Jeder fünfte Handwerker ist in Zahlungsnot
Was Betriebe jetzt tun können – und weshalb die Handwerkskammer an die Kunden appelliert
- Die Einschränkungen durch Corona bekommen auch die Handwerker in der Region immer deutlicher zu spüren. Allein die Handwerkskammer Ulm hat bis Dienstagnachmittag 11,4 Millionen Euro Fördergelder von der L-Bank an die Betriebe zwischen Ostalb und Bodensee empfohlen. Das sind im Schnitt etwas mehr als 13 000 Euro Soforthilfe für jeden der kleinen und mittelständischen Antragsteller.
In Baden-Württemberg wurde jeder fünfte Antrag für die Corona-Soforthilfe des Landes von einem Handwerksbetrieb gestellt. „Die wirtschaftliche Lage im Handwerk wird offenkundig immer dramatischer, je länger die Ausnahmesituation andauert“, sagte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. „Fast 20 Prozent unserer 135 000 Handwerksbetriebe im Land haben bereits Soforthilfe beantragt, das besorgt uns zutiefst. Bitte halten Sie dem Handwerk die Treue und stornieren Sie keine Aufträge, die auch unter den geltenden Kontaktbeschränkungen noch ausgeführt werden können.“
Bei der Handwerkskammer Ulm, der 19 500 Betriebe angehören, wurden bereits rund 3500 Anträge gestellt. „Wir haben das Wochenende quasi durchgearbeitet“, fasst Hauptgeschäftsführer Tobias Mehlich zusammen. 850 Anträge waren bis Dienstagmittag an die L-Bank weitergeleitet worden. Die Mitarbeiter an den Hotlines führen täglich 700 Beratungen durch. „Viele Handwerksbetriebe kämpfen im Hier und Jetzt, damit sie ihren Betrieb aufrechterhalten können“, sagt Mehlich.
Er rechnet damit, dass die Zahl der Anträge weiter steigt, denn dadurch, dass auch rückwirkend das Privatvermögen nicht mehr zuerst aufgebraucht werden muss, werde auch der Kreis der Berechtigten größer. „Wir müssen auch bereits abgelehnte Anträge noch mal rausziehen und neu prüfen.“Trotzdem ist der Hauptgeschäftsführer mit den Nachbesserungen zufrieden. „Wir sind froh, dass unsere zentrale Forderung so rasch umgesetzt wurde“, sagt
Mehlich. „Das sind gute Nachrichten für die Handwerksbetriebe.“Außerdem könnten jetzt auch Handwerksbetriebe im Nebenerwerb von den Soforthilfen profitieren, wenn ihre Selbstständigkeit mehr als ein Drittel des Einkommens der Person ausmacht, nicht wie bisher des Haushaltseinkommens, so Mehlich.
Nachbesserungen fordert er hingegen bei der Soforthilfe des Bundes, die seit Dienstag für Betriebe bis zehn Mitarbeiter greift. Ab elf Mitarbeitern
greift weiterhin das Landesprogramm. Für Antragssteller ändert das nichts. Sie stellen den Antrag wie gehabt bei ihrer Kammer. Allerdings würden leider weite Teile des handwerklichen Mittelstandes aufgrund der Größe durch das Raster der direkten Zuschüsse vom Bund fallen, teilt Mehlich per Pressemitteilung mit. „Hier brauchen wir noch Korrekturen.“
Auf ihrer Internetseite weist die Kammer darauf hin, dass die Soforthilfeprogramme
nicht die einzige Unterstützung für Handwerksbetriebe sind. Betriebe, die durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, könnten während der Krise die Sozialversicherungsbeiträge stunden lassen. „Es genügt dazu ein unbürokratisches, formloses Schreiben, in dem die Stundung und Aussetzung der Vollziehung der Beiträge für März und April bis auf Weiteres beantragt und die Aussetzung fälliger Zahlungen ebenso wie die Erhebung von Zinsen und Säumniszuschlägen erbeten wird“, erklärt Mehlich. Darüber hinaus fordert die Handwerkskammer, Umsatzsteuervoranmeldungen zu unterlassen oder zurück zu überweisen. Jetzt müsse man in den Betrieben so viel Liquidität wie möglich lassen, betont Mehlich.
Die ersten Gelder aus dem Soforthilfeprogramm für Betriebe in Zahlungsnot fließen bereits. Mehr als 8,4 Millionen Euro wurden bis Anfang der Woche in Baden-Württemberg bewilligt oder ausbezahlt. Insgesamt lagen bis Montagnachmittag 137 000 Anträge von Freiberuflern und Unternehmen bis 50 Mitarbeitern vor.
Wie viel Handwerker unter den 200 000 Antragsstellern in Bayern sind, ist nicht bekannt. Der Anteil der Handwerker wird vom bayerischen Wirtschaftsministeriums nicht gesondert ausgewiesen, da die Anträge nicht bei den Kammern, sondern von der Bezirksregierung erfasst werden. Kommende Woche soll das bayerische Landesprogramm aufgestockt werden. Und in wenigen Tagen sollen auch die Antragsformulare für Landwirte zur Verfügung stehen.
ANZEIGE