Streit um Zucker in Lebensmitteln
Ernährungsministerin Klöckner sieht Fortschritte im Kampf gegen Dickmacher – Kritiker fordern mehr Tempo
(dpa) - Für eine gesündere Ernährung sollen Fertigprodukte mit weniger Zucker, Fett und Salz auskommen. Auf dieses Ziel hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) mehrere Branchen freiwillig verpflichtet. Am Mittwoch zog sie eine Bilanz. „Es geht in die richtige Richtung“, erklärte Klöckner in Berlin. Die freiwilligen Zusagen würden Wirkung zeigen. Jedoch gebe es weiter Handlungsbedarf. Verbraucherschützern und Ärzten reichen die Reduzierungen nicht aus.
- Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sieht Deutschland im Kampf gegen Dickmacher in Fertigessen auf einem guten Weg. „Es geht in die richtige Richtung“, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch bei der Vorstellung eines Berichts des bundeseigenen Max Rubner-Instituts (MRI). Demnach haben vor allem die Hersteller von Gerichten für Kinder (Produkte „mit Kinderoptik“) den Anteil von Zucker, Salz und Fett in ihren Produkten gesenkt. Doch die Ministerin fordert mehr – und droht der Industrie.
Wie sollen Dickmacher reduziert werden?
Klöckner setzt auf Freiwilligkeit: 2018 hatten sich die Lebensmittelhersteller selbst verpflichtet, unter anderem den Zuckeranteil in Limonaden und Frühstückscerealien sowie den Salzgehalt bei Tiefkühlpizzen langfristig zu senken. Hintergrund ist ein im Wortsinn gewichtiges Problem: Klöckner zufolge bringt jeder zweite Erwachsene in Deutschland zu viel auf die Waage, auch 15 Prozent der Kinder sind übergewichtig.
Enthalten Produkte für Kinder weniger Zucker als früher?
Laut MRI ja: Bei Quarkzubereitungen für Kinder ging der Zuckeranteil seit 2016 um 18 Prozent zurück, bei Knusper-Schoko-Cerealien um 17 Prozent, bei Kinderjoghurts um 7 Prozent. Bei Erfrischungsgetränken für Kinder betrug das Minus im Vergleich zu 2018 sogar 35 Prozent. In vielen Fällen sank auch der gesamte Energiegehalt: Das heißt, der Geschmacksträger Zucker wurde nicht durch den Geschmacksträger Fett ersetzt.
Also geht der Trend insgesamt zu weniger Zucker?
Nicht immer: Bei Cola und Limonade blieb der Zuckergehalt nahezu gleich. Bei Eistees und Frühstücksflocken ließen die Verbraucher die zuckerärmeren Produkte oft im Regal stehen und wechselten zu zuckrigeren Varianten. MRI-Präsident Pablo Steinberg erklärte, dass sich die Verbraucher schrittweise an „eine niedrigere Gesamtsüße von Lebensmitteln gewöhnen“müssten.
Sind Produkte für Kinder stärker gezuckert als die für Erwachsene? In der Regel, aber nicht immer. Bei den Müslis gibt es Kinderprodukte mit einem geringeren Zuckeranteil als Erwachsenenmüslis. Bei Cornflakes
gilt das Gegenteil: Für Kinder beworbene Cornflakes enthalten im Median viermal so viel Zucker wie Cornflakes ohne Kinderoptik.
Wie steht es um den Salzgehalt von Pizza?
Sehr verschieden: Den höchsten Salzgehalt weist in der Regel die Salamipizza auf, den niedrigsten die Gemüsepizza. Allerdings ist die Spannbreite je nach Hersteller gewaltig: Bei den Varianten Margherita
und Chicken kann der Gehalt je nach Marke bis zu dreimal so hoch sein wie bei der niedrigsten Variante. Beim Salzgehalt hat sich zwischen 2016 und 2019 kaum etwas getan.
Reicht das aus?
Nein, meint auch die Ministerin. Man müsse und werde in einigen Bereichen nachsteuern, kündigte Klöckner an. Das soll aber zunächst freiwillig bleiben. Zudem will die Ministerin in diesem Jahr den „Nutri-Score“einführen. Dies ist eine ampelartige Kennzeichnung auf Lebensmittelpackungen, die den Nährwert anzeigt. Êinige Hersteller wenden den „Nutri-Score“bereits freiwillig an.
Wenn die Industrie nicht liefert?
Dann droht Klöckner mit Gesetzen. So werde sie den Zusatz von Zucker in Säuglings- und Kleinstkindertees verbieten. Auch andernorts könne man „gesetzgeberisch nachsteuern“, sagte die CDU-Politikerin.
Gibt es Kritik an Klöckner?
Ja. Die Verbraucherorganisation Foodwatch bezeichnete den Rückgang von „sehr viel zu viel“auf „viel zu viel“als „Bankrotterklärung“. Die Grünen-Politikerin Renate Künast sieht den Weg der Selbstverpflichtung als gescheitert an. Und die AOK forderte härtere und verbindliche Reduktionsziele. Laut AOK überschreiten drei Viertel der gekauften Cornflakes oder Müslis die ZuckerEmpfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Bei den Kinderprodukten seien es 99 Prozent.