Kaum Sulz auf der Piste und Schampus in der Hütte
St. Anton am Arlberg genügt auch im Frühjahr den Ansprüchen der Wintersportler aus aller Welt
Der Schnee glitzert in der Sonne. Carol Barrell fährt einen schnellen, weiten Schwung und quert die Piste. Es ist warm, der Frühling hat Einzug gehalten, aber in St. Anton am Arlberg sind Skifahrern dennoch keine Grenzen gesetzt. Die Pisten bieten auch im Frühjahr gut präparierte Kilometer für den anspruchsvollen Wintersportler.
Auf ihren kurzen Skiern fegt Barrell die Piste hinunter. Sie habe Spaß am schnellen Fahren, erzählt die 63Jährige. Die Piste am Galzig sei gerade im Frühjahr eine ihrer Lieblingsabfahrten in St. Anton. Der Schnee ist zu dieser Jahreszeit noch erstaunlich griffig. Nachmittags ist die Piste von der Sonne zwar leicht aufgeweicht, Eisplatten oder Sulz gibt es hier aber nicht. Morgens dagegen sei ihr diese Piste zu hart, sagt Carol.
St. Anton am Arlberg bezeichnet sich als die Wiege des alpinen Skilaufs. Den Grundstein dafür hat Hannes Schneider gelegt, der mit seiner neuen Technik vor mehr als hundert Jahren für Furore sorgte. Bis dahin war nur der Telemark-Schwung bekannt gewesen. Schneider propagierte eine neue Art des Skifahrens, die schon in den 1920er-Jahren jede Menge Wintersportler nach St. Anton lockte. Er wurde der erste Skilehrer in dem bis dahin eher verschlafenen Tiroler Bergdorf.
Mittlerweile ist Ski Arlberg das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs. 88 Bergbahnen und Skilifte, 305 Kilometer markierte Abfahrten und 200 Kilometer FreerideGelände bietet der Zusammenschluss aller Skigebiete am Arlberg, zu denen auch Lech/Zürs und Warth/Schröcken in Vorarlberg gehören. St. Anton zieht jedes Jahr Menschen aus mehr als 50 Nationen an.
Eben auch Carol Barrell, die ursprünglich aus Cleveland in den USA stammt. Vor fast genau 40 Jahren besuchte die Amerikanerin das erste Mal St. Anton, heiratete, ließ sich wieder scheiden und blieb trotzdem. Man kennt sie hier: Im
Sommer kümmerte sie sich im Auftrag der Gemeinde unter anderem um die Bepflanzung des Kreisverkehrs. „Ich fühle mich bis heute in der malerischen Bergwelt sehr wohl“, sagt Barrel und gleitet durch die Kontrollstation am Sessellift. Die modernen Bahnen verteilen die Wintersportler schnell im ganzen Skigebiet. Lange Wartezeiten sind, zumindest im Frühjahr, eher eine Seltenheit.
Einige Pisten weiter, dort wo sich auch die Seilbahn zum Vallugagrat quer zwischen zwei Berggipfeln übers Tal erstreckt, tummeln sich die Skifahrer in der Sonne. Ihr Ziel ist die Hospiz Alm, die oberhalb des Ortes
St. Christoph liegt. Die Bierbänke auf der Sonnenterrasse sind gut besetzt, auf den Tischen stehen Kaiserschmarrn und Vesperplatten. Magnumflaschen Wein und Sekt gehen dort in Massen jeden Mittag über den Tresen. Neben einer Vielzahl der Tische stehen Sektkühler, in denen die überdimensionalen Flaschen in Eiswürfeln schwimmen. Was an anderen Orten dekadent wirkt, ist in der Hospiz Alm nichts Besonderes. Champagner-Magnumflaschen mit einem Fassungsvermögen von 1,5 Litern gehören im Repertoire der Almhütte zu den kleineren Kalibern. Im Weinkeller schlummern etwa 3500 sogenannter Großflaschen im Wert von ungefähr 7,7 Millionen Euro.
Prominente wie Boris Becker, Lady Di und Helmut Kohl waren schon in der Hospiz Alm zu Gast. Davon zeugen unzählige Bilder, die das Treppenhaus zum Weinkeller schmücken. Einmal die Woche bieten die Sommeliers der Hospiz Alm Führungen durch den ehemaligen Luftschutzbunker, in dem die Flaschen
lagern. Dann können auch Normalsterbliche einen Blick auf die Flaschen werfen, die aus Platzmangel teils auch an der Decke des Kellers hängen.
Nicht weit vom Trubel an der Hospiz Alm entfernt, liegt an der Bergstation der Galzigbahn der Einstiegspunkt für die Vallugabahn. Sie schwebt auf lediglich zwei Stützen über das Tal und überwindet so 368 Höhenmeter. Oberhalb der Bergstation auf 2811 Metern über dem Meeresspiegel startet jedes Jahr im April der Weiße Rausch. Nicht nur Profis nehmen seit 23 Jahren an dem riskanten Rennen ins Tal teil. Neun Kilometer auf unpräparierten Pisten verlangen auch erfahrenen Sportlern einiges ab. Die Abfahrt wird nur unterbrochen von einem kräftezehrenden Aufstieg am „Schmerzensberg“.
Bevor sich die 555 Teilnehmer aber zum Saisonabschluss am 25. April die steile Piste hinabstürzen, sind die Bedingungen in den letzten Wochen der Saison am Valluga gut. Wo morgens Firn unter den Skiern knirscht, ist der Untergrund ab der Mittagszeit etwas weicher. Skifahrer schlängeln sich elegant um die aufgeschobenen Schneehaufen auf der Piste. Abseits der präparierten Pisten ist Powder zu dieser Jahreszeit allerdings nur noch selten zu finden.
Gegen Ende eines Skitages führt die mittlerweile sulzige Talabfahrt nach St. Anton die meisten Skifahrer vorbei an den Hotspots des AprèsSki. Vor dem Mooserwirt stehen die Menschen dicht gedrängt, Musik wummert aus den Lautsprechern. Auf der Terrasse der Sennalm spielt eine Band, die Gäste genießen ihr kühles Getränk in der Sonne. Zwischen den Tischen eilt Tanja Senn hin und her. Sie steht immer unter Strom und steckt voller Ideen. Die Hüttenwirtin backt Brot, stellt Badezusätze und Kräuterschnäpse her. Im Sommer unternimmt sie Kräuterwanderungen mit ihren Gästen und will ihnen die Natur näherbringen. Geht sie im Frühjahr selbst auf die Piste, dann am liebsten auf dem Rendl, sagt sie. Dort scheint die Sonne nicht so lange hin, die Schneeverhältnisse seien besser. Der Lift auf den Rendl startet im Zentrum von St. Anton, nur wenige Meter von der gläsernen Talstation der Galzigbahn entfernt. An einem der Lifte dort hat Carol Barrell lange Jahre gearbeitet. Am liebsten an einem der alten Schlepplifte, erzählt sie. Unzähligen Skifahrern habe sie das Liften beigebracht. In 14 oder 15 Sprachen konnte sie das Tellerliften erklären, sagt die Amerikanerin. Zum Beispiel auf Niederländisch: „Ned sit a pannekoek, oder so ähnlich“, sagt Barrell und lacht.
’’ Ich fühle mich bis heute in der malerischen Bergwelt sehr wohl.
Carol Barrell, US-Amerikanerin, die seit 40 Jahren in St. Anton lebt
Weitere Informationen unter www.stantonamarlberg.com Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband St. Anton am Arlberg.