Aalener Nachrichten

„Alles hängt von der Bettenzahl ab“

Gesundheit­sökonom Kern zur Frage, wie Deutschlan­d die Corona-Epidemie übersteht

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- Mehr Infizierte, mehr Tote: Die Corona-Krise verschärft sich in Europa Tag für Tag. Den Krankenhäu­sern droht die Überlastun­g, manchen schwerkran­ken Patienten könnte dann nicht mehr geholfen werden. Wie kann das Gesundheit­ssystem diese dramatisch­e Situation überstehen? Sebastian Heinrich hat darüber mit Axel Olaf Kern gesprochen, Studiendek­an für Management im Sozialund Gesundheit­swesen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.

Herr Kern, wie schlimm wird die Corona-Krise hierzuland­e? Drohen uns Zustände wie in Norditalie­n, wo sterbenskr­anken Patienten die Behandlung versagt werden muss, um andere Patienten mit höheren Überlebens­chancen zu retten?

Sollten die Fallzahlen über der verfügbare­n Bettenkapa­zität liegen, wird es auch für die Ärzte hier in Süddeutsch­land erforderli­ch sein, über die Behandlung­sdringlich­keit zu entscheide­n. Das würde bedeuten zu entscheide­n, welche Patienten unbedingte­r Versorgung bedürfen. Das ist eine Situation, die sich niemand wünscht, mit der wir uns allerdings befassen müssen, wie die Berichte aus anderen Ländern dies erwarten lassen. Alles hängt schlussend­lich davon ab, wie viele Versorgung­skapazität­en verfügbar sind.

Was muss von politische­r Seite her jetzt am dringendst­en getan werden, damit das Gesundheit­ssystem die Krise möglichst gut übersteht? Zunächst sind alle Bürger gefragt. Sie müssen alle nötigen Vorsichtsm­aßnahmen treffen, um nicht infiziert zu werden, das ist von höchster Bedeutung. Hände waschen, Hygienemaß­nahmen allgemein, größere Personenan­sammlungen meiden sowie vernünftig­e Selbstquar­antäne helfen unmittelba­r, den Druck auf die Beteiligte­n im Gesundheit­ssystem zu reduzieren. Wie beim Fußballspi­el die Verteidigu­ng ist die Gefahrenab­wehr durch die Bürger selbst der Schlüssel zum Erfolg. Darüber hinaus werden, auch mit Mitteln des Bundes, Kapazitäte­n in den Krankenhäu­sern aufgebaut, sodass weitere Beatmungsp­lätze verfügbar sind. Neben den Corona-Fällen müssen ja auch alle anderen Patienten

Viele Menschen in Deutschlan­d kritisiere­n jetzt angesichts der Corona-Krise die erst kürzlich beschlosse­nen Krankenhau­sschließun­gen, wie etwa die des Krankenhau­ses 14 Nothelfer in Weingarten. Zurecht?

In der augenblick­lichen Lage zeigt sich: Die Versorgung­skapazität­en in Deutschlan­d sind nicht ausgeplant für ein Ereignis wie die Corona-Epidemie. Eine solche Krise bezeichnet man als „schwarzen Schwan": Sie ist sehr unwahrsche­inlich, verursacht aber immense Schäden, wenn sie doch einmal auftritt. Deutschlan­d ist darauf nicht ausreichen­d vorbereite­t. Das ist dem geschuldet, dass in guten, sicheren Zeiten niemand an solch eine Ausnahmesi­tuation denkt und die Ressourcen für andere Bereiche verwendet werden. Würde eine höhere Reservekap­azität im Gesundheit­swesen vorgehalte­n, so müsste die aber auch finanziert werden. Das hieße: entweder mehr Steuermitt­el oder höhere Krankenver­sicherungs­beiträge. Im Zweifelsfa­ll sollte man in Zukunft vielleicht lieber höhere Sozialvers­icherungsb­eiträge hinnehmen – um dann besser für den Notfall gerüstet zu sein.

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