das Schloss sei sein Bahnhof, den er aus seiner Jugend mitgebracht habe, und der werde ihm am meisten fehlen. Dass er in eine Art Ruhestandsdepression verfallen wird, glaubt der Akademiedirektor nicht. Vor kurzem kaufte er eine digitale Kirchenorgel, an der er fleißig üben möchte, um vielleicht in der Kirche mal einen Gottesdienst zu begleiten. „Davon bin ich aber noch weit entfernt“, lacht er. Auch mit Menschen möchte Hacker weiterhin arbeiten. So überlegt er, die Betreuung für jemanden zu übernehmen, der sich mangels Angehöriger vorübergehend nicht allein versorgen kann. Darüber hinaus hat Hacker auch noch eine Frau und seinen Hund Maya, den er gerne mit zur Arbeit nimmt. Seinem Nachfolger werde er mit auf den Weg geben, dass man sein Tun als Akademiedirektor in den Dienst der Sache stellen sollte. Zudem müsse die oberste Prämisse Menschenfreundlichkeit sein, betont Hacker. „Das ist das Wichtigste. Dass man Menschen mag.“
Erich W. Hacker wurde 1952 in Schwäbisch Hall geboren, wuchs jedoch in Gaildorf auf, und zwar in einem für ihn besonderem Gebäude. „Mein Vater war Bahnhofsvorsteher, deswegen haben wir im Bahnhof gewohnt“, erzählt Hacker. Diese Kindheit, umgeben von Schnellzügen, Dampf- und Diesellokomotiven, war für den späteren Akademiedirektor besonders prägend. Dort entwickelte er, wie er sagt, sein technisches Verständnis. Dieses Faible hat Hacker bis heute beibehalten, was sich auf seine unmittelbare Arbeit auf Schloss Kapfenburg auswirkt. Ob Softwarelösungen oder technische Ausstattung – Hacker hat die Musikschulakademie stets auf dem neuesten Stand gehalten, Abläufe optimiert und Prozesse vereinfacht – zum Beispiel durch eine elektronische, papierlose Schriftgutablage. Und wer Ressourcen schonen möchte, verfügt natürlich auch über Elektrofahrzeuge. Die eigene ETankstelle auf dem Parkplatz des Schlosses gab es gleich dazu.
Die Eisenbahnen mögen Erich W. Hacker nachhaltig beeinflusst haben, für seine Leidenschaft zur Musik war das Tröten der Lokomotiven jedoch nicht verantwortlich. „Das waren meine Eltern. Die haben beide Hausmusik gemacht“, erzählt er. Dass seine Mutter, die durch Heirat den Namen Hacker erhielt, Hackbrett spielte, war wohl Zufall. Dennoch stammt der Familienname nicht von ungefähr. Seine Vorfahren seien Scharfrichter in Kirchberg an der Jagst gewesen, sagt Hacker, der es dann aber eher mit der Musik hält als mit abgeschlagenen Häuptern. Ebenso wie seine Mutter war auch sein Vater Saiteninstrumenten zugetan. Er spielte die Waldzither.
Allerdings nicht zum Chordophon, sondern zum Blasinstrument zog es den damals elfjährigen Erich. Da in der Nähe ein ehemaliger Militärmusiker wohnte, der Klarinettist war, bekam er die Möglichkeit, dieses Instrument zu erlernen. Nach dem Realschulabschluss in Schwäbisch Hall wechselte Hacker ans Staufer-Gymnasium nach Waiblingen. Aus gutem Grund, denn die Bildungseinrichtung besaß einen Musikzug. Dort musste er auch das Klavierspiel lernen. Klavier sei aber nicht sein Ding gewesen, erinnert sich Hacker.
Wieder voll und ganz seinem Lieblingsinstrument widmen konnte sich Hacker während seiner Wehrdienstzeit in Bad Cannstatt. Dort erhielt er zwei Jahre lang Unterricht von einem Klarinettisten, der Mitglied bei den Stuttgarter Philharmonikern war.
Dass Musik immer ein bedeutender Teil seines Lebens sein würde, war dem 67-Jährigen damals bereits klar. Somit schrieb er sich an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd ein, um Musik als Hauptfach zu belegen. Zusätzlich studierte Hacker Mathematik – zwei Fächer, die sich seiner Meinung nach besonders gut ergänzen würden. „Musik besteht aus lauter mathematischen Abläufen. Harmonien sind logisch. Computer können heute Stücke von Beethoven neu komponieren“, sagt Hacker, betont aber auch, dass für wahre Genialität immer noch der Faktor Mensch nötig sei.
Bevor ihn sein Weg zum Ende des Jahrtausends letztendlich nach Schloss Kapfenburg führen sollte, war Hacker von 1977 bis 1993 als Realschullehrer an der Adalbert-Stifter-Realschule in Schwäbisch Gmünd tätig. Nebenher führte er den Musikzug in Waldstetten. Um ein hohes Niveau in der Musikerausbildung zu gewährleisten, gründete Hacker die Musikschule Waldstetten, die er 20 Jahre lang leitete.
1998 bewarb er sich als erster Direktor der Stiftung Internationale Musikschulakademie Schloss Kapfenburg und setzte sich gegen zahlreiche Mitbewerber durch. In Betrieb ging die Institution am 1. Oktober 1999.
„Die afrikanischen Speisen waren denen so fremd, dass das Nachwirkungen hatte.“
Erich W. Hacker über die Kochkünste des Königs von Benin
„Bei uns ist die Festivalzeit ein bisschen wie Fasching.“
Erich W. Hacker über das Festival Schloss Kapfenburg