Das umstrittene Konzept Eurobonds
Im Windschatten der Corona-Krise wärmt Italien ein altes Lieblingsthema wieder auf
- Mehr als sechs Millionen Deutsche verfolgten Dienstagabend bei ARD Extra die neuesten Entwicklungen zum Coronavirus. Als Italiens Premierminister Giuseppe Conte aus Rom zugeschaltet wurde und beim deutschen Publikum für europäische Gemeinschaftsanleihen warb, dürfte vielen klar geworden sein, dass das totgeglaubte Thema „Eurobonds“nun wieder auf dem Tisch liegt. In einer ganzseitigen Anzeige in der FAZ hatten sich am gleichen Tag auch italienische Europaabgeordnete, Bürgermeister und Regionalpräsidenten für die nun Coronabonds getauften, von allen EUStaaten gemeinsam abgesicherten Kredite starkgemacht.
Die Politiker erinnerten daran, dass 1953 dem wirtschaftlich am Boden liegenden Deutschland ein Großteil seiner Schulden erlassen, der Rest gestundet worden sei. Das aber sei bei den nun geplanten Anleihen nicht beabsichtigt. „Wir fordern nicht die Vergemeinschaftung der öffentlichen Altschulden, sondern die Bereitstellung ausreichender Mittel, für einen großen europäischen Rettungsplan“, versichern die Unterzeichner. Scharf greifen sie die Niederlande an, die die Gruppe der Eurobonds-Gegner anführe, gleichzeitig mit besonders niedrigen Steuersätzen Unternehmen aus anderen EU-Ländern abwerbe und so deren wirtschaftlichen Niedergang mit zu verantworten habe.
Am Dienstag vergangener Woche hatten die Eurofinanzminister in einer Videokonferenz zum ersten Mal darüber diskutiert, wie der enorme wirtschaftliche Schaden der CoronaKrise wenigstens teilweise durch die Gemeinschaft aufgefangen werden könnte. Der derzeitige Leiter der Eurogruppe, der portugiesische Finanzminister Mário Centeno, will hierfür den Europäischen Rettungsfonds ESM einsetzen und zusätzlich Anleihen auflegen, die von allen EULändern gemeinsam abgesichert werden. Wegen des dadurch reduzierten Risikos hätten sie einen deutlich geringeren Zinsaufschlag, als wenn sich schon jetzt hoch verschuldete Länder wie Italien das Geld auf dem Finanzmarkt besorgen müssten. Insgesamt neun EU-Staaten halten es in der aktuellen Situation für angebracht, die schon bei der Finanzkrise 2008 diskutierten Eurobonds nun wirklich einzuführen. Damals wie heute sind Niederländer, Deutsche, Österreicher und Finnen dagegen. Wären Briten, Schweden und Dänen Teil der Eurozone, wäre diese Gruppe der „Sparsamen“noch deutlich größer. Im Europaparlament hatten sich damals Sozialdemokraten, Grüne, Linkspartei und Liberale für das neue Instrument starkgemacht, die Konservativen waren strikt dagegen gewesen. Auch daran hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.
Da sich die Eurofinanzminister vor einer Woche nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, reichten sie den Streit eine Etage höher. Die EU-Regierungschefs hätten vergangenen Donnerstag eigentlich zum Gipfeltreffen nach Brüssel fliegen sollen, mussten sich angesichts der Lage aber ebenfalls mit einer Videokonferenz begnügen. Auch dieses Gespräch brachte keine Einigung, weshalb das Thema Gemeinschaftsanleihen an die Finanzminister rücküberwiesen wurde. Die haben ihre eigentlich für diese Woche angesetzte Zusammenkunft wegen tief greifender Differenzen auf kommenden Dienstag vertagt. Sitzungsleiter Centeno lässt im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem Niederländer Jeroen Dijsselbloem, deutliche Sympathien für das Konzept
Eurobonds erkennen. Das ist kein Wunder, denn sein Heimatland Portugal könnte von günstigeren Kreditzinsen deutlich profitieren.
Kommissionschefin Ursula von der Leyen meldete sich zwei Tage nach dem gescheiterten Videogipfel zu Wort. Sollten die Finanzminister es wünschen, werde ihre Behörde neue Finanzinstrumente prüfen – allerdings im Rahmen der bestehenden EU-Verträge, was gemeinschaftliche Schulden ausschließt.
Von der Leyen will Mittel aus der Strukturförderung in die Krisenbekämpfung umleiten – der Spielraum sei aber begrenzt, da die Töpfe am Ende der siebenjährigen Finanzperiode fast ausgeschöpft seien. Den Haushaltsvorschlag für die kommende Siebenjahresplanung will die Kommission noch einmal überarbeiten und damit Spielraum für Finanzspritzen zur Überwindung der Krise schaffen.
Klaus Regling erklärte, der von ihm geleitete Europäische Rettungsfonds ESM sei gut gefüllt und in der Lage, Not leidenden Staaten mit Krediten unter die Arme zu greifen. Deutschland, das dieser Option zunächst skeptisch gegenüberstand, scheint damit einverstanden zu sein. Doch die Südländer wollen lieber Eurobonds als ESM-Kredite, denn die gibt es nur gegen Sparauflagen und der Einwilligung in Strukturreformen, wie sie Irland, Portugal, Spanien und Griechenland in der Finanzkrise erfüllen mussten.