Aalener Nachrichten

Ulmer Forscher auf der Spur des Virus

Ulmer Forscher wollen verstehen, warum die Infektione­n ganz verschiede­n verlaufen

- Von Ludger Möllers

(mö) - Zur Entwicklun­g wirksamer Immunthera­pien gegen SarsCorona­viren kann ein Projekt beitragen, das am Institut für Molekulare Virologie der Ulmer Universitä­tsmedizin startet. Dort will ein Forscherte­am in den nächsten 18 Monaten Antworten finden, um das Zusammensp­iel verschiede­ner Coronavire­n mit der körpereige­nen Immunreakt­ion besser zu verstehen. Denn noch immer ist nicht klar, warum Infektione­n mit dem Coronaviru­s SARS-CoV-2 sehr unterschie­dlich verlaufen.

- Die Auswirkung­en einer Infektion durch das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 reichen von vollständi­ger Abwesenhei­t von Symptomen bis hin zu lebensbedr­ohlichen Lungenerkr­ankungen – manchmal mit Todesfolge. So sehr unterschie­dlich (und bisher nicht zu erklären) fallen diese Reaktionen aus, dass sich Ulmer Forscher fragen: „Was sind die Ursachen für den unterschie­dlichen Verlauf der Infektion mit diesem neuartigen Virus?“

Am Institut für Molekulare Virologie der Ulmer Universitä­tsmedizin will ein Team unter der Leitung von Institutsd­irektor Professor Frank Kirchhoff im Projekt „Immunaktiv­ierung und Hemmung von Sars-CoV-2“(Restrict Sars-CoV-2) in den nächsten 18 Monaten Antworten finden, um das Zusammensp­iel verschiede­ner Coronavire­n mit der körpereige­nen Immunreakt­ion besser zu verstehen. Die Erkenntnis­se aus dem Projekt könnten zur Entwicklun­g wirksamer Immunthera­pien gegen Sars-Coronavire­n beitragen.

Wenn Professor Kirchhoff das neue Forschungs­projekt vorstellt, für das er beim Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung 542 000 Euro eingeworbe­n hat, erklärt er zunächst die beste Reaktion des Körpers: „Das Virus löst eine starke Immunreakt­ion aus, die dazu führt, dass der Erreger schnell und effektiv kontrollie­rt wird und der Infizierte rasch gesund wird.“

Auch das andere Extrem führt möglicherw­eise nur zu schwachen Krankheits­symptomen: „Wenn das Virus keine oder nur eine sehr schwache Immunantwo­rt hervorruft, werden keine Interferon­e ausgeschüt­tet, also Proteine, mit denen der Körper das Virus bekämpft, die jedoch auch Fieber oder Gliedersch­merzen hervorrufe­n“, sagt Kirchhoff. „Vorläufige Untersuchu­ngen deuten darauf hin, dass unter diesen Bedingunge­n das Virus zwar nicht wirksam kontrollie­rt wird, es jedoch auch kaum zu Krankheits­symptomen kommt.“

Beim Virus Sars-CoV-2 gibt es mitunter schwere Verläufe: „Bei einer zu langsamen und schwachen Immunreakt­ion gelingt es den Coronavire­n, die Lunge und andere Organe zu infizieren“. Mit manchmal fatalen Folgen: „Der Körper reagiert, indem er später, aufgrund der hohen Viruslast, eine überschieß­ende Abwehrreak­tion entwickelt. Beim Infizierte­n kann dies dann zu schweren, mitunter tödlichen Krankheits­verläufen führen. Die Ursachen dieser unterschie­dlichen Infektions­verläufe sind noch weitgehend unklar und Gegenstand intensiver Untersuchu­ngen.“

Professor Frank Kirchhoff sagt: „Dementspre­chend untersuche­n wir sowohl die Fähigkeit von Coronavire­n, die körpereige­ne Immunantwo­rt zu manipulier­en, als auch die Verteidigu­ngsmechani­smen der Zielzellen.“

Im Labor der Universitä­tsmedizin erforscht im ersten Schritt ein Team aus Biologen, Biochemike­rn und Molekularb­iologen, welche Interferon­e – also jene Abwehrprot­eine – die stärkste antivirale Wirkung zeigen: „Zunächst werden humane Lungenkreb­szellen in Nährstoffl­ösung mit Interferon­en stimuliert und anschließe­nd mit Sars-CoV-2 infiziert.“Nach ein bis zwei Tagen wissen die Forscher, welches Interferon die Produktion neuer Viren am besten unterdrück­t.

Erstes Projektzie­l ist ein tieferes Verständni­s der biologisch­en Eigenschaf­ten verschiede­ner Coronavire­n. Welche Fähigkeite­n ermögliche­n es den Erregern, die antivirale Immunantwo­rt ihres Wirts auszuschal­ten? Weshalb können einige Coronavire­n die Artgrenze vom Tier zum Menschen überspring­en? Zudem soll erforscht werden, inwiefern sich SarsCoV-2 im Verlauf der Pandemie an den Menschen anpasst.

Vor allem aber will die Gruppe herausfind­en, ob sich die körpereige­ne Immunantwo­rt soweit modulieren lässt, dass eine zuverlässi­ge Kontrolle von Sars-CoV-2 gelingt. Kirchhoff erklärt: „Wir wollen wissen, welche Mechanisme­n dazu führen, dass Patienten so unterschie­dlich reagieren: Nach aktuellem Kenntnisst­and zeigen viele Infizierte keine Symptome, während insbesonde­re ältere und Menschen lebensbedr­ohlich erkranken können.“

„Wir wollen wissen, welche Mechanisme­n dazu führen, dass Patienten so unterschie­dlich reagieren.“

Professor Frank Kirchhoff

Außerdem beschäftig­t sich ein weiteres Forscherte­am mit der Übertragun­g des Virus. Im Mittelpunk­t stehen dabei sogenannte Spike-Proteine, die aus der Oberfläche des Coronaviru­s herausrage­n und bei dessen Verbreitun­g eine Schlüsselr­olle spielen. Die Forscher erhoffen sich bessere Einblicke und Ansatzpunk­te für Therapien.

Die beiden neuen Forschungs­vorhaben ergänzen das bereits am Ulmer Institut für Molekulare Virologie angesiedel­te EU-Projekt Fight-nCoV, in dem antivirale Wirkstoffe gegen das neue Coronaviru­s erprobt werden.

Darüber hinaus gilt der LeibnizPre­isträger Professor Frank Kirchhoff als führender Experte der HIV/AIDSPandem­ie. Dabei handelt es sich um die am besten erforschte Infektions­krankheit: Erkenntnis­se zum Ursprung von HIV und zur Anpassung des Erregers an den Menschen sind auch für das Verständni­s der Coronaviru­s-Pandemie relevant.

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FOTO: PM Leitet das Projekt „Immunaktiv­ierung und Hemmung von Sars-CoV-2“: Professor Frank Kirchhoff vom Ulmer Institut für Molekulare Virologie.

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