Zu den Stätten der Nazi-Verbrechen in Ellwangen
Das Friedensforum plant einen friedenspädagogischen Rundgang
ELLWANGEN - Die Mitglieder des Friedensforums wollen in Ellwangen einen friedenspädagogischen Rundgang anbieten, der zu den Stätten der nationalsozialistischen Verbrechen führt. Damit sollen vor allem junge Leute für die Gefahren von Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Militarismus sensibilisiert werden. Bei einem Pressegespräch am Mittwoch in der Sebastianskapelle haben die Friedensforum-Mitarbeiter Josef Baumann, Peter Maile und Volker Lauster-Schulz das Konzept und die zwölf Stationen vorgestellt.
Am 5. April jährt sich zum 75. Mal der Hessentaler Todesmarsch. An diesem 5. April 1945 wurden die Insassen des Lagers Schwäbisch Hall-Hessental evakuiert und für den Abtransport ins Konzentrationslager Dachau in einen Güterzug verladen. An diesen Zug wurden auch Wagen mit Gefangenen des Lagers Kochendorf angehängt, sodass sich die Gesamtzahl der Häftlinge auf etwa 700 belief. Nahe Sulzdorf wurde der Güterzug von alliierten Jagdbombern beschossen und schwer beschädigt. Dabei wurden 17 Häftlinge getötet. Die Evakuierung wurde nun zu Fuß fortgesetzt, in Gruppen zu 500 und 200 Mann. Auf der Strecke bis Dachau gab es rund 170 Tote.
Erste Station des friedenspädagogischen Rundgangs ist der Ellwanger Bahnhof. Denn der Häftlingszug wenige Wochen vor Kriegsende führte auch durch Ellwangen und wurde von unmenschlichen Szenen und brutalen Übergriffen der SS-Wachmannschaft begleitet. „Am Bahnhof von Ellwangen entledigte sich die Wachmannschaft der 50 schwächsten Häftlinge, indem man sie einfach zurückließ“, ist in der 1987 erschienenen Dokumentation
des Friedensforums mit dem Titel „Vernichtung und Gewalt – Die KZAußenlager Ellwangens“nachzulesen: „Völlig ungeschützt gegen den einsetzenden Regen schleppten sich die Häftlinge in herumstehende leere Eisenbahnwaggons.“Als Anwohner der Straße An der Jagst den ausgemergelten, bettelnden KZ-Häftlingen etwas zu essen geben wollten, trieben die SS-Wachmänner die Häftlinge zurück. Einige wurden erschossen. 20 tote und acht lebende Häftlinge wurden mit einem Lkw abtransportiert.
Zweite Station ist das Haus Kicherer in der Schmiedstraße. Dort wohnte die jüdische Familie Levi, der es noch rechtzeitig gelang, nach Amerika auszuwandern. Ein Stolperstein soll ihrer und damit auch der Ausgrenzung und Vernichtung der Juden gedenken.
Die Kaserne, die dritte Station, diente von 1941 bis 17. Oktober 1942 als
KZ-Außenlager des Stammlagers Dachau. Hier soll auch auf die aktuelle Herausforderung des Militarismus eingegangen werden.
Mit einem Stolperstein im CäsarFlaischlen-Weg, vierte Station, soll an Max Reeb erinnert werden, laut Peter Maile ein „Musterbeispiel vom Kirchenkampf in Ellwangen“.
Die Entstehung und Schändung des Jüdischen Friedhofs sowie Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus heute werden an der fünften
Station thematisiert. Auf Vernichtung durch Arbeit geht das Friedensforum bei der sechsten Station, dem ehemaligen Goldrainlager, ein. Das Lager Goldrainwiese als Nebenlager des Stammlagers Natzweiler existierte von 1943 bis 1945. Die Zahl der Häftlinge belief sich gegen Kriegsende auf 102. In Ellwangen habe es Dutzende von Zwangsarbeiterlagern gegeben, führt Peter Maile aus. Die
„Fremdarbeiter“-Kartei zähle rund 1300 Namen von Personen, die in Ellwangen beschäftigt waren.
Ein im vergangenen Sommer geplantes und kurzfristig durch die Stadt verhindertes rechtsradikales Rockkonzert ist Aufhänger für die siebte
Station, den Wagnershof. Heutige Herausforderung sei die rechtsradikale Szene, berichtet das Friedensforum.
Der Schafstall Reeb bei der Schutzengelkapelle und der Steinbruch Neunheim, achte und neunte
Station, thematisieren die Brutalität der SS-Wachmannschaft während des Hessentaler Todesmarsches und stehen für „Vernichtung durch Arbeit“, das „Verrecken lassen“, „Verscharren“und „Zuschütten und Vergessen“. Das Friedensforum will am Neunheimer Steinbruch, wo 27 bis 30 Leichname verscharrt und nach dem Krieg 23 Leichen exhumiert wurden, eine Gedenkstätte einrichten und steht deshalb in Verhandlungen mit der Stadt.
„Wir möchten Natur- und Landschaftsschutz mit Erinnerungskultur in Einklang bringen“, sagt Josef Baumann mit Blick auf das „Fenster zum Schwarzen Jura“am ehemaligen Steinbruch und präferiert „Stein statt Stahl“. So sollen 23 Natursteine aus schwarzem Jura auf den Grund der Grube gelegt werden. Einige davon sollen den Davidstern tragen, denn die Mehrzahl der Toten seien polnische Juden gewesen. Das Friedensforum hat sich von der Kunstlehrerin an der Mädchenschule Sankt Gertrudis, Schwester Christiane Pfeifer, Skizzen für die Gestaltung anfertigen lassen und sich auch mit dem Bauingenieur Bruder Hans Eigner von den Comboni-Missionaren in Verbindung gesetzt. Ein Handkarren mit Steinen soll als Symbol für „Vernichtung durch Arbeit“stehen. Auch den THW-Wachturm als symbolischer KZ-Wachturm und Info-Tafeln zu den KZ-Stammlagern Dachau und Natzweiler könnte man einbauen, so Baumann. Der von der Stadt beauftragte junge Ellwanger Künstler Rolf Kurz hingegen hat eine Stahlrampe vorgeschlagen. Zehnte Station ist die Alte Steige (etliche Tote säumten die Straße nach Neunheim), elfte Station die Jagstwiese (wegen der Toten an der Jagst) und zwölfte Station das Josefinum der Comboni-Missionare, das von der SS gesprengt wurde. Eine Ausschilderung und eine zentrale Info-Tafel mit den zwölf Stätten sollen folgen, ein digitaler Guide mit Zeitzeugenaussagen soll ebenso wie ein Flyer erstellt und ein Symbol entwickelt werden. Das Friedensforum kann sich auch vorstellen, die Guides vom Peutinger-Gymnasium mit einzubeziehen. Josef Baumann rechnet, dass der friedenspädagogische Rundgang in einem halben Jahr verwirklicht wird.
Am Dienstag, 7. April, veranstaltet das Friedensforum bei den Comboni-Missionaren unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Mahnwache zum Gedenken an die 75. Wiederkehr des Hessentaler Todesmarsches.