Wie eine Aalenerin ihren Besuch in Peking und ihre Quarantäne erlebt hat.
Was eine Aalenerin bei ihrem Besuch in Peking und ihrer freiwilligen Quarantäne nach der Rückkehr erlebt hat
- Zwei Wochen lang hat Jiran Kausch ihre Wohnung in Aalen nicht verlassen. Aus Angst, sich nach dem Besuch bei ihrer Mutter in Peking möglicherweise mit dem Corona-Virus infiziert zu haben, stellte sich die 57-Jährige selbst vierzehn Tage lang unter Quarantäne. Mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgt worden ist sie unter anderem von guten Freunden, die ihr Tüten und Päckchen vor die Türe stellten. Am Montag ging Jiran Kausch das erste Mal wieder auf die Straße und ist froh, endlich wieder am öffentlichen Leben in der Kreisstadt teilnehmen zu können.
„Weltviruskrise“titelte der Spiegel in seiner letzten Ausgabe, die auf dem Tisch in der Küche von Jiran Kausch liegt. Im Zeichen des für Schlagzeilen sorgenden mitunter tödlichen Krankheitserregers, der sich auch in Deutschland immer weiter ausbreitet, stand auch ihr Besuch in Peking. Jedes Jahr fliegt die studierte Ingenieurin für Lebensmitteltechnologie, die seit 2008 in Aalen wohnt, zum chinesischen Neujahrs- oder Frühlingsfest in ihre Heimatstadt. Hier leben ihre 86 Jahre alte Mutter und ihr Bruder.
Bei ihrer Ankunft in der 22 Millionen Einwohner zählenden chinesischen Hauptstadt am 19. Januar herrscht noch der normale Alltag. In den Geschäften und Supermärkten ist emsiges Treiben, die Straßen sind voll mit Menschen, die sich darüber freuen, dass nun bald das neue Jahr eingeläutet wird. Der Jahreswechsel am 25. Januar und der nationale Trubel unter den Chinesen werden allerdings von einer Epidemie überschattet, deren Ausmaß bis dato keiner erahnen kann. Am 20. Januar verbreitet sich die Nachricht, dass in Wuhan ein neues Corona-Virus ausgebrochen ist und sich auf viele der 29 Provinzen und Städte im ganzen Land ausdehnt. „Erinnerungen an die 2002/2003 in China ausgebrochene SARS-Pandemie wurden schlagartig wach“, sagt Jiran Kausch.
Auf allen Fernsehkanälen und in allen Zeitungen wird fortan nur noch von diesem unbekannten Virus berichtet und die Freude der Menschen weicht Angst und Unsicherheit. Das Lächeln auf ihren Gesichtern bedecken ab sofort nur noch dicke Masken. Sofern solche noch zu bekommen sind. In den Geschäften und Apotheken sind die Regale leer geräumt. Auch die Ärzte können keine mehr ausgeben, weil sie diese selbst bei der Behandlung von Patienten benötigen, sagt Jiran Kausch. Zum Glück hatte sie angesichts ihrer Stauballergie noch einen Vorrat davon bei ihrer Mutter deponiert.
In den 28 Tagen während ihres Aufenthalts verlässt die 57-Jährige nur drei Mal die elterliche Wohnung in Peking. Und wenn, dann dick eingepackt mit Mundmaske, Handschuhen und Hut. Nur wenige Tage nach der Berichterstattung in den Medien kommt es in den Supermärkten zu Hamsterkäufen. Nudeln und Pflanzenöl sind nahezu ausverkauft. Der Preis für Gemüse und Fisch steigt angesichts der eingeschränkten Produktion in der Lebensmittelindustrie immens an. In den noch offenen Geschäften und Märkten scannen Sicherheitsmitarbeiter mit Infrarot-Thermometern jeden Kunden ab. Die Zeiten, in denen die Einwohner von Peking dicht an dicht nebeneinander an der Kasse standen, sind vorbei. Aus Angst, sich anzustecken, wird ein großer Sicherheitsabstand eingehalten.
Gemieden werden auch öffentliche Verkehrsmittel. Leer gefegt sind auch die Straßen. Ein solch trostloses Peking hat Jiran Kausch in den vergangenen 23 Jahren, seit sie ihre Heimat verlassen hat, noch nie erlebt. Auch die ansonsten verstopfte Stadtautobahn ist nahezu leer. „Wo man früher eineinhalb Stunden brauchte, kommt man mittlerweile in 40 Minuten durch“, sagt die 57-Jährige. Geschlossen sind auch Kindergärten, Schulen und Universitäten. In den Betrieben liege die Produktion nahezu still. Wanderarbeiter von außerhalb, die in
„Die Straßen in Peking sind ausgestorben,“sagt Jiran Kausch.
Peking arbeiten, würden nicht mehr in die Stadt gelassen. Oberstes Ziel der Regierung sei es, die beiden Metropolen Peking und Shanghai so gut wie möglich von dem Virus abzuschotten. Da zu den Auswärtigen viele Mitarbeiter von Speditionen zählten, würden Bestellungen per Internet mittlerweile erst nach drei Wochen geliefert, sagt die 57-Jährige.
Hart treffe die Situation auch die zahlreichen Restaurantbetreiber, die angesichts des Neujahrsfests auf ihren in großen Mengen eingekauften Waren sitzen bleiben würden. Denn bis auf Weiteres sind alle Lokale geschlossen, sagt Jiran Kausch. Um ihre Lebensmittel doch noch verkaufen zu können, würden manche Gastronomen Geschäfte anmieten und hier ihre Lebensmittel verkaufen. Geschlossen seien auch sämtliche Tee- oder Massagehäuser. Lediglich Friseurläden oder Schuhmacher hätten noch geöffnet. Der wirtschaftliche Schaden, den das Corona-Virus angerichtet habe und das vor allem Selbstständige und Dienstleister um ihre Existenz bringe, sei beträchtlich. Schlimmer noch als die Anzahl der Infizierten, die sich angesichts der Einwohnerzahl mit 400 Fällen noch in Grenzen halte.
