Ein richtiges Zeichen zum falschen Zeitpunkt
Affenlaute auf Schalke und in Münster. Rassistischer Hass in Italien. Die Spiele gehen weiter, die betroffenen Kicker werden teilweise daran gehindert, den Platz zu verlassen, die Show muss weitergehen. Aber bei einem zugegeben äußerst dummen und verachtenswerten „Hurensohn“-Plakat gegenüber Mäzen Dietmar Hopp hört das Verständnis in der Bundesliga auf. Damit wir uns richtig verstehen: So etwas muss sich niemand gefallen lassen – auch ein Hopp nicht. Dennoch könnte man den Eindruck gewinnen, die DFL schützt nicht diejenigen, die Opfer von Rassismus und Homophobie werden, sondern – so zumindest Stand jetzt – nur Milliardäre. Dabei sind die Banner nur der gar nicht so junge Auswuchs eines Kulturkampfes gegen das, wofür ein Hopp steht – sowie gegen die Verbands-Unternehmen DFL und DFB.
Seit Sommer gibt es bei Vorfällen den Drei-Stufen-Plan: Unterbrechen, Spieler vom Platz nehmen, Spiel abbrechen. Der DFB präsentierte nun die harte Hand. Doch eben nicht bei rassistischen Entgleisungen, nicht bei Fadenkreuz-Bannern oder ähnlichen verfassungswidrigen Äußerungen erfolgte dieser Kraftbeweis. Der Grund war eine sehr plumpe, unflätige und dumme Form der Kommerzkritik, die sich gegen den personalisierten Zeitgeist-Dämon der Ultras richtete. Die Fans haben derzeit ihren billigen Weg gefunden, um mit fantasieloser Beleidigung Aufmerksamkeit zu generieren. Das Banner in Sinsheim war eine Reaktion auf die aus ihrer Sicht Wiedereinführung der Kollektivstrafen (Dortmunder Fans dürfen zwei Jahre lang ihr Team nicht nach Hoffenheim begleiten). „Auch wenn uns die Strafe nicht betrifft und das Thema Hopp für uns nicht so eine starke Relevanz hat, sehen wir hierin einen Angriff auf Fanrechte im Allgemeinen“den sie nicht hinnehmen konnten, schrieben die Bayern-Fans auf suedkurvemuenchen.org. Wenn der Platz ausgereicht hätte, hätten die Ultras an diesem wegweisenden 29. Februar 2020 also wohl auch noch „Red Bull du Hurensohn“, „Kollektivstrafen ihr Hurensöhne“und – was sich später in Köln, am Folgetag in Berlin auch andernorts wirklich zeigte, „Fick dich DFB“aufs Banner gepinselt.
Doch auch so griff der Schiedsrichter Christian Dingert – nun anders als auf Schalke und in Münster – wohl ganz im Sinne des DFB rigoros durch, nahm die Spieler zweimal vom Platz, anschließend gab es 13 Minuten einträchtiges Ballgeschiebe zur Zeichensetzung durch die Profis mit anschließendem „Wir-stehenihm-zur-Seite“-Applaus. Eine gutgemeinte Aktion, die sich allerdings als vollkommener Bärendienst erweisen könnte – weil er eben nicht im Verhältnis zu all dem steht, was die Wochen zuvor geschah. Es ist immer schwierig, Verfehlungen gegeneinander aufzurechnen, die Grenze zwischen strafbaren Handlungen und geschmacklosen Beleidigungen zu ziehen, dennoch müssen sich alle Beteiligten nun Fragen gefallen lassen. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge sprach vom „hässlichen Gesicht des Fußballs“. DFB-Präsident Fritz Keller fand klare Worte im Sportstudio, in dem sich Anteilnahme und Empörung abwechselten. Allerdings wurde alles in einen
Topf geworfen, von Rassismus über Hanau bis hin zu den Plakaten.
Was die Verantwortlichen wollten und wollen ist, ihr Produkt Fußball so schön wie möglich zu halten – ohne störende Kritik. Die oft als „sogenannte Fußballfans“bezeichneten Anhänger sind dagegen oft unbequem. Sie üben Kritik am reinen Kommerzapparat, mischen sich ein und – das wird oft vergessen – stehen seit Jahrzehnten gegen Rassismus ein. Von all ihren Überzeugungen werden sie nun nicht abweichen. Noch schlimmer aber ist, dass die DFL nun den Kampf gegen die Ultras offiziell eröffnet hat, die sich nun mehr und mehr solidarisieren.
Etwa zeitgleich mit Sinsheim zeigten die BVB-Fans ein Banner mit der Aufschrift: „Wer die Toten von Hanau missbraucht, um die Fankurven mundtot zu machen, der beweist mehr Anstandslosigkeit als jedes Fadenkreuz.“Ab sofort dürfte fast kein Spiel mehr ohne „Hurensohn“-Rufe und ein solches Plakat auskommen. Ein Spielbetrieb wird nach dem durch die DFL geschaffenen Präzedenzfall bei diesen Maßstäben unmöglich werden, kein Duell über die volle Distanz gehen. Der 29. Februar wird daher nicht als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem sich der deutsche Fußball zum ersten Mal vollends und geschlossen gegen Rassismus stellte. Es wird der Tag bleiben, an dem der Kulturkampf erst so richtig begann.