Heil verspricht Kampf um jeden Arbeitsplatz
Kurzarbeit in 470 000 Unternehmen – Arbeitsminister wirbt um Zuversicht
(dpa/epd) - Angesichts der massiven Beschränkungen wegen der Corona-Krise haben inzwischen 470 000 Unternehmen in Deutschland Kurzarbeit angezeigt. Darunter seien neben dem produzierenden Gewerbe auch viele Unternehmen aus dem Gastgewerbe und dem Handel, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. Wie viele Beschäftigte davon insgesamt betroffen seien, lasse sich noch nicht seriös sagen. Es sei aber davon auszugehen, dass es deutlich mehr werden als zu den Spitzenzeiten bei der Finanzkrise 2009 mit rund 1,4 Millionen.
Heil betonte, dass betroffene Beschäftigte mit diesen Regelungen ihren Job behalten könnten und die Chance hätten, die Wirtschaft nach der Krise wieder hochzufahren. Er warb generell um Zuversicht. Deutschland habe Ressourcen, um sich gegen die Folgen der Krise zu stellen, sagte er am Dienstag in Berlin.
Die Arbeitslosenzahlen würden aber steigen. „Wir werden nicht jeden Arbeitsplatz garantieren können, wir werden aber um jeden Arbeitsplatz kämpfen.“
In den aktuellen Arbeitsmarktzahlen vom März spiegelt sich die Krise noch nicht wider, da sie nur bis zum 12. März reichen. Danach ist die Zahl der Arbeitslosen im März jahreszeitlich bedingt gegenüber dem Februar um 60 000 auf 2 335 000 gesunken.
- Die Arbeitsämter erleben infolge der Corona-Krise eine nie dagewesene Flut von Anträgen auf Kurzarbeitergeld. „Wir sehen hier die größte arbeitsmarktpolitische Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. „Die Kurzarbeit ist hier die Brücke, um die Beschäftigung über die Krise zu retten.“Auch aus sonst krisenfesten Branchen wie Fast-Food-Ketten, die das Instrument bisher nie nachgefragt haben, kommen plötzlich zahlreiche Anfragen.
Bis vergangenen Samstag sind bei den Sachbearbeitern 470 000 Anträge von Betrieben eingegangen. Das sind von der Größenordnung her rund zehnmal mehr als in der Finanzkrise von 2009. Da jeder Betrieb vermutlich mehrere Mitarbeiter kurz arbeiten lässt, kommt die Hilfe Millionen von Arbeitnehmern zugute. Der Ansturm geht aktuell noch weiter: Derzeit verarbeiten die Arbeitsämter weiterhin mehr als Zehntausend neue Anzeigen pro Woche. „Es ist gut, dass die Anträge vereinfacht sind", sagt Detlef Scheele, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Seine Organisation habe aus allen Bereichen zusätzliche Kräfte zusammengezogen, um die Nachfrage zu bewältigen. Die Bearbeitung laufe heute schneller als je zuvor. Er rechnet damit, dass die Antragsteller innerhalb einer Woche das erste Geld auf dem Konto haben.
Die Finanzierung des Instruments ist bereits vollständig gesichert, weil die Arbeitsagentur in den Jahren des Aufschwungs hohe Rücklagen in Höhe von 26 Milliarden Euro aufgebaut hat, von denen sie selbst jetzt nur zehn Milliarden angreifen muss, um den Ansturm zu bewältigen. Scheele und Heil machten jedoch klar, dass es auch danach nicht am Geld scheitern soll. „Es gibt keine finanziellen Grenzen“, sagte Scheele. Die Regierung könne hier praktisch beliebig viel Geld mobilisieren. „Es handelt sich um das derzeit wichtigste Instrument der Arbeitsmarktpolitik“, sagte Heil. „Dadurch behalten Millionen von Beschäftigten ihren Job.“
Die Regierung hat die Möglichkeiten des Kurzarbeitergelds im Rahmen ihres Corona-Hilfspakets ausgeweitet und seine Vergabe vereinfacht. Die Sachbearbeiter prüfen die Anträge nur noch zügig darauf, ob sie realistisch wirken. Die Behörden haben die langen Formulare zudem zusammengestrichen. Früher musste ein Drittel der Belegschaft von einem Arbeitsausfall betroffen sein, jetzt reicht ein Zehntel. Außerdem zahlen die Arbeitsämter die Sozialleistungen komplett weiter. Früher mussten die Firmen diesen Part übernehmen. Im Ergebnis hat ein Unternehmen, das seine Belegschaft komplett in Kurzarbeit schickt, keine Lohnkosten mehr.
Die Arbeitnehmer erhalten derweil 60 Prozent ihres vorigen Lohns vom Staat. Die Gewerkschaften fordern hier eine Nachbesserung, weil aus ihrer Sicht die Arbeitgeber das bessere Geschäft machen. Nur einige Tarifverträge sehen bisher vor, dass die Arbeitgeber das Geld bis fast zum vollen Lohn aufstocken. Solche Regeln sollen nach Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes möglichst für alle gelten. Heil erteilte diesem Ansinnen am Mittwoch eine vorläufige Absage: Die Instrumente seien bereits gut ausgestattet und bieten beiden Seiten die entscheidenden Erleichterungen.
Das Kurzarbeitergeld hat sich bereits in den Jahren 2009 und 2010 bewährt, als den Betrieben wegen der internationalen Finanzkrise die Aufträge weggebrochen sind. Seinerzeit haben 56 000 Betriebe Kurzarbeit genutzt.
Ein Anstieg der Zahl der Kurzarbeiter in den Monaten Dezember bis März ist dabei normal. Während im Hochsommer eines normalen Jahres mit guter Konjunktur rund 50 000 Menschen kurzarbeiten, sind es im Januar rund 300 000. Das Instrument funktioniert so: Ein Betrieb, der unter erheblichen Einnahmeausfällen leidet, vereinbart die Kurzarbeit zunächst hausintern mit dem Betriebsrat. Wenn dessen o.k. vorliegt, beantragt er das Kurzarbeitergeld beim zuständigen Arbeitsamt. Die Mitarbeiter leisten künftig weniger Stunden als vorher oder im Extremfall gar keine mehr. Der Betrieb zahlt entsprechend weniger Gehalt. Aus der Arbeitslosenversicherung erhalten die Mitarbeiter jedoch einen Teil des Ausfalls ersetzt: bis 60 Prozent des regulären Gehalts für Kinderlose und 67 Prozent für Mitarbeiter mit Kindern. Sie müssen zwar zeitweilig mit weniger Geld auskommen, stehen aber nicht vor dem Aus und behalten ihren Arbeitsplatz.
Das Kurzarbeitergeld ist für den Fall gedacht, dass ein vorübergehendes, „unabwendbares Ereignis“zu erheblichem Arbeitsausfall führt. Ökonom Hans-Werner Sinn, der ehemalige Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, hält es derzeit für geeignet, um zu verhindern, dass die Firmen untergehen und massenhaft Arbeitslosigkeit ausbricht.
Heil wies auf die Vorteile von Instrumenten wie der Kurzarbeit im Vergleich zu Ländern wie den USA hin, wo der Staat nicht für eine Abfederung sorgen will und kann. Die Arbeitslosenzahlen schießen dort zurzeit durch die Ausgangsbeschränkungen steil nach oben. „Wir kämpfen um jede wirtschaftliche Existenz, die durch den Shutdown bedroht ist“, versprach der Arbeitsminister.