Um eine weitere Ausbreitung des Virus’ in den Griff zu bekommen, habe die Regierung auch Maßnahmen für den eigenen Wohnblock in die Wege geleitet, sagt Jiran Kausch. Am Eingang werde jeder Bewohner per Infrarot-Thermometer abgescannt. Darüber hinaus habe jeder einen Chip, ohne den er nicht in den Gebäudekomplex gelange.
Das trostlose verunsicherte Peking habe auch die Stimmung der Aalenerin getrübt. „Ich war deprimiert und hatte Angst davor, mich zu infizieren und in Quarantäne zu kommen – auch weil ich hier nicht krankenversichert bin.“Und eine Behandlung in CoronaVirus-Fällen sei in Peking richtig teuer, sagt die 57-Jährige und spricht von rund 5000 Euro. Die geringsten Kosten würden die Medikamente verursachen. Aber die Arbeitskleidung wie Handschutz, Mundschutz und Co., die der Arzt bei jedem neuen Patient wechseln müsse, würde teuer zu Buche schlagen.
Neben der Angst zu erkranken, habe Jiran Kausch auch Angst davor gehabt, vor Ablauf ihres 30 Tage gültigen Visums nicht mehr nach Deutschland zurückfliegen zu können. Ihr Rückflug am 11. Februar nach München sei wie auch alle anderen Flüge von und nach China von ihrer Airline bis 29. Februar gestoppt worden. Dank einer Umbuchung auf eine andere Fluggesellschaft konnte sie allerdings am 17. Februar von Peking nach Frankfurt fliegen. Die Kontrolle am Flughafen der chinesischen Hauptstadt, bei der die Temperatur aller Fluggäste gemessen worden sei, hat sie überstanden. Der zehnstündige
Flug mit Mundschutz sei allerdings recht unangenehm gewesen, erinnert sie sich. Noch unangenehmer empfunden habe sie allerdings die Berichterstattung über das Corona-Virus in den deutschen Medien. Schlagzeilen wie „CoronaVirus: Made in China“hätten ihr Angst gemacht. Dadurch seien viele Menschen mit asiatischen Wurzeln pauschal als krank oder als eine Gefahr wahrgenommen worden, die es zu meiden gelte.
„Angst vor diesbezüglichen Vorurteilen hatte ich während meiner gesamten
„Der wirtschaftliche Schaden ist größer als die Anzahl der Betroffenen“, sagt die Aalenerin.
Heimreise nach Aalen.“Doch die Reaktionen, die Jiran Kausch erlebt habe, seien durchweg positiv gewesen. Die Fahrgäste in den Zügen seien freundlich gewesen, hätten ihr einen Platz an ihrer Seite angeboten und seien auch bereit gewesen, ihr mit dem schweren Koffer zu helfen. Ohne die Befürchtung, sich womöglich infizieren zu können.
Nach ihrer Ankunft am Abend des 17. Februar am Aalener Bahnhof habe die 57-Jährige aus Rührung erst einmal geweint. „Das waren Tränen der Erleichterung aber auch Tränen wegen der Sympathie, Empathie und der Unterstützung der deutschen Bürger.“Obwohl Jiran Kausch den Check am Pekinger Flughafen bestanden hat, sei sie sich unsicher gewesen, sich nicht doch während des Flugs mit dem Corona-Virus angesteckt zu haben. Deshalb hat sie sich selbst für 14 Tage unter Quarantäne gestellt. Zwei Wochen lang verbarrikadierte sie sich in ihrer Wohnung in der Aalener Innenstadt. Ernährt hat sie sich von aus China mitgebrachten Fertignudeln und Tiefkühlprodukten. Um ihre Freundin allerdings auch mit frischen Lebensmitteln zu versorgen, hängten ihr Bekannte jede Menge Tüten mit Gemüse, Obst oder Käse an die Haustür. Von dieser Hilfsbereitschaft sei die 57-Jährige nach wie vor sehr gerührt.
Seit sie wieder in Aalen ist, verfolgt sie auch die Berichterstattung über die Ausbreitung des Corona-Virus’ in Deutschland. Diesbezüglich warnt sie allerdings vor Panikmache. Zum einen sei Deutschland ein nicht so dicht bevölkertes Land wie China, zum anderen seien in dem asiatischen Land vor allem ältere oder gesundheitlich vorbelastete Menschen verstorben. Wer auf Hygiene achtet, sich regelmäßig die Hände wäscht und sein Immunsystem mit Sport, Vitaminen und einer ausgewogenen Ernährung stärkt, müsse sich ihrer Ansicht nach keine Sorgen machen.
Am Montag hat die 57-Jährige nach ihrer selbst verordneten Quarantäne das erste Mal wieder ihre eigenen vier Wände verlassen und im Supermarkt eingekauft. Die dort erworbene Flasche Champagner will sie am Dienstagabend mit ihrem Mann – dem bekannten deutschen Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler Michael Kausch – köpfen, der an diesem Tag aus San Francisco zurückkehrt und den sie seit ihrer Abreise nach Peking nicht mehr gesehen hat. Nachgefeiert werden soll dann auch ihr Geburtstag, der am 31. Januar in Peking vom Corona-Virus überschattet gewesen sei. Anstoßen wollen die beiden aber auch, dass die 57-Jährige in Aalen wieder gesund und heil angekommen ist.