Überraschend ruhiger Start für das SPD-Spitzenduo
Unter den Parteichefs Esken und Walter-Borjans haben Sozialdemokraten Stabilität gefunden – Kanzlerkandidat wird aber wohl jemand anderes
- Wenn die beiden SPD-Vorsitzenden ihre Partei beschreiben wollen, fällt oft ein Begriff. Stabilität. Seine Partei sei definitiv der „Stabilitätsanker“in der Koalition, sagt Norbert-Walter Borjans (67). Die SPD sei „aktiver und stabiler Part der Koalition“, lobt Saskia Esken (58). Tatsächlich: Bei den Sozialdemokraten ist nach aufreibenden Jahren derzeit etwas Ruhe eingekehrt. Der Fall in den Umfragen scheint gestoppt, es geht sogar leicht aufwärts. In Hamburg hat die Partei gezeigt, dass sie auch Wahlen gewinnen kann. Und der Bruch der Großen Koalition ist aktuell auch kein Thema mehr.
Am Sonntag sind Esken und „Nowabo“100 Tage im Amt. Damit endet die traditionelle Schonfrist, auch wenn Esken diese Frist schon 100 Sekunden nach der Wahl zu Ende wähnte. Viele in der Partei sind nach den ersten drei Monaten der Neuen positiv überrascht – zumal führende Sozialdemokraten vor der Wahl des Duos gewarnt hatten: „Die ersten 100 Tage sind für die Sozialdemokratie besser gelaufen, als es viele erwartet haben. Und auch besser, als ich es erwartet habe“, sagt der Illertisser Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner. Auch sein Biberacher Kollege Martin Gerster hat den Eindruck, dass es nach „anfänglichem Ruckeln“ganz gut laufe. Die Ulmer Parteilinke Hilde Mattheis freut sich über die Positionierung, wünscht sich aber „an verschiedenen Stellen eine klarere Haltung“.
Tatsächlich wurden die einstigen Groko-Kritiker von der koalitionsfreundlicheren Bundestagsfraktion unter Rolf Mützenich eingehegt. Die macht oft keine Anstalten, Forderungen des Duos nach Tempolimit auf Autobahnen, Steuern auf Bodenspekulationen oder höhere Rentenbeiträge für Reiche umzusetzen. Und ohne Vizekanzler Olaf Scholz, der im Direktvergleich gegen die jetzigen Chefs den Kürzeren zog, geht nichts.
Medial ist dieser Kontrast kein großes Thema. Andere politische Großlagen überlagern die ersten Monate des Duos: Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und die Rücktrittsankündigung von CDUParteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer
haben den Koalitionspartner in eine Krise gestürzt. Und seit kurzem kennt die Politik sowieso fast nur noch ein Thema: Corona. Das spielt der SPD-Spitze sogar in die Hände. Insbesondere Walter-Borjans fordert seit Monaten ein milliardenschweres Investitionsprogramm, das nun näher rückt.
Auch wenn Esken und WalterBorjans Parteivorsitzende sind, unumstrittene Chefs sind sie mitnichten. Sie selbst betonen die gute Zusammenarbeit mit Fraktionschef Mützenich. Der rheinländisch-fröhliche Realpolitiker hat sich als Nachfolger der zurückgetretenen Andrea Nahles Respekt verschafft. „Er hat mit seiner ruhigen, ausgleichenden Art sehr zur Beruhigung der Partei beigetragen“, sagt auch Brunner.
Das dritte Machtzentrum neben Willy-Brandt-Haus und Fraktion ist die SPD-Ministerriege um Olaf Scholz. Wer den Kurs bestimmt, ist offen: Es gebe kein „Über- oder Unterordnungsverhältnis“, sagt WalterBorjans und spricht von einem „Mehrklang“in der Partei. Dabei sollen sich die Sozialdemokraten bald hinter einer Person scharen: Die SPD will einen eigenen Kanzlerkandidaten in die 2021 angesetzte Bundestagswahl schicken. Längst kursieren Namen, teils wurden sie von den ExVorsitzenden Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel ungebeten ins Spiel gebracht. Esken und „Nowabo“werden selten genannt, gegenüber T-Online haben sie inzwischen auch abgesagt. Öfter fallen schon die Namen von Parteigeneral Lars Klingbeil oder Arbeitsminister Hubertus Heil.
Und noch öfter Olaf Scholz. Dass der frühere Hamburger Regierungschef nach der Wahl in Hamburg in vielen Fernsehsendern ausführlich den SPD-Sieg seines Nachfolgers Peter Tschentscher erklärte, während die Parteichefs im Willy-BrandtHaus ein dürres Statement verkündeten, gilt vielen als deutliches Signal.
Während Brunner und Mattheis sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht auf einen Namen festlegen wollen, ist die Sache für Martin Gerster klar. Die SPD brauche jemanden mit regierungserfahrung: „Ich glaube, dass Olaf Scholz die besten Chancen hat. Er wäre ein guter Kandidat und ein guter Kanzler“